Der Zauber von San Cristóbal de las Casas
San Cristóbal – schon alleine der Name dieses Ortes klang immer irgendwie magisch für mich. Ohne jetzt in irgendeine unangebrachte Zapatisten-Romantik versinken zu wollen, muss ich doch zugeben, dass ich mit einer gewissen Idee von der Stadt, die sicher mit dem Aufstand im Jahr 1994 und allem, was ich im Zuge meiner Diplomarbeit darüber gelesen habe, zu tun hat, hergekommen bin.
Was ich vorfand, war eine äußerst quirlige, lebendige Stadt, die einen sympathischen Kompromiss zwischen schön heruntergeputzt und authentisch gefunden hat, mit einladenden Fußgängerzonen und Plätzen, bunten Märkten, interessanten Cafés und künstlerischem Ambiente – und doch: mit einem gewissen „rebellischen Charme“ – auch, wenn sich das Café Revolución gegenüber von Burger King befindet 😉 Neben der Hauptkathedrale wurde von Straßenkünstlern der graue Asphalt mit bunten Kreidebildern verschönert, im Café Museo Café, einem wunderschönen Innenhof-Cafe, das Kaffee aus kleinen Kooperativen anbietet, stieß ich auf ein spontanes Konzert und in einer der Fußgängerzonen entdeckte ich eine mir bis dahin unbekannte deutsch-mexikanische Künstlerin, deren Kunst und Philosophie mir äußerst ansprechend erschien: Kiki.
Die bunte Stadt San Cristóbal – wegen ihres kühleren Klimas schon von den Spaniern gegenüber der heutigen Hauptstadt Chiapas‘, Tuxtla Gutierrez, bevorzugt – wird jedoch von jenen Indígenas, die ihre traditionelle Lebensform bewahren wollen, maximal zum Verkaufen ihres Kunsthandwerks oder für andere Erledigungen aufgesucht. Die Tzotziles – so heißen die Nachfahren der Maya in der Gegend – leben relativ zurückgezogen in ihren Dörfern rund um San Cristóbal, wo sie auch Fremden den Zuzug nicht erlauben. Eines dieser Dörfer ist San Juan Chamula.
Die Kirche von San Juan Chamula thront über dem Dorfplatz, auf dem es aufgrund des wöchentlichen Marktes relativ bunt zugeht: ältere Frauen verkaufen ihre Avocados und Tomaten, die sie fein säuberlich aufgeschlichtet in Kübelchen zum Verkauf anbieten, dazwischen kann man an einem Stand leckere Quesadillas frühstücken oder dem Jungen, der sich mit einem kleinen Wagen seinen Weg durchs Gewühl bahnt, ein Eis abkaufen. Die wirkliche „Attraktion“ für unsere westlichen Augen ist aber zweifelsohne das Innere der weißgetünchten Kirche. Beim Hingehen fällt sofort der starke Geruch nach Weihrauch, Wachs und verschiedensten Kräutern, der in der Luft liegt, auf. Und noch etwas: die Kirche ist leer, es gibt keine Sitzbänke. In der Mitte und an den Rändern flackern unzählige Kerzen im düsteren Licht, dort und da liegen verstreut verschiedenste Pflanzen und Kräuter am Boden, Cola-Flaschen und Hochprozentiges finden sich ebenso wie Eier und lebendige Hühner, welche für rituelle Reinigungen verwendet werden. Priester und Messen im katholischen Sinn gibt es nicht, die Menschen kommen vielmehr, wann immer sie das Bedürfnis dazu haben und halten ihre persönlichen Gebete und Reinigungen ab. Als wir eintreten, kommen uns einige Dorfvorsteher in ihren traditionellen Gewändern – weißen und braunen Schaffellen über weißem Hemd und Hose, bunter Hut und Stock – entgegen, die soeben eine Versammlung oder ein Gebet beendet haben.
Die Kirche und alles, was sich in ihrem Inneren abspielt, ist wohl ein anschauliches Beispiel dafür, was unter Synkretismus verstanden wird: unter dem Zwang der Spanier wurden die BewohnerInnen des heutigen Mexikos ja dazu gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Vielerorts beteten sie aber weiterhin zu ihren Göttern und blieben ihren spirituellen Traditionen treu. Um nicht den Argwohn der Besatzer auf sich zu ziehen, passten sie sich – zumindest äußerlich – an die katholischen Gepflogenheiten an und fanden kreative Mittelwege, indem sie z.B. ihre Götter in der Gestalt der katholischen Heiligen anbeteten. So entstanden über die Jahrhunderte ganz eigene Glaubensformen, die Elemente beider religiöser Ausdrucksformen in sich tragen.
Wieder aus der Kirche draußen, fällt mir der starke rauchige Geruch auf, der hier in der Luft liegt. Das komme davon, weil der Großteil der Menschen hier mit Holz koche und „heize“, weil das Gas für sie zu teuer sei, wird mir erklärt. Die meisten Menschen leben hier von dem, was sie selbst anbauen, auch davon, was sie an Kunsthandwerk herstellen und verkaufen. Manche arbeiten auch in San Cristóbal im Dienstleistungsbereich und verdienen dafür ca. 3-400 Pesos pro Monat (ca. 165 – 220 Euro). Viele SchülerInnen beenden die Primaria (sechsjährige Grundschule) hier in San Juan Chamula nicht.
Diese Schilderungen sind Eindrücke von der Azteca & Maya-Tour des österreichisch-mexikanischen Reiseunternehmens Mextrotter. Hier geht’s zur Homepage!