Fiesta in Chimalhuacán
Chimalhuacán, am östlichen Rand von Mexiko-City gelegen, genießt unter den Hauptstädtern immer noch einen ziemlich schlechten Ruf. „Was willst du denn dort?“, meinte eine Freundin von hier leicht verwundert, als ich ihr von meinen Wochenend-Plänen erzählte. Der Ruf kommt nicht von ungefähr: Zu großen Teilen auf einer ehemaligen Müllhalde erbaut, wurde das Gebiet, das heute zum Großraum Mexiko-Stadt gehört, lange Zeit infrastrukturell sehr vernachlässigt. In den letzten Jahren ging allerdings einiges weiter: Straßen wurden asphaltiert, Schulen und Krankenhäuser gebaut. Es fehlt jedoch noch an vielem, allem voran an Arbeitsplätzen. Über 30% der Menschen in Chimalhuacán sind arbeitslos, und jene, die Arbeit – oft im informellen Sektor – haben, verdienen weniger als 2.500 Pesos pro Monat (umgerechnet ca. 140 Euro) und müssen dafür oft noch lange Anfahrtswege in Kauf nehmen.
Chimalhuacán ist ein domicilio dormitorio“, erklärt mir der nette ältere Herr neben mir im Bus, als ich mich an diesem strahlend schönen Samstag Morgen in Richtung Osten aufmache. Damit meint er, dass der Großteil der Menschen täglich ins Zentrum von Mexiko-City zur Arbeit fährt und nur zum Schlafen nach Chimalhuacán zurückkehrt. So wie er. Täglich nimmt er den 2 – 3-stündigen Weg auf sich, um zu seinem Arbeitgeber Televisa zu gelangen. In eine Richtung, versteht sich. Was es für Einbußen an Lebensqualität bedeutet, täglich vier bis sechs Stunden im Verkehr dieser Mega-Stadt zu verbringen, kann ich mir nach über drei Monaten hier nun bereits sehr gut ausmalen.
Nach einer kleinen Odyssee und viermaligem Wechsel des Transportmittels – von U-Bahn bis Moto-Taxi (siehe Bild) war alles dabei – komme ich in Chimalhuacán an. Ich gehe schnurstracks ins Centro Comunitario San Martin de Porres, wo ich erwartet werde. Es ist ein großer Tag für dieses Gemeindezentrum: die österreichische Botschafterin in Mexiko, Dr. Eva Hager, kommt zu Besuch. Außerdem ist ein oberösterreichisches Fernsehteam am Drehen. Die Aufregung liegt in der Luft. Herzlich werde ich von Leopoldine Ganser, die 1994 dieses Zentrum mitbegründet hat, begrüßt und auch gleich zur Arbeit eingeteilt: Sessel sind aufzustellen, die Bühne zu schmücken, Wasser zu besorgen. Dabei lerne ich den 22-jährigen Manuel kennen, der bereits ein Jahr als Austauschschüler in Oberösterreich verbracht hat. Gramastätten und Leonding sind ihm genauso ein Begriff wie Skifahren und Schnitzel 🙂 Manuel nahm nach seiner Rückkehr aus Österreich das Studium der Telematik auf und wird dabei von seiner österreichischen Gastfamilie unterstützt.
Kurz nach 15 Uhr ist es dann so weit: die Botschafterin kommt und wird gleich mit einer „Porra“ – einem hier sehr üblichen „Anfeuerungs-Ruf“ – von einer Kindergruppe und einer Piñata begrüßt. Bei der am Fußballfeld aufgebauten Bühne richtet sie ihre Grußworte an die Gemeinschaft von San Martin, die sich trotz der Hitze zahlreich versammelt hat. Auch einige lokale PolitikerInnen kommen zu Wort, wie z.B. Miguel Agustín Olivares: er spricht vom schon länger in Planung befindlichen „Strategiezentrum CERAO“, das 40.000 Arbeitsplätze in Chimalhuacán schaffen soll. „Kleine und mittelgroße Unternehmen sollen gefördert werden, eine Universität, ein Krankenhaus und ein Sportzentrum sind geplant und das alles soll mit der Idee des Umweltschutzes verbunden werden“, erzählt der Lokalpolitiker. Seine Frustration darüber, dass die Verhandlungen bereits acht Jahre dauern und das Projekt derzeit auf Eis liegt, weil die notwendigen Gelder von staatlicher Seite nicht fließen, kann er nur schwer verbergen.
Bei der anschließenden Führung durchs Zentrum bekommen wir einen Einblick, was im Centro Comunitario San Martin de Porres alles geboten wird: vorbei an den staubigen Fußballfeldern, wo trotz der Hitze die ortsbekannte „Liga Poldi“ ihre Spiele abwickelt, gehen wir weiter zu den Klassenräumen, wo die staatliche Institution INEA die Erwachsenen die Möglichkeit anbietet, ihren Volks- oder Hauptschulabschluss nachzuholen. Im Erdgeschoß desselben Gebäudes befindet sich ein medizinisches Zentrum, in dem verschiedene Ärzte und Psychologen ehrenamtlich ihre Dienste anbieten.
Dr. Alejandro Lira ist einer von ihnen. Seit unglaublichen 17 Jahren öffnet er mehrmals pro Woche seine zahnärztliche Praxis im Zentrum. Die Behandlung wird gratis oder sehr billig durchgeführt, je nach den finanziellen Möglichkeiten der PatientInnen. „Die meisten Menschen kommen, weil sie entweder keine Krankenversicherung haben oder in der Klinik der staatlichen Krankenversicherung schlecht behandelt wurden. Ewige Wartezeiten, Behandlungen ohne Narkose oder unzureichende Wundversorgung stehen dort leider an der Tagesordnung. Eine bessere Behandlung wird in den Privatkliniken geboten, diese können sich die meisten allerdings nicht leisten“, erzählt Dr. Lira. Dr. Arturo Prado, der wie Dr. Lira auch seine eigene Praxis hat und eigentlich Forensiker ist, betreut die kleine Ordination für Allgemeinmedizin. Wie wenn ihr unbezahlter Dienst nicht schon genug wäre, beteiligen sich die Ärzte auch noch an der Organisation von Filmvorführungen und Lucha Libre-Aufführungen, um finanzielle Mittel für das Zentrum aufzustellen.
Der Rundgang endet mit Gesangs- und Tanzdarbietungen im Mehrzwecksaal, gleich neben der gemütlichen Cafeteria, die neben der Bäckerei und der Kapelle für das leiblich-seelische Wohl der Centro-BesucherInnen sorgt.
Alles in allem, hat mich der Tag sehr an meine Zeit als Volontärin in einem Jugendzentrum der nordmexikanischen Stadt Tijuana erinnert: kulturelle Darbietungen am staubigen Fußballfeld in der sengenden Hitze, Plastiksessel stapeln und Luftballons aufblasen, zwischendurch einen frischgepressten Orangensaft vom Straßenrand um erfrischende 6 Pesos (ca. 33 Cent) und viele Lebensgeschichten mitgeteilt bekommen. Anpacken, wo es notwendig ist, mit den Leuten von vor Ort gemeinsam etwas unternehmen und so tatsächlich einen kleinen Einblick in ihre Lebensrealität bekommen.
Am Rückweg fahren wir an Hütten vorbei, in denen noch heute die so genannten „Müll-Menschen“ wohnen, die an und von der Mülldeponie leben. So, stelle ich mir vor, muss es früher in der Umgebung des Centro Comunitario San Martin ausgesehen haben. Die Abendsonne taucht alles in ein rötliches Licht, was die Szenerie fast romantisch wirken lässt. Dass der Alltag der Menschen, die hier leben, wenig mit Romantik zu tun hat, ist mir klar. Es gibt noch viel zu tun in Chimalhuacán.
2 Kommentare
-
monika schönberger
Super toll, möchte auch wieder mal nach Mexiko. Die Menschen tun mir leid - ohne Schmerzbehandlung Zahnarztbesuche ...... finde es schon mit Schmerzbehandlung mühsam. Viele Grüße nach Mexiko an Poldi!! monika Geschrieben um 20. April 2014 um 10:41 Uhr -
Magdalena Jetschgo
Liebe Monika, ich werde deine Grüße bei nächster Gelegenheit gerne ausrichten! LG, Magdalena Geschrieben um 22. April 2014 um 04:39 Uhr