KURDWIN AYUB: Die große Grenzenlosigkeit fühlen
Die Filmemacherin und Performancekünstlerin Kurdwin Ayub im Gespräch mit KINOSALON-Kurator Ascan Breuer über die Zusammenhänge zwischen ihren Migrationsgeschichten und ihrer Kunst.
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Dieses Interview ist Teil einer Serie im Rahmen des KINOSALONS „East of Vienna, South of the Sun„. In diesem KINOSALON-Blog erscheinen auch Gespräche mit den anderen beteiligten Filmemacherinnen Nina Kusturica, Mara Mattuschka und Miriam Bajtala, sowie ein persönliches Statement des Kurators Ascan Breuer.
ASCAN BREUER: Du bist im Irak geboren, und du heißt Kurdwin. Daher gehe ich mal davon aus, dass zu Kurdin aus dem Nordirak bist. Wann und wie bist du nach Österreich gekommen?
KURDWIN AYUB: 1991 mit meinen Eltern. Da war ich ein Jahr alt. Es war Krieg. Da, wo der alte Bush gegen den Irak gekämpft hat, „Dessert Storm“ (Anm.: Zweiter Golfkrieg). Deswegen sind wir geflohen. Ich erinnere mich natürlich nicht selbst daran. Ich kenne nur die Geschichten, die mir meine Eltern oft erzählt haben. Es war jedenfalls kompliziert: Saddams Kämpfer sind ins Dorf gekommen, wir mussten alle Sachen schnell packen und losfahren und sind dann mit ganz vielen anderen Kurden in die Berge geflohen. Alle sind geflohen!
ASCAN: Und deine Eltern mit dir im Arm?
KURDWIN: Ja, und meine Mutter war schwanger. Sie hat das Baby während der Flucht geboren. Ich hatte also damals noch eine keine Schwester. Sie ist dann aber krank geworden und noch während der Flucht gestorben. Wir sind damals ein paar Monate in den Bergen gewesen, dann haben die Türken endlich die Grenze geöffnet. Und später sind wir dann ins Asylheim nach Wien gekommen…
ASCAN: Und habt ihr Asyl erhalten?
KURDWIN: Ja, weil meine Eltern Ärzte waren, deswegen konnten wir nach Österreich kommen…
ASCAN: Weil sie Ärzte waren?
KURDWIN: Naja, es ist gar so nicht so einfach, in ein anderes Land zu kommen. Es wurden ganz viele Leute wieder zurückgeschickt. Meine Eltern sind damals mit den ganzen Verwandten von meinem Vater ins türkische Lager geflohen. Dann haben aber meine Eltern als einzige das Recht erhalten, nach Österreich zu kommen. Alle anderen sind wieder zurückgegangen. Später wurde mir erzählt: Da waren Flugzeuge, und die sind dann in verschiedene Länder geflogen. Ich habe mir das als Kind immer so märchenhaft vorgestellt: Da waren österreichische Flugzeuge, und die flogen alle nach Österreich. Eigentlich war es ganz einfach so, dass in einem Flieger irgendwie Platz frei war, und es war voll der Zufall, dass wir hierher gekommen sind.
ASCAN: Und sind deine Eltern dann bis heute hier geblieben?
KURDWIN: Ja, sie haben noch einmal Medizin studieren müssen, obwohl sie dort ja schon Ärzte waren, und dann haben wir später die Staatsbürgerschaft erhalten. Sie sind hier dann arbeiten gegangen und ich bin hier aufgewachsen, ganz normal…
ASCAN: Wo genau bist du denn aufgewachsen?
KURDWIN: In Wien-Simmering.
ASCAN: Und wo wohnst du jetzt?
KURDWIN: Im Dritten Bezirk.
ASCAN: Das sind Nachbarbezirke. Also bist du seither nicht mehr all zu weit weggekommen…
KURDWIN: Ja, so weit hab ich es weggeschafft von meinen Eltern. Bis vor kurzem konnte ich sogar mit der Straßenbahn 71 einfach hin- und herpendeln, aber jetzt haben sie irgendwie umgebaut und ich muss umsteigen.
ASCAN: Und wie finden deine Eltern deine Kunst?
KURDWIN: Meine Mutter schaut gerne Arte und hätte gern, dass ich auch mal so ‚Arte-Filme‘ mache, über Krieg oder sowas. Mein Vater kriegt dagegen gar nichts von meiner Arbeit mit. Er schaut sich meine Sachen gar nicht an. Ich mag es auch nicht, dass er sie anschaut. Er kriegt nur mit, dass ich jedes Wochenende mit meinem Rucksack zu ihnen nach Hause komme. Wenn ich mich dann dort hinsetze, um etwas zu arbeiten, fragt er mich immer, wie weit es mit meinem ‚Hobby‘ ist. Dann verarscht er mich, dass ich wahrscheinlich mit 40 noch immer mit dem Rucksack nach Hause kommen werde, weil ich keine ‚Frau‘ bin, keine Röcke trage, nicht elegant aussehe und keine Ärztin bin. Aber ich streite mich nicht mit ihm. Ich nehme das mit Humor. Ich akzeptiere die Art, wie er ist: Er fragt mich noch immer jedes Jahr: ‚Wann packst du die Aufnahmeprüfung für Medizin?‘
ASCAN: Dabei hast du die Aufnahmeprüfungen von der Angewandten und der Bildenden gepackt! (Anm.: Universität für angewandte Kunst, Akademie der bildenden Künste, beide Wien).
KURDWIN: Das war auch das Falsche. Das war halt nicht ‚wirklich‘ studieren.
ASCAN: Auf der Bildenden hast du stattdessen „Performance“ bei Carola Dertnig studiert…
KURDWIN: Ja, nach der Angewandten bin ich auf die Bildende gegangen, habe dort aber keine Freunde gefunden.
ASCAN: Warum nicht?
KURDWIN: Ich habe damals die Professorin Carola Dertnig auf der Diagonale (Anm.: Festival des österreichischen Films, Graz) kennengelernt, weil unsere Arbeiten im selben Programm liefen. Dann hatte ich sogar ein eigenes Programm auf der Viennale. Genau in der Zeit bin ich in die Performance-Klasse gekommen. In der Zeit wurde ich irgendwie von allen Seiten in den Himmel gehoben, auch von der Professorin. Mir war das urunangenehm, und damit habe ich mir in der Klasse echt keine Freunde gemacht.
ASCAN: Weil du zu erfolgreich warst?
KURDWIN: Zumindest damals, in der einen Phase, wegen der Viennale und dem ganzen Zeugs. Die haben mich dann alle nur so angeschaut. Meine Arbeiten sind ja auch vielleicht deshalb erfolgreicher, weil ich aus dem Irak bin, was ich ja auch oft genug sage.
ASCAN: Und das kommt nicht gut an bei der ‚Konkurrenz‘?
KURDWIN: Ein befreundeter Filmemacher meinte einmal zu mir, dass er sicher nicht so erfolgreich wäre, wenn er nicht die ‚Ausländerschiene‘ gemacht hätte. Das ist arg, aber ich finde es schön, dass einer das zugibt. Oder ein anderer Kollege, mit dem ich gerade an einem Drehbuch arbeite, meinte, dass ich halt den ‚Ausländer- und Frauenbonus‘ habe.
ASCAN: Und hast du den ‚Frauenbonus‘?
KURDWIN: Ich thematisiere das ‚Mann-Frau-Ding‘ in meinen Performance-Arbeiten. Einige halten die für ‚ultrafeministisch‘. Aber ich mache das nicht, um so zu werden wie irgendwelche feministischen Idole, um zu werden wie Valie Export oder so. Ich habe eher das Gefühl, dass es bei mir eher so ein ‚Familien-Ding‘ ist, wogegen ich ankämpfe und von dem ich verstehen will, warum es so ist: z.B. warum Mädchen oft unterwürfig sind. Oder wenn ich einen Film schaue und mir wie viele andere Mädchen denke: ‚Ah, das ist die perfekte Ehe!‘ Ich arbeite gerne mit Klischees und Illusionen. Und da ich ein Mädchen bin, sind das ganz viele ‚Mädchensachen‘. Manchmal macht man es halt aus einem Gefühl heraus, weil man vielleicht einen ‚komischen‘ Vater hatte. Ich finde es auch sehr bodenständig, wenn man sagt: ‚Ja, ich hab eine komische Beziehung zu meinem Vater, und deswegen mache ich solche Videos.
ASCAN: Vielleicht ist es eine Art Rebellion gegen das ‚Kurdisch‘-Konservative deines Vaters?
KURDWIN: Nein, ich glaube nicht, dass ich mit meiner Kunst eine Rebellion starten kann. Ich glaube eher, dass man mit Kunst sagen kann: ‚Ich verstehe es. Ich weiß wie man sich fühlt, ich weiß wie es ist.‘ Ich bin ja sehr oft im Irak, und bin dann auch viel mit meinen Verwandten in Kontakt. Deshalb arbeite ich auch gern mit dem Thema. Wenn ich dort bin, hat es noch immer das Gefühl von Grenzenlosigkeit, weil es dort irgendwie keine Regeln gibt. Ich mag diese großen, grenzenlosen Gefühle wie im Kino, und die finde ich halt dort. Deswegen arbeite ich gern damit.
ASCAN: Was genau verstehst du unter ‚Grenzenlosigkeit‘?
KURDWIN: Es ist halt ein bisschen verrückt dort: Seit es keine Diktatur mehr gibt, haben die Leute so schnell wie möglich versucht, Kapitalismus zu machen. Alle wollten mit Erdöl reich werden. Und dann haben sie ganz schnell alles aufbauen wollen: Hier in Wien hat alles seine Ordnung, dort wurden dagegen zehn riesige Shopping Malls in einer Stadt hochgezogen, die jetzt total leer stehen. Ein anderes Beispiel ist ‚Weihnachten‘: Man feiert dort Weihnachten zu Silvester, und sie stellen Weihnachtsbäume auf und verkleiden sich als Weihnachtsmann. Dabei wissen sie nicht, dass Weihnachten mit Jesus und so zu tun hat. Weihnachten ist für sie Silvester. Sie sagen ‚Happy Christmas‘ statt ‚Frohes Neues Jahr‘. Ich mag dieses Schräge.
ASCAN: Wann warst du zuletzt dort?
KURDWIN: Im Januar. Ich habe ein neues Filmprojekt mit meinem Vater. Der will wieder zurückkehren und sich eine Wohnung kaufen, weil alles besser geworden ist seit damals. Aber just im Januar fing dann ja auch der Krieg wieder an.
ASCAN: Wie erlebst du dann die aktuelle Situation im Nordirak?
KURDWIN: Ich war kürzlich in Los Angeles und da habe ich erfahren, wie die ganzen Sachen, die gerade im Irak passieren, im Fernsehen rüberkommen. Den Medienhype habe ich so extrem noch nie erlebt. In Amerika bauscht sich halt alles ziemlich auf. Es ist ein sehr großes mediales Ereignis. Das erinnert mich daran, wie meine Eltern selbst damit umgegangen sind: auch wie in einem coolen Actionfilm. Und jetzt im Irak ist es auch so: Ich habe Cousins und Cousinen, die in sicheren Regionen sitzen und dann auf Facebook posten, wie sie in Uniform und mit Waffen dastehen, weil es ‚cool‘ ist. Das sind junge Leute aus dem Nord-Irak, die noch nie mit dem Krieg konfrontiert waren. In letzter Zeit bekommen ich ganz viel Facebook-Einladungen von Jungs, also kleinen Jungs, Freunden von meinen Verwandten, die alle dieselben Fotos posten: alle in Uniform und mit Waffen, aber im Wohnzimmer. Ich finde das interessant.
(Transkription: Veronika Karim)
In diesem Blog erscheinen Interviews mit den am KINOSALON „East of Vienna, South of the Sun„ beteiligten Filmemacherinnen:
– NINA KUSTIRICA: Der Welt treu bleiben
– MARA MATTUSCHKA: Die totale Reorganisation der Welt
– MIRIAM BAJTALA: Ein volleres Leben
– ASCAN BREUER: Mache ich eigentlich „migrantische“ Filme? (Statement des Kinosalon-Kurators)
Der KINOSALON ist Veranstaltung im Rahmen von WIENWOCHE, in Kooperation mit This Human World, gefördert mit Mitteln der Stadt Wien.
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