Österreich will nicht der Schuldige sein
Die neueste Verfilmung und ORF-Produktion des historisch schwerwiegenden Attentats auf Franz Ferdinand wurde vor wenigen Tagen dem österreichischen Publikum vorgesetzt. Ein Ereignis, das im heimischen Verständnis der letzten 100 Jahre überwiegend als Provokation von serbischer Seite verstanden und als Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich gemacht wurde. Andreas Prochaska, namhafter Filmemacher und Regisseur des Spielfilms „Das Attentat Sarajevo 1914“, lieferte den österreichischen ZuseherInnen allerdings einen etwas anderen Beitrag zur Kriegsschuldfrage, welcher dem Großteil der Bevölkerung aufstieß und einen kleinen Shitstorm im Internet auslöste. Warum? Weil die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte auf eine äußert selbstkritische und reflektierte Art und Weise erfolgte, wie man sie in diesem Land zuvor selten gesehen hatte.
„Ich wollte ein Gefühl für die Atmosphäre dieser Zeit erzeugen“. Mit dieser Aussage besiegelt der Filmschaffende Andreas Prochaska die Intention seines Werks in diesem bedeutenden Jubiläumsjahr. Unter Berücksichtigung des problematischen weltpolitischen Charakters der Zeit, die dem Ersten Weltkrieg unmittelbar vorausgegangen ist, schafft Prochaska ein eindrucksvolles Bild der Stimmung im imperialen Zentrum Europas. Diese Periode ist geprägt von hegemonialen Trieben, Neid, Missgunst und nicht zuletzt von Rassismus und dem immer stärker wachsenden Antisemitismus auf österreichischem, aber auch deutschem Boden. Diese (mehr oder weniger noch immer aktuellen) Zustände den Nachfahren der Protagonisten 100 Jahre später auf einem Bildschirm vor Augen zu halten und das auch noch durch die Filmfigur des jüdischen Untersuchungsrichters Leo Pfeffer zum Ausdruck zu bringen, sorgt verständlicherweise für einen Aufschrei in den heimischen Gefilden. Denn Österreich will nicht der Schuldige sein, weder damals noch heute.
Um vorweg mal eines klarzustellen: „Das Attentat Sarajevo 1914“ beinhaltet ganz klar fiktive Dialoge und Situationen. Der Film möchte auch gar keinen Anspruch auf die Wahrheit stellen, sondern funktioniert mehr als spannender Politkrimi im Stil der großen Verschwörungsthriller. Einiges mag auf Fakten beruhen, anderes vielleicht weniger. Doch darum geht es auch gar nicht. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass es die österreichische TV- und Produktionslandschaft wagt ein Stimmungsbild der Zeit zu zeichnen, bei dem die eigenen Leute weniger gut wegkommen und auch den Part des Aggressors einnehmen. Ein Begriff, mit dem man sonst gerne und oft Serbien betitelte. Die Rollenverteilung ist 1914 wie folgt: Großes Kaiserreich gegen kleines Königreich. Wer nun inwieweit die Schuld am Kriegsausbruch trägt, darüber dürfen weiterhin (un)voreingenommene HistorikerInnen diskutieren.
Abschließend möchte ich mich auf einen Artikel der Salzburger Nachrichten beziehen, der mich Anfang des Jahres mehr als verärgert hat. Mit dem Beitrag „Serbien will nicht der Schuldige sein“ wurde das Serbenbashing im Jubiläumsjahr eingeleitet. Nicht, dass ich mich als Serbin in irgendeiner Weise mit radikalen Ansichten eines Emir Kusturica und ähnlichen Konsorten identifizieren würde, ganz im Gegenteil. Die Unfähigkeit zur kritischen Einkehr besteht auch auf serbischer Seite. Zugegebenermaßen ist es der Sache auch nicht wirklich dienlich, sondern schlichtweg dämlich dem Attentäter Gavrilo Princip demnächst im Herzen Belgrads ein Denkmal zu setzen. Doch kann man absolut nachvollziehen, dass sich 100 Jahre später der krisengeschüttelte Staat Serbien, der auf einem Scheideweg Richtung Europa steht, von solchen Schuldzuschreibungen distanzieren und nicht mit neuen Vorwürfen konfrontiert werden möchte. In diesem Sinne gerade die Schelte in der österreichischen Presse zu vernehmen, dass Serbien der kritische Umgang mit seiner eigenen Geschichte fehlen würde, ist überaus provokant. Lieber mal vor der eigenen Türe kehren, mein verehrtes Österreich!