Frankreichs neue Justizministerin: passoniert und streitbar
22.05.2012 | 17:32 | Sonja Fercher
Die in Guyana geborene Politikerin ist die erste schwarze Ministerin Frankreichs, zuvor war sie bereits die erste Präsidentschaftskandidatin eines Überseeterritoriums – Ein Porträt
Sie sei erst in Frankreich zur Schwarzen geworden, meinte Christiane Taubira einmal. Denn in Französisch-Guyana, wo sie aufgewachsen ist, sei die gesellschaftliche Vielfalt so sehr Normalität, dass niemand auf die Hautfarbe achte – anders in Frankreich. Insofern ist es geradezu folgerichtig, dass bei ihrer Ernennung zur Justizministerin hervorgehoben wird, dass sie die erste schwarze Ministerin Frankreichs ist. Ihre Ernennung ist ein politisches Signal: Die neue linke Regierung unter Premier Jean-Marc Ayrault möchte der Vielfalt der Gesellschaft Rechnung tragen, neben Taubira sind in ihr mehrere VertreterInnen sichtbarer Minderheiten bzw. aus den Überseegebieten vertreten.
Harte Debatte um die Sklaverei
Für Taubira ist dies nicht die erste Premiere dieser Art auf der politischen Bühne: Im Jahr 2002 war sie die erste Präsidentschaftskandidatin aus einem französischen Überseeterritorium. Einen Namen gemacht hat sich Taubira mit einem Gesetz, das ihren Namen trägt: Mit der im Jahr 2001 verabschiedeten „Loi Taubira“ erkannte Frankreich die Sklaverei und den Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Dieses durchzubringen, war kein leichtes Unterfangen: „Ich hatte mir erwartet, dass es eine harte Debatte werden würde – und sie wurde hart“, so Taubira. Denn es sei dabei auch um das Selbstverständnis Frankreichs gegangen, das sich selbst als Anti-Sklaverei-Macht verstand. Einzusehen, dass Frankreich aber zunächst einmal eine „Sklaverei-Macht“ gewesen ist, sei vielen zunächst schwer gefallen, erzählt die Politikerin rückblickend. Wenn man Taubira beobachtet, kann man verstehen, dass gerade sie es geschafft hat, ein derartiges Gesetz durchzubringen: Die 60-Jährige ist kämpferisch und leidenschaftlich, bisweilen wird ihr auch vorgeworfen, sehr hantig zu sein.
Diskriminierungserfahrungen
Taubira wurde im Jahr 1952 in Cayenne in französisch Guyana in einfachen Verhältnissen geboren. Zum Studieren überquert Taubira den Atlantik, um in Paris zu studieren. Dort erlebt sie auch Rassismus, als sie in der Métro beschimpft wird. Doch wie sie heute erzählt, habe nichts ihre Freude über das trüben können, was sie in Paris entdeckte: „Es gab so viele Bibliotheken, so viele Bücher zu entdecken, Platten, Filme!“ Auch betont sie immer wieder, dass sie selbst kein gutes Beispiel sei, da ihr Diskriminierungen verhältnismäßig selten passieren. Taubira hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften, außerdem in Soziologie und afro-amerikanischer Ethnologie. Sie ist Mutter von vier Kindern und geschieden.
Eine linke Politikerin
Ihr politischer Parcours ist eigenwillig, was ihr auch die Bezeichnung „freier Elektron“ einbrachte. Bei aller Individualität gibt es eine Kontinuität: Sie ist eine linke Politikerin. Während ihrer politischen Anfänge engagiert sich Taubira in der Autonomie-Bewegung in Guyana. Im Jahr 1993 gründet sie dort die linke „Walwari“-Partei. Im gleichen Jahr wird Taubira zum ersten Mal in die Nationalversammlung in Paris gewählt – und seither kontinuierlich wiedergewählt. Anfangs ist sie dort parteiunabhängig, um sich dann zwischen Sozialistischer Partei und Parti Radical de Gauche (PDG) zu bewegen, die einander sehr nahe stehen. Von 1994 bis 1999 ist Taubira außerdem Abgeordnete im Europäischen Parlament, im übrigen auf einer Liste angeführt von Bernard Tapie.
Nein zu Ministerposten unter Sarkozy
Im Jahr 2007 spielt Taubira zunächst mit dem Gedanken erneut für die Präsidentschaftswahl zu kandidieren, doch der PDG verzichtet auf eine eigene Kandidatur. Taubira engagiert sich daraufhin im Team der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, die Nicolas Sarkozy bei der Wahl unterliegt. Dieser setzt die Vielfalt auf die Tagesordnung und ernennt unter anderem Rama Yade, Fadela Amara oder Rachida Dati als Ministerinnen. Auch Taubira wird ein Ministerium angeboten, doch sie lehnt ab.
Kommunales Wahlrecht für MigrantInnen
Bei den Vorwahlen in der Sozialistischen Partei im Herbst 2011 unterstützt Taubira zunächst Arnaud Montebourg, nunmehr als Minister für Produktion und Industrie Taubiras Kollege in der Regierung. Als Francois Hollande zum Kandidaten des PS gewählt wird, schließt sie sich diesem an – um nun in der neuen Regierung zur einzigen Ministerin ernannt zu werden, die einem Schlüsselministerium vorsteht. Als Justizministerin wird sie im übrigen mit der Umsetzung einer langjährigen Forderung zuständig sein: Der Umsetzung des kommunalen Wahlrechts für MigrantInnen.
Neben Taubira werden sechs weitere MinisterInnen genannt, die ebenfalls die Vielfalt repräsentieren sollen: Najat Vallaud-Belkacem, Yamina Benguigui und Kader Arif, Victorin Lurel und George Pau-Langevin. Dazu kommt Fleur Pellerin, die in Korea geboren ist und noch als Baby in Frankreich adoptiert wurde. Die Tageszeitung Le Monde stellte in diesem Zusammenhang schon die Frage, woran eigentlich die Vielfalt zu messen sei: Fällt Taubira tatsächlich in diese Kategorie, nicht aber der neue Innenminister Manuel Valls? Schließlich sei Taubira in einem französischen Überseegebiet und somit auf französischem Boden geboren und aufgewachsen. Valls wiederum ist zwar weiß, wurde aber in Spanien geboren und erhielt erst mit 20 Jahren die französische Staatsbürgerschaft.
Produkt einer Patchwork-Kultur
Klar ist, dass der Kampf gegen Diskriminierungen und für die Anerkennung des Werts gesellschaftlicher Vielfalt für Taubira wichtige Anliegen sind. Erst kürzlich erklärte sie in einem Fernsehinterview Vorteile der Vielfalt anhand ihres eigenen Beispiels: „Ich komme aus dem Amazonas-Gebiet und bin dort tief verwurzelt. Zugleich bin ich mit französischer Bildung und Kultur aufgewachsen und bin auch darin tief verwurzelt.“ Außerdem sei sie Kosmopolitin: „Ich komme aus Amerika, aufgrund des Sklavenhandels habe ich Wurzeln in Afrika, da ich in Europa gelebt habe, habe ich auch dort meine Wurzeln, und schließlich auch Asien.“ Sie sei ein Produkt einer Mischung, die eine Patchwork-Kultur zur Folge habe. Dies sei ein großer Vorteil, immerhin sei es ihr dadurch möglich, einen Zugang zu sehr vielen verschiedenen Menschen zu finden, so Taubira. Dies aus dem Mund einer Frau, die nunmehr Ministerin ist, lässt hoffen, dass sich in Frankreich in der Tat ein realistischeres Selbstbild einer vielfältigen Gesellschaft entwickeln könnte, die das Land längst ist.
Bei all dem darf man allerdings nicht vergessen, dass diese Regierung lediglich eine Übergangsregierung ist, die in erster Linie Wahlkampfzwecken dient. Die Parlamentswahlen finden im Juni statt. Die wahre Bewährungsprobe für Hollande und seinen Premierminister Jean-Marc Ayrault in Sachen Diversität oder Gleichstellung steht danach erst bevor.