Ehrenmord: Interview mit Sabine Strasser

13.01.2009 | 20:17 | Ewa Dziedzic

Sabine Strasser, Professorin für Ethnologie an der Middle East Technical University in Ankara, über die Hintergründe für Ehrenmorde, das Problem der Datenerfassung und Lösungen für gefährdete Frauen.

Kommt Ehrenmord in allen soziokulturellen Milieus vor?

Sabine Strasser: Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen Opferkonstruktionen und mutwilliger Übertreibung einerseits und rassistisch motivierter Ignoranz von Gefahren für Frauen andererseits – beides aufgrund der angeblich unüberwindbaren Unterschiede zwischen den eigenen und den anderen Vorstellungen.

Wie kommt es zur Häufung von Ehrenmorden gerade im islamischen Kulturkreis?

Strasser: Das stimmt so nicht, da müssten wir die Zahlen anschauen, bevor wir von Häufigkeiten sprechen. Die USA haben prozentuell so viele Erschießungen wie Indien „dowry murder“ (Mitgiftmorde). Ist das dann eine Psyche, die versagt, und das andere eine Kultur, die man nicht loswerden kann? In beiden Fällen sind die Täter nicht Muslime.

Warum ist es so schwierig, an Daten heranzukommen?

Strasser: Es gibt eine lange Debatte zu Ehre und auch zu lokalem Recht, das oft im Gegensatz zum nationalen steht, manchmal auch als Stammes- oder Gewohnheitsrecht bezeichnet wird. Oft werden diese Gesetze kommentarlos abgehandelt und erscheinen dann auch als in bestimmten Regionen unveränderbar.

Wie sieht es in Österreich aus?

Strasser: Spektakuläre Fälle von Ehrenmord in Schweden und Deutschland haben auch in Österreich große Aufmerksamkeit erregt. Belegt ist in Österreich aber nur ein Ehrenmord. Experten vermuten, dass in den Gefängnissen einige Mörder als Ehrenmörder gelten würden, hätte man das Phänomen zum Zeitpunkt der Tat gekannt.

Dienen Zwangsheirat oder Ehrenmord vordergründig der Aufrechterhaltung der Sexualmoral?

Strasser: Dort, wo Jungfräulichkeit vor der Ehe und Treue als wesentlich gesehen werden, bilden Zwang und Gewalt mögliche Mittel zur Durchsetzung dieser Erwartungen, wenn die Zustimmung ausbleibt.

Ist Ehrenmord überhaupt ein „Männerproblem“ oder eher „Familiensache“?

Strasser: Das ist schwierig, weil es die Familie sein kann, aber auch der Klan, eine Verwandtschaftsgruppe, die sich für das richtige Verhalten der Frauen verantwortlich fühlt. Manchmal kann die Willkür von Reaktionen auf sexuelle Grenzüberschreitungen heftiger ausfallen, wenn die Sicherheit der Gruppe bei diesen sonst kollektiven Entscheidungen fehlt.

Werden nicht künstlich Einzelfälle zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen hochstilisiert?

Strasser: Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Oft wird nicht angezeigt, weil die Täter eigene Familienmitglieder und emotional verbundene Menschen sind. Außerdem wird Gewalt oder Zwang vermutet, wo sie gar nicht vorkommen, weil sie bestimmten Gruppen einfach zugeschrieben werden. Drittens gibt es zu wenige Anlaufstellen, wo eine Frau sich zuverlässig erkundigen kann, was passiert, wenn sie den Schritt einer Anzeige wagt. Und viertens werden Anzeigen manchmal nicht ernst genommen.

Was wäre die Lösung?

Strasser: Es müssen Einrichtungen geschaffen werden. Zu sagen, dass da nur etwas hochgespielt wird, ist genauso wenig hilfreich, wie die Gewalt an Frauen und Kindern auf Zugewanderte abzuschieben. Die Gefahr des Übertreibens ist genauso groß wie die Gefahr des Wegschauens. Eine Studie zeigt, dass es unter den Beamten der Polizei sehr wohl ein Bewusstsein gibt, dass es Unterschiede im Umgang mit Gewalt geben muss, wenn Familien mit Migrationshintergrund betroffen sind. Vor allem brauchen die Beamten Sprachkenntnisse, um die Gewaltsituationen einschätzen zu können. Schulungen, Erfahrungsaustausch und Präventionsmaßnahmen sind wichtiger als neue Gesetze.

Das Problembewusstsein scheint zugenommen zu haben. Werden Ehrenmorde heute auch stärker als solche wahrgenommen?

Strasser: Ja, insgesamt wurde die Gewaltprävention verstärkt – dabei wurde auch die Frage aufgeworfen, ob Gewalt unter zugewanderten Familien andere Formen annimmt. So könnte die Wegweisung des Ehegatten unter Umständen nicht ausreichen, wenn die Gewalt von anderen Familienmitgliedern ausgeht. Will die Politik etwas ändern, sollte sie auf Populismus verzichten und statt rascher Lösungen langfristige Interventionen ermöglichen. (EWA AGATA DZIEDZIC)


ein Kommentar

  • Tanon

    Ehrenmord ist wirklich ein schwieriges Thema. Ich finde es gut dargestellt, dass ähnliche Taten auch in anderen Kulturen als der islamischen passieren. Man muss aber klar sehen, dass ein Ehrenmord begangen wird, um die Ehre vor Gott zu bewahren. Als nicht-gläubiger Mensch kann man das schwer nachvollziehen. Auf lange Sicht soll so evtl. der sittliche Verfall der Gesellschaft verhindert werden. In unseren Breitengraden ist dieser Zug schon abgefahren. Geschrieben um 9. Juni 2011 um 23:08 Uhr Antworten

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