Verbrechen: Tabuthema Ehrenmord

13.01.2009 | 20:09 | Günes Koc

Offizielle Statistiken, wie viele Frauen in Österreich im Namen der Ehre umgebracht werden, fehlen. Das Problem-Bewusstsein hat jedoch zugenommen.

Mord im Namen der Ehre. Für die Ehre des Mannes, der Familie, Mord an Frauen und Mädchen, um einen Ehrenkodex aufrechtzuerhalten. Ehrenmorde sind weltweit eine Tatsache, die nach einer UNO-Studie aus dem Jahr 2004 jährlich 5000 Frauen das Leben kostet.

Gewalt gegen Frauen hat unterschiedliche Formen. Der sogenannte Ehrenmord ist eine spezielle Form der Gewalt, die weltweit gesehen vor allem in traditionellen und streng hierarchisch patriarchal organisierten Familienstrukturen vorkommt. Auch in fast allen europäischen Ländern passieren Ehrenmorde. Erst in den letzten Jahren hat das Problembewusstsein dafür zugenommen. So werden Ehrenmorde stärker als solche wahrgenommen und Lösungsstrategien erarbeitet.

Allerdings variieren in den europäischen Ländern der Kenntnisstand über die Verbreitung von Verbrechen im Namen der Ehre, das gesellschaftliche Problembewusstsein sowie die bereits durchgeführten Maßnahmen und Strategien. „Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich weniger Ehrenmordfälle“, sagt Tamar Çitak von der Interventionsstelle Wien.

Frühzeitige Abschreckung

„Wir wissen aber, dass die Frauen in Österreich genauso von psychischer und körperlicher Gewalt bedroht sind. Aber die Kontrolle über Frauen in Österreich ist stärker.“ Der Grund dafür? „Österreich ist kleiner, deswegen ist es schwierig, anonym zu bleiben.“ Wenn die Eltern meinen, dass ihre Tochter von den für sie vorgesehenen Rollenbildern abweicht, würden sie aggressiv und schreckten das Mädchen schon „frühzeitig“ ab, meint Çitak. Gemäß dieser Logik der Abschreckung käme es dann erst gar nicht zum Äußersten.

„Zwangsheirat wird von den Familien meistens als Maßnahme für frühzeitige Disziplinierung und totale Kontrolle der Mädchen, der Frauen eingesetzt“, sagt Gül Ay?e Ba?ar?, von der Frauenberatungsstelle OrientExpress. „Es werden auch viele junge Frauen von ihren Familien in ihr Heimatland ,entführt‘, um sie dort mit dem von der Familie ausgesuchten Mann verheiraten zu lassen.“

In Wahrheit seien weder die Männer noch die Frauen an diesen Ehen wirklich interessiert. „Es ist ein pragmatisches Arrangement. Es werden über diese Ehen sowohl Exportbraut als auch Exportbräutigam ins Ausland gebracht. Meistens lassen sich die Paare dann im Nachhinein scheiden“, so Ba?ar?. Nach Çitaks Erfahrung, sie betreut seit über zehn Jahren Frauen in der Interventionsstelle, passieren immer wieder solche Fälle in Österreich, Statistiken darüber fehlen allerdings.

„Es gibt Frauen, die verloren gehen, von denen wir dann nichts mehr hören. Wir wissen nicht, wo sie sind. Es heißt dann oft, dass sie in ihr Heimatland zurückgekehrt sein sollen“, sagt Çitak, „aber ob das stimmt, wissen wir nicht. Wir fürchten, dass manche von diesen verschwundenen Frauen umgebracht werden und wir einfach davon nichts erfahren.“

„Wir haben schon von ein paar solchen Fällen gehört, die wir weder rechtlich noch polizeilich verfolgen konnten. Bekannte, Freundinnen von diesen Frauen haben uns ihre Vermutungen mitgeteilt, dass diese Frauen eigentlich nicht das Land verlassen haben, sondern umgebracht worden sind“, sagt Ba?ar?. „In solchen Fällen weiß man nicht, ob es die Angst und Einbildung der Frauen ist, oder ob diese Fälle tatsächlich stimmen.“ Es sei schwierig, im Ausland Erkundigungen einzuholen. „Die psychische und physische Gewalt, die Angst auslöst, ist der wichtigste Faktor dafür, warum die Frauen in solchen Fällen kontrollier- und erpressbar werden“, meinen beide Sozialarbeiterinnen und Frauenrechtlerinnen.

Mehr Betreuung nötig

Beide orten auch einen starken Bedarf an Betreuung und präventiver Opferschutzintervention – noch viel stärker, als er durch NGOs, Jugendämter und Frauenhäuser jetzt schon angeboten wird. „In den Bundesländern gibt es keine hinreichende Betreuung für Frauen. Die Jugendämter oder die Ausländer-Migranten-Beratungsstellen bieten den Frauen nicht genügend nachhaltige Unterstützung an“, meinen sie. „Ich betreue meine Fälle in der Regel langwierig und intensiv. Eine Betreuung und Unterstützung der Frauen in diesen Fällen ist notwendig“, sagt Çitak.

Mit dem Islam hätten Ehrenmorde übrigens nicht unmittelbar zu tun. Das Problem sei die traditionelle Einstellung, die Rollenbilder sind steif, und den Frauen wird die Hauptverantwortung für den Ruf der Familie zugemessen. „Es gibt auch Menschen aus anderen Religionen und ethnischen Gruppen, etwa Armenier, oder orthodoxe Christen aus Ägypten. Man kann dieses Problem nicht nur mit einer Religion identifizieren“, so Ba?ar?.

„Wir arbeiten auch mit Jugendämtern und Polizei zusammen, wobei auch die Unterstützung der Richter in vielen Fällen besonders wichtig wird“, sagt Çitak.

In einem Punkt sind sich die beiden Frauenrechtlerinnen einig, dass nämlich Österreich in der Betreuung und Maßnahmensetzung im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien noch einiges aufzuholen hat – sowohl rechtlich als auch was die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt betrifft.

(GÜNES KOC „Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.01.2009)


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