„Wie Juden lebten, nicht, wie sie gestorben sind“

28.01.2009 | 18:36 | Ida Labudovic

Mehrere Initiativen bemühen sich, das Leben von Holocaust-Opfern nachzuzeichnen. Die Vision des Wiener Wiesenthal Instituts ist es, Projekte wie dieses künftig regelmäßig zu ermöglichen.

Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau befreit. Ein Tag, der zum Gedenktag für den Holocaust wurde. Ein Gedenken, das während des gesamten Jahres von mehreren Organisationen hochgehalten wird.

Centropa Student: Vermittlung  jüdischer Geschichte

„Wir wollen zeigen, wie Juden gelebt haben, nicht, wie sie gestorben sind“, waren Edward Serottas einleitende Worte zum Film über Kitty und Otto Suschny. Auf großem Bildschirm gezeigt, beginnt die Geschichte eines jüdischen Ehepaars: Beide sind 1924 in Wien geboren, beide wuchsen im 20. Bezirk auf, nur ein paar Straßen voneinander entfernt. Doch damals kannten sie einander noch nicht. Als Juden müssen sie 1938 aus Wien flüchten, um ihre Leben zu retten. Erst acht Jahre später kehren sie zurück. Da kreuzen sich ihre Wege. Von da an konnten sie sich nicht mehr voneinander trennen.

„Für unser Bildungsprojekt Centropastudent produzieren wir fesselnde, persönliche Kurzfilme, die auf Fotos und Geschichten unserer Interviews basieren“, sagt der gebürtige Amerikaner Serotta, der seit 1999 in Wien das Centropa leitet – das erste Oral-History-Archiv, das jüdische Lebensgeschichten und alte Familienfotos sammelt.

Centropastudent, das Bildungszentrum für jüdisches Leben im Mittel- und Osteuropa des 20. Jahrhunderts, basiert auf dem Forschungsmaterial von Centropa. Seit 2000 haben 60 Historiker, Redakteure und Übersetzer 1350 Interviews mit Juden in 15 Ländern Europas und in der Türkei durchgeführt und in ein Online-Archiv gestellt.

Fabian Rühle, Koordinator des Bildungsprojekts, der mit jüdischen und nichtjüdischen Lehrern zusammenarbeitet, erklärt: „Die Filme werden nicht nur an interessierte Lehrer geschickt, wir bringen diese Pädagogen im Rahmen von Schulungsseminaren zusammen, wo über die besten Methoden diskutiert wird, wie diese Filme und Biografien aus dem Centropa-Archiv im Unterricht eingesetzt werden können.“

www.centropastudent.org

Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien

Anfang 2009 eröffnete das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, das bisher von der Kultusgemeinde administriert wurde, ein eigenes Büro. Bis 2012 sollen die Archivbestände für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ein Workshop zum Thema „Perspektiven der Holocaustforschung“ ist im Herbst in Wien geplant.

„Wir haben bewusst den Begriff Holocaust-Studien gewählt. Er schließt auch die Vorgeschichte ein, die Rahmenbedingungen sowie den Antisemitismus und Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart“, sagt Geschäftsführer Ingo Zechner. Bestände des Archivs der Kultusgemeinde, die über Jahrzehnte nicht zugänglich waren, wurden bereits für ein Projekt genutzt, um jüdisches Leben nachzuzeichnen. Studenten der Universität Wien haben Namenslisten, Karteien und sonstige Dokumente aus diesem Archiv ausgewertet, um das Leben der Einwohner zu rekonstruieren. Die von einer Kulturinitiative im 15. Bezirk organisierte Ausstellung „Das Dreieck meiner Kindheit“ im Herbst 2008 konnte auf diesen Vorarbeiten aufbauen.

Die Vision des Wiener Wiesenthal Instituts ist es, Projekte wie dieses künftig regelmäßig zu ermöglichen und mit dem Material andere Fragestellungen zu entwickeln. Dazu ist die Schaffung einer Infrastruktur nötig – mit Benutzerraum, elektronischer Datenbank sowie wissenschaftlichem Personal für Einzelgespräche und Vorträge. Das Institut wird Publikationen, Ausstellungen sowie Führungen für Schulklassen und Besuchergruppen mit Interesse für das Thema Holocaust und Antisemitismus anbieten.

www.vwi.ac.at

Yad Vashem –Israels zentrale Gedenkstätte

Neben einem pädagogischen Konzept zur altersgerechten Vermittlung der Shoah hat Yad Vashem in Jerusalem jüngst auch eine Richtlinie zur Auseinandersetzung mit Antisemitismus entwickelt. „Israels zentrale Gedenkstätte für Holocaust und Heldentum“, so der offizielle Name, ist in den mehr als fünf Jahrzehnten seines Bestehens zu einem Komplex der Erinnerung an die im Holocaust umgekommenen Juden geworden.

„Der Holocaust soll als Geschichte von Menschen, nicht als Geschichte namenloser Opfer vermittelt werden“, sagt Historikerin Susanne Y. Urban, die die pädagogische Arbeit von Yad Vashem im deutschsprachigen Raum vertritt. „Es ist wesentlich, den Menschen ihre Namen und Gesichter und damit ihre Individualität zurückzugeben.“ 2002 wurde in Yad Vashem ein Manifest der Überlebenden verabschiedet. Dort heißt es unter anderem: „Wir übergeben euch auch die grundlegende Lehre des Judentums, dass die Erinnerung begleitet sein muss von tätiger ethischer und moralischer Intention. Dies muss das Fundament und der Fokus eurer Energien sein, um eine bessere Welt zu schaffen.“

www.yadvashem.org

„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.01.2009


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