Alex Jürgen – Zum Mädchen operiert

INFO
  • Website von Alex Jürgen: Hier finden Betroffene und deren Eltern Informationen und Unterstützung.
 
ZUM THEMA
  • Erstmals findet in Österreich am 8. November, 18.00 Uhr, der Intersex Solidarity Day statt. An der Universität Salzburg werden Expert_innen und Betroffene miteinander diskutieren. Organisiert wird die Veranstaltung von HOSI (Homosexuelle Initiative) Salzburg, die sich für die Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transidenten und intersexuellen Menschen einsetzen. Dieses Jahr wurde zum ersten Mal in Österreich der Posten einer Intersex-Beauftragten geschaffen, den die  Sexualpädagogin Gabriele Rothuber bekleidet.
  • Hintergrund: Das Personenstandsgesetz in Deutschland wurde geändert. Wenn ein Kind nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, muss der Geschlechtseintrag offen bleiben oder es kann nur ein X eingetragen werden. Die neue Regelung ist wegen dem "Zwangsouting" umstritten.
 
  • Mit dem Kinofilm TINTENFISCHALARM (siehe youtube Link im Text) im Jahre 2006 outete sich Alex.
   

05.11.2013 | 20:38 | Clara Akinyosoye

Zum Mädchen operiert. Alex Jürgen ist ein Sprachrohr für die Rechte und Anliegen intersexueller Menschen in Österreich. 

Es hat wohl Seltenheitswert wenn jemand die eigene Vagina als „verrottet“ bezeichnet. Auch kommt es in den meisten Fällen einer Grenzüberschreitung gleich, wenn sich ein Journalist bemüßigt fühlt, sich über die Genitalien seines Gesprächspartners  zu erkundigen. Mit Alex Jürgen ist das ein wenig anders. Denn Alex Jürgen ist intersexuell und verbringt viel Zeit damit die Gesellschaft für die bloße Existenz und die Belange von intersexuellen Menschen zu sensibilisieren. Und das ist keine leichte Aufgabe, denn in Österreich ist Zweigeschlechtlichkeit immer noch ein Tabuthema.

Doch auch hierzulande werden Intersex-Kinder mehrfach Genitaloperationen unterzogen um sie einem Geschlecht anzupassen. Mitunter gehen spätestens im Erwachsenenalter physische und psychische Probleme damit einher. Während  Kritiker_innen wie Alex Jürgen eine Verletzung der Menschenrechte sehen, orten viele Mediziner_innen darin notwendige Heilbehandlungen um Krankheit und Identitätsprobleme abzuwenden. Schätzungen zufolge werden in Österreich jährlich etwa 20-25 intersexuelle Kinder geboren. Die Dunkelziffer soll aber höher liegen.

Jürgen wird Alexandra

Zurück zu Alex Jürgen: 1976 kommt ein Kind zur Welt. Es wird auf Jürgen getauft. Und wenn man das Personenstandsregister zu Rate zieht, ist dort vermerkt, dass Alex Jürgen ein Mann ist. Doch das war nicht immer so. Denn Jürgen ist ein intersexuelles Kind. Sein Penis ist ungewöhnlich klein, seine Hoden befinden sich im Bauchraum. Den Eltern sagen die Ärzt_innen, dass Jürgen nie ein erfülltes Sexleben wird haben können, dass ihm Brüste mit Haaren wachsen werden und er ein hohes Risiko hat an Hodenkrebs zu erkranken. Der folgenschwere Rat: sie sollen Jürgen als Mädchen aufziehen. Von da an wird Jürgen, Alexandra genannt. „Mit sechs haben sie mir den Penis amputiert und mit zehn waren die Hoden weg“, erzählt Alex Jürgen. Alexandra wird ihre Intersexualität verschwiegen, sie wird mehrfach operiert, bekommt weibliche Hormone und mit 16 eine künstliche Vagina.

Drogen, Depressionen, Koma

Eine Nebenwirkung der Operation: Alexandra wird inkontinent. Der Teenager leidet, wird drogenabhängig, bekommt Depressionen und unternimmt einen Selbstmordversuch. Alex erkrankt später an Leukämie, fällt ins Koma aber überlebt. Mit 26 entscheidet Alexandra sich dazu nicht mehr als Frau leben zu wollen und lässt sich die Brüste amputieren. Ab jetzt heißt Alexandra, Alex Jürgen und setzt sich für die Rechte von zwischengeschlechtlichen Menschen ein.

Alex hat zwar eine Einzelhandelslehre und einen Pflegehelferlehrgang abgeschlossen und eine Ausbildung zum Kaufmann für multimediales Gestalten, zum Behindertenberater und NLP-Resonanzcoach gemacht doch ist wegen der Krankengeschichte bereits in Frühpension. Aber Alex ist inzwischen zu einer Ansprechperson für Intersexuelle und Eltern mit intersexuellen Kindern geworden und plädiert dafür, dass intersexuelle Kinder nicht operiert werden dürften. Zum eigenen Körper hat Alex Jürgen kein gutes Verhältnis. „Ich frage mich oft, wie ich aussehen würde, wenn man mich nicht so hergerichtet hätte. Mein Körper ist etwas, das von anderen gebastelt worden ist.“

„Verrottete Vagina“

Alex Jürgen scheint ein Trauma davon getragen zu haben. Der Gedanke einen Arzt aufzusuchen –  eine Tortur für Alex. Doch notwendig wäre es jedenfalls, räumt Alex ein. Einen Menschen danach zu fragen, wie es um seine Genitalien bestimmt ist, verletzt in den meisten Fällen die Regeln des Anstands. Doch Alex spricht frei und offen darüber und ungeschönt. Nichts für zart besaitete. Die Vaginalplastik müsste dringend untersucht werden weil sie Alex seit Jahren nicht benutzt und pflegt. Die künstliche Vaginalhaut zu pflegen hieße sie täglich mit einer Östrogencreme einzuschmieren. „Das heißt, ich müsste mir jeden Tag den Finger einführen. Ich bin übersättig, mir irgendwas da rein zu stopfen. Das Ding da an meinem Körper wird ignoriert.“ Weil Alex die künstliche Vagina nicht pflegt, gleiche die Vaginalhaut der einer 80 Jährigen. Schlichtweg “verrottet“, sagt Alex und meint damit die eigene Vagina. Aber als etwas Eigenes, Natürliches hat Alex sie ohnehin nie empfunden. Vielmehr als unerwünschten Fremdkörper – aufgezwungen und aufgedrängt.


ein Kommentar

  • Frances Kreuzer

    Alex und ich kennen uns persönlich. Alex war schon mit dem Film "Tintenfischalarm" am Drehen als ich bei weitem noch nicht so weit war. Frances Kreuzer Geschrieben um 6. November 2013 um 17:33 Uhr Antworten

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