Doppelt hartes Schicksal: Migrant und behindert

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17.03.2010 | 18:42 | Clara Akinyosoye

Behindertenhilfseinrichtungen richten ihre Angebote zunehmend nach Zuwanderern aus.

Migrant sein und behindert? „Diese Gruppe hat es nicht leicht.“ Predrag Radic weiß, wovon er redet. Er ist Berater im Institut für Bildung, Entwicklung und Forschung (IBEF), das sich auch der Weiterbildung von Menschen mit Behinderung widmet. Aus seiner Erfahrung weiß er, dass Migranten mit Behinderungen mitunter differenziertere Unterstützungen nötig haben als Menschen ohne Migrationshintergrund.

Das geht von der Information, wo Hilfe und Förderungen zu beantragen sind, bis hin zu mehrsprachlichen Beratungen und dem Einsatz von Dolmetschern. Das IBEF hat derartige Angebote für Migranten. Es bietet Berufsorientierungskurse, EDV- und Sprachkurse (Deutsch, Türkisch, Bosnisch, Serbisch, Kroatisch, Arabisch, Spanisch, Rumänisch, Italienisch, Tschechisch und mehr) für Blinde und Sehende an.

Migranten können hier ihre eigene Schrift und Sprache lernen – in ihrer Muttersprache. Beim IBEF arbeiten Menschen mit und ohne Behinderungen sowie mit und ohne Migrationshintergrund, Frauen und Männer.

Auch bei den Kunden gibt es eine solche Vielfalt: „Wir leben Diversity, wir sprechen nicht davon“, sagt Trainer Gerhard Reisel. Auch „Inklusion“ wird in diesem Bildungsinstitut großgeschrieben. Das bedeutet, dass alle Kunden – Behinderte und Nichtbehinderte – gemeinsam lernen.

Im Zweifel hilft man ohne Geld

Und selbst wenn nur eine Person Interesse an einem Kurs hat, wird er abgehalten. Aus ökonomischer Sicht Nonsens, doch das kümmert das Team, das sich selbst finanziert, nicht im Geringsten. Im Zweifel arbeiten die Trainer eben völlig ehrenamtlich. In dieser Gesellschaft sei ohnehin „alles kalkuliert“, sagt Radic, „Ich geb dir, aber zuerst gibst du mir.“ Doch darüber sollte man eines nicht vergessen, nämlich „Mensch sein“.

Ein völlig anderes Problem hat Johanna Ilkow von der Lebenshilfe Graz erforscht: „Dienstleistungen müssen immer kundengerecht sein“, sagt sie – und spielt damit auf Behindertenhilfeeinrichtungen an, die auch von Migranten barrierefrei in Anspruch genommen werden können. Ilkow beschäftigte sich von 2007 bis September 2009 im Rahmen des EU- Projekts „All inclusive“ mit diesem Thema. Ziel war es, die Dienstleistungen der Behindertenhilfe zu evaluieren, „zu schauen ob sie gekannt werden und für Migranten passend sind“, so Ilkow.

Dabei stellte sich heraus, dass die entsprechenden Einrichtungen bei Migranten oft nur wenig bekannt waren, dazu kamen sprachliche und soziale Barrieren. Viele hätten gar keine Vorstellung davon, was die Einrichtungen eigentlich tun und Hemmungen, die angebotenen Hilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, meint Ilkow. Im Zuge des Projekts entstand ein Handbuch für Mitarbeiter von Behinderteneinrichtungen, zudem wurde ein Onlinekurs zur Förderung interkultureller Barrierefreiheit eingerichtet.

Die Lern- und Adaptionsbereitschaft bei Behindertenhilfeinstitutionen sei groß, sagt die Expertin von der Grazer Lebenshilfe. Viele Einrichtungen stellen sich langsam auf die Bedürfnisse von Migranten mit Behinderungen ein.

„Sie sind nicht allein“

Was für die einen Neuland ist, ist für den Verein „Viele“ in Salzburg, der sich um Frauenanliegen kümmert, schon Routine. Die Mitarbeiter fördern und unterstützen Migranten mit Sprachkursen, Lern- und Integrationshilfen. Für Mütter mit beeinträchtigten Kindern gibt es eine kostenlose Selbsthilfegruppe, dazu muttersprachliche Beratung und Unterstützung in allen Lebenslagen, etwa bei Behördengängen oder Arztbesuchen. „Manche Eltern kommen mit einer Diagnose vom Arzt, wie etwa Autismus“, sagt Geschäftsführerin Angela Lindenthaler – und wüssten gar nicht richtig, was das für ihr Kind bedeutet. „Die doppelte Belastung ist schlimm genug. Wir wollen ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.“

(CLARA, AKINYOSOYE, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.03.2010)


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