Drogen: Spezielle Therapien für Migranten

AUF EINEN BLICK
  • Drogen und Migration: Die Datenlage beruht vor allem auf Hochrechnungen und Schätzungen. Der Anteil der Klienten mit Migrationshintergrund, die illegale Drogen konsumieren, schätzt man beim Verein Dialog auf 20 und 30 Prozent.
  • Wien: Die Drogenkoordination hat 2009 abhängige Klienten befragt– mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Drogensüchtigen aus EU-Ländern 4 Prozent, aus Nicht-EU-Ländern 12 Prozent beträgt.

10.05.2011 | 21:04 | Ania Haar

Drogenkonsum unter Migranten ist vor allem wegen des kulturellen und religiösen Hintergrundes ein tabuisiertes Thema. Daher sind spezielle Behandlungskonzepte notwendig und Berater mit Migrationshintergrund.

Wien. „Meine Mutter weiß von nichts“, sagt Mustafa (Name geändert). „Wenn sie das wüsste, würde sie sich so schämen.“ Für die gläubige muslimische Familie wäre es jedenfalls eine Schande. Für Mustafa ist es sein Leben. Er weiß nicht mehr genau, wie lange er schon süchtig ist. „Zwölf oder 13 Jahre werden es schon sein.“

Er hat vieles probiert, auch „kistenweise Heroin“. Und er ist schon therapiert worden. Allerdings ohne Beisein seiner Familie. Das wäre in seinem Fall wahrscheinlich aber einen Versuch wert gewesen.

Bereits Ende der 80er-Jahre hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Drogengefährdung unter Migranten aufmerksam gemacht. Seitdem geht die Entwicklung entsprechender Konzepte schleppend voran. In Deutschland haben die speziell auf Migranten zugeschnittenen Angebote der Suchthilfe eine längere Tradition als in Österreich. Dort hing sie mit der Rückwanderung der Russlanddeutschen zusammen.

„Ich war 13 Jahre alt, als wir nach Österreich gekommen sind. Über meine Probleme konnte ich mit der Familie nicht reden“, sagt Mustafa. Der Vater legt ihm und seinen sechs Geschwistern nahe, sie sollten gut Deutsch lernen und mit anständigen Leuten verkehren. Die große Familie wohnt auf einem kleinen Fleck zusammen. Irgendwann hält er es in der Enge nicht mehr aus, bricht die Schule ab und geht von der Steiermark nach Wien.

Hier gerät er an falsche Freunde. „Wenn ein Schafsjunges von der Herde weggeht, wird es vom Wolf gefressen“, lautet ein türkisches Sprichwort – frei von Mustafa übersetzt. Er sei zu jung weggegangen. Ein klassisches Migrantenschicksal – bei dem ein migrationsspezifisches Behandlungskonzept unter Umständen hilfreich sein könnte. „Ein solches Behandlungskonzept gibt es aber nicht“, sagt Christof Zedrosser, psychosozialer Leiter des Vereins Dialog, „weil jede Suchtbehandlung für den jeweiligen Klienten individuell abgestimmt sein muss.“

Der Migrationsaspekt wird aber sehr wohl berücksichtigt. War die Migration gut vorbereitet? Erfolgte sie aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen Verfolgung? Sind damit verbundene dramatische Erlebnisse bereits verarbeitet? „Benötigt werden Behandlungsformen, die auf die jeweiligen Kulturkreise zugeschnitten sind“, sagt Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien. „Die Grundbehandlung ist aber bei allen gleich.“

Stadt oder Land?

Zur kulturellen Ebene kommen, neben all den Themen wie Ausbildungssituation, persönliche und berufliche Perspektiven, aber auch noch rechtliche Probleme, die es schwierig machen können, aus der Abhängigkeit herauszukommen. „Es spielt selbstverständlich eine Rolle, wie und wo eine Person aufgewachsen ist, in der Stadt oder auf dem Land“, so Zedrosser, „das ist aber bei den Inländern auch nicht anders.“

„Schwieriger wird es manchmal“, erklärt er, „wenn es um die Beratung von Angehörigen geht.“ Oft übersetzen bei der Beratung anwesende Familienmitglieder selbst. Was für die Beratungssituation eine Herausforderung ist. „Mit Dolmetschern, aber auch mit Reinigungspersonal, das gerade mal da ist“, sagt Musalek, „ist es nicht getan.“ Benötigt werde bei dieser Arbeit kulturelles Verständnis.

Die interkulturelle Thematik ist bei der Drogenhilfe seit einigen Jahren ein präsentes Thema. „Wir sensibilisieren unsere Mitarbeiter auf kulturelle Unterschiede“, sagt Zedrosser: „Dass beispielsweise die Umstände der Migration beim Einstieg oder der Aufrechterhaltung des Konsums eine wichtige Rolle spielen.“ Auch konsumieren einzelne Migrantengruppen anders. So ist etwa bei Türken das Folienrauchen von Opiaten wesentlich weiter verbreitet als die intravenöse Einnahme. „Seit 2008 versuchen wir – gemeinsam mit dem Institut für Suchtprävention –, in den Dialog mit der türkischen Community zu treten“, sagt Zedrosser, „um Präventionsansätze zu entwickeln.“

Arbeit mit Imamen

Dazu gehört auch eine Schulung der Imame und islamischen Religionslehrer. Heuer geht das Projekt in die zweite Phase über. Grundsätzlich ist es aber ein längerer Weg herauszufinden, welcher Zugang zu der jeweiligen Community der beste ist, und welches Thema offiziell angesprochen werden darf.

„Dialog zwischen den Kulturen ist uns ein großes Anliegen“, sagt Zedrosser. Aber auch: Bedarf an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund aus den Hauptkulturkreisen, diese sind schwer zu finden. „Es müssen auf jeden Fall entsprechende Angebote für Migranten geschaffen werden“, sagt Musalek, „weil sie dann auch zur Behandlung kommen.“

(ANIA HAAR, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 11.05.2011)


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