Erstes Opfer: „Franz Fuchs war kein Rassist“

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  • August Janisch lebt seit 13 Jahren im Stift Rein, dem ältesten Zisterzienser Kloster der Welt. Am 3. Dezember bekam er von dem Terroristen Franz Fuchs die erste Briefbombe. Der 71-Jährige war damals für sein Engagement für Flüchtlinge bekannt. Er trug Verletzungen an Gesicht und Hand davon. Im Kloster ist August Janisch für die Öffentlichkeitsarbeit und Besucherführungen zuständig.
  • Stift Rein

03.12.2013 | 12:32 | Clara Akinyosoye

INTERVIEW. Heute vor 20 Jahren hat der Terror des Bombenlegers Franz Fuchs seinen Anfang genommen. Am 3.Dezember 1993 erhielt August Janisch, Pfarrer in Hartberg, eine Briefbombe des Terroristen. Janisch war besonders in der Steiermark für sein Engagement für Flüchtlinge bekannt. Die Briefbombe explodierte in den Händen des Pfarrers und verletzte ihn an der linken Hand und im Gesicht. Bis Fuchs 1997 im Rahmen einer Verkehrskontrolle zufällig geschnappt wurde, hatte er 25 Sprengsätze verschickt bzw. gelegt, vier Menschen getötet und 15 verletzt. Fuchs wurde im Jahr 2000 zu lebenslanger Haft verurteilt und beging im Gefängnis Selbstmord. Die Bomben gingen stets an Migranten, Angehörige von ethnischen Minderheiten oder an Menschen, die sich für diese Gruppen engagierten. Clara Akinyosoye hat August Janisch im Stift Rein besucht, wo er seit 13 Jahren als Mönch lebt. Er erklärt warum er nicht glaubt, dass Franz Fuchs ein „Ausländerhasser“ war und ihm der Terrorist mit seiner Bombe eigentlich einen Dienst erwiesen hat.

M-MEDIA: Es ist jetzt 20 Jahren her, dass Sie eine Briefbombe von Franz Fuchs erhalten haben. Wie gut können Sie sich noch an diesen Tag erinnern?

August Janisch: Sehr gut. Es war ein Freitag, 11.05 Uhr. Ich bin in die Pfarrkanzlei gekommen und die Sekretärin hat gesagt, dass wieder ein paar Kosovo-Albaner auf mich warten. Ich wollte nur noch die Post anschauen. Da war ein etwas dickerer Brief. Den hab ich mit einem Brieföffner geöffnet und in dem Moment ist das Ganze explodiert. Das war wirklich eine Detonation. So wie ein Kugelschuss. Es war Metall und Plastik im Brief und das hat es in alle Richtungen zerstreut. Finger, Kinn und Hals waren verletzt. Die Brillen hat‘s mir vom Gesicht runtergehaut. Aber sonst war nichts.

Haben Sie in dem Moment verstanden was da passiert ist?  

Ja. Mein erster Gedanke war, weil ich jetzt etwas gegen die Serben gesagt habe, wollen die mich bestrafen. Denn damals war grad Jugoslawien-Krieg. Große Spannungen zwischen Kosovo-Albanern und Serben und da hab ich mich einige Male – auch in den Medien –kritisch zu Wort gemeldet.

Wann haben Sie gemerkt, dass das nichts mit dem Krieg zu tun hat?

Gleich als die nächsten Bomben explodiert sind. Der nächste Gedanke war, dass das eine nationale Untergrundgruppe in Österreich war. Also aus dem Milieu um Jörg Haider, irgendeine nationalsozialistische oder nationale Gruppierung in Österreich.

Was ist eigentlich unmittelbar nach der Detonation passiert?

Alles hat stark geblutet. Meine Sekretärin hat die Rettung gerufen und ich hab mich in ihrer Kanzlei hingesetzt. Man hat mir gesagt, ich sei im Gesicht komplett blass gewesen. Aber ich war nicht bewusstlos. Dann ist die Rettung gekommen und wir sind ins Spital in Hartberg gefahren. Zu Mittag ist in den Nachrichten gekommen, dass in Wien im ORF eine Briefbombe bei Silvana Meixner explodiert ist. Da war von Hartberg noch überhaupt keine Rede.

Sind Sie Franz Fuchs jemals persönlich begegnet?

Nein, aber ich hab es zwei Mal probiert. Das eine Mal war, wie er im Spital war und das zweite Mal, als er schon im Gefängnis gesessen ist. Aber er hat ja nicht einmal mit seinem Bruder Kontakt gesucht.

Was wollten Sie denn tun wenn Sie ihm begegnen?

Mein Gott, einfach reden. Er war ja ein armer Mensch. Ein ganz armer Kerl, der so gescheit war und sein Wissen nicht positiv einsetzen konnte. Der mit seinem Können und Wissen nicht einmal sein Brot verdienen konnte.

Von einem Pfarrer erwartet man ja keinen Groll, aber Sie haben ihm doch sehr schnell verziehen…

Das war überhaupt keine Frage für mich. Das war vom ersten Augenblick an klar. Ich habe von einem ORF-Journalisten erfahren, dass Franz Fuchs der Täter ist. Und schon damals habe ich gesagt, dass das ein „armer Kerl“ ist. Ich hatte überhaupt keine Hassgedanken. Für mich war gar keine Verzeihung notwendig. Diese Wunden, die ich gehabt habe, die waren nicht der Rede wert.

Was geht einem da durch den Kopf wenn merkt: da gibt’s jemanden, der will mich töten?

Das hat mich sehr mutig gemacht. In keiner Weise eingeschüchtert. Ich hab gewusst, dass ich jetzt noch stärker werden und noch mehr reden muss. Ich habe mir gedacht: wenn ich schon ausgesucht bin für so eine Bombe, muss ich jetzt auch etwas sagen. Und das hab ich getan. Ich mach‘s bis heute.

Also hatten Sie nicht einmal einen Moment, in dem sie gedacht haben, Sie sollten sich vielleicht ein wenig zurückziehen?

Nein, das war bei mir nie der Fall. Ich hab auch durch die vielen Gespräche – auch mit den Medien, die ja ständig da waren – gemerkt, wie wichtig das ist. Die haben sich gefreut, dass es einen Pfarrer gibt, der was sagt.

Es wirkt als hätte der Anschlag auf Sie gar keinen Eindruck gemacht…

Das hat mich wirklich nur bekräftigt.

Sie wurden ein paar Tage nach dem Anschlag schon wieder in den Medien zitiert, wo sie Forderungen an die Politik gestellt haben…

Selbstverständlich. Ich hab wie wenige in Österreich, die Flüchtlingsszene wirklich an der Basis gekannt. Und auch erfahren, wo der Schuh drückt. Und ich hab das an die Politik weitergeleitet und nichts ist passiert.

Könnte man sagen, dass Franz Fuchs Ihnen mit seiner Bombe geholfen hat, die Themen, die Ihnen wichtig waren, in die Öffentlichkeit zu tragen?

(lacht) Ja, die mir dadurch wichtig geworden sind. Weil wer hätte sonst nach dem Pfarrer August Janisch gefragt? Niemand. Jetzt habe ich die Möglichkeit gehabt etwas zu sagen und man hat mich gefragt. Ich war plötzlich interessant für die Medienleute.

Was waren die Probleme, die Sie damals an der Basis mitbekommen haben?

Die Unterbringung in den verschiedenen Quartieren war schlecht. Man hat die Menschen in das Quartier hingesetzt und sich gedacht: „ihr habts ein Dach über den Kopf und Essen. Fertig.“ Sie hatten aber keine Kleidung, keine Schnuller für Babys, keine Betreuung und sie waren unsicher wie es mit ihnen weitergeht. Wir haben in Hartberg erstmals über die Katholische Aktion einen Flüchtlingsbetreuer angestellt. Zum Teil finanziert von der Caritas zum Teil vom Innenministerium. Bis 1992 hatten wir vier Betreuer. Das Innenministerium hat dann irgendwann gesagt, die brauchen wir doch nicht. Ich hab das ein paar Wochen oder Tage vor dem Anschlag auch ich den Medien kritisiert. Ich glaube, Franz Fuchs ist damals auf mich aufmerksam geworden.

Wer war der Mensch Franz Fuchs für Sie?

Ich glaube, er hat sehr gut Theater gespielt. Er wollte einfach sagen: „Ich kann was. Ich bin wer und jetzt werdet ihr alle so tanzen wie ich spiele.“ Er hat seine Freude gehabt und beobachtet wie die Welt nach seiner Musik tanzt. Und ich glaube sogar, er war kein Ausländerhasser. Er hat nur irgendeinen Aufhänger gebraucht. Er hätte das auch an irgendeinem anderen Thema aufhängen können – zum Beispiel am Adel. Nur das war damals kein Thema aber Ausländer waren es. Auch wegen Jörg Haiders Ausländer-Volksbegehren, das sicher eine Wende dargestellt hat. Da hat es geheißen „das Boot ist voll“. Darum hat er das an diesem Thema aufgehängt und konsequent bis zum letzten, bis zur Verhandlung, wo er so gebrüllt hat, durchgezogen.

Aber Sie haben ihm das nicht abgenommen?

Ich hatte nie ein Gespräch mit ihm aber ich glaube, das ist großartig gespielt gewesen. Ich sehe den Ausländerhass auch nicht in seiner Lebensgeschichte. Er hatte einmal eine Beziehung mit einer Slowenin, die kaputt gegangen ist aber deswegen werde ich doch nicht zum Ausländerhasser.

Hat die Bombe in Ihrem Alltag etwas verändert?

Ich hab die Post schon genau angeschaut aber es war mir klar, dass ich keine zweite kriege.

Wie groß war die Erleichterung als Sie erfahren haben, dass Franz Fuchs der Täter ist?

Groß – nicht nur bei mir. In ganz Österreich. Man hat gemerkt, es ist keine Gruppe, die aus dem Untergrund schießt, sondern eine arme, armselige Geschichte. Es gab eine große Unsicherheit. Ich wusste ja nicht wer dahinter steckt. Irgendjemand von der SPÖ, nur die Freiheitlichen oder irgendwelche Gruppierungen.

Haben Sie für Franz Fuchs gebetet?

Nein, ich glaube nicht.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie dem Tod nochmal entkommen sind? Andere hatten nicht so viel Glück.

So, klar war es mir nicht. Ich war der Erste und da hat es noch nicht die Toten in Oberwart (Anm.: Vier Roma starben durch eine Rohrbombe) gegeben. Er hat seine Briefe ja auch sehr genau dosiert. Er wollte eigentlich nicht töten. Er wollte nur verletzen. Diese Tränen und die Erschütterung bei dem Prozess wegen Oberwart – ich glaube ihm das.

 


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