Experten: Notstand bei Gesundheit von Migranten

KURZ:

  • Daten: Menschen mit Migrationshintergrund beugen gesundheitlich weniger vor als der Rest der Bevölkerung, sagt eine Studie des Österreichischen Integrationsfonds. Gründe dafür sind zu wenig Wissen über Präventionsmaßnahmen, aber auch religiöse Barrieren.
  • Handbuch: Die Wiener Ärztekammer hat im November 2011 einen Leitfaden und ein Handbuch präsentiert, das Medizinern beim Umgang mit Migranten helfen soll.

29.03.2012 | 9:30 | Nermin Ismail

Die Durchimpfungsrate ist bei Menschen mit Migrationshintergrund zu gering. Es fehlt vor allem an Wissen und Gesundheitsbewusstsein. Gesundheitsexperten schlagen staatlich finanziertes Impfprogramm vor.

Wien – „Migranten müssen sich wohlfühlen, damit sie sich integrieren“, meint Universitätsprofessor Herwig Kollaritsch.  Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit 1948 als „ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“ Migrationserfahrung stellt ein einschneidendes Erlebnis im Leben eines Menschen dar. So verändern sich die Lebensbedingungen durch den langfristigen Wechsel des Wohnortes, wie auch die sozioökonomische Lage und die Gesundheit. Die Auswirkungen der Migration können sich in psychischer wie auch in physischer Hinsicht propagieren. Migration kann aus verschiedenen Gründen erfolgen, aus freien Stücken oder gezwungenermaßen im Sinne von Flucht. Trennung der Familie, Gewalt, Missbrauch oder gar Krieg können Ursachen für psychische Belastungen sein. Nicht nur Migranten selbst, sondern auch die zweite Generation ist davon betroffen. „Wir kennen das aus Europa durch die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs auch“, verdeutlicht der Allgemeinmediziner Wolfgang Spiegel von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Auch hier lassen sich psychische Störungen im Familienverband nachverfolgen. Außerdem kann die psychische Belastung gleichermaßen durch ständige Fremdverortung, diskriminierende Erlebnisse und fehlende Anerkennung entstehen oder dadurch verstärkt werden. Menschen mit Migrationshintergrund werden aufgrund der vermeintlichen Migrationserfahrung stigmatisiert und sind somit psychischen Störungen ausgesetzt.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Datenlage zur Migrantengesundheit nicht zu wünschen übrig lässt, ist die Erforschung der Gesundheit von Migranten in Österreich dürftig und seit 2003 sehr mager. Die letzte öffentliche Datensammlung stellt  die 2006/2007 von der Statistik Austria erhobene Gesundheitsbefragung dar.

Sensibilisierung im Gesundheitsbereich

„Leute, die zu uns kommen haben besseres verdient, als das was wir ihnen im Moment anbieten“, meint Kollaritsch. Die Situation der Gesundheitsversorgung hätte ebenfalls Einfluss auf die gesundheitliche Lage von Migranten, heißt es vom Zentrum für Migration und Gesundheit an der Donau-Uni Krems. Einerseits muss ausreichendes Systemwissen über das Gesundheitswesen, die so genannten health literacy, vorhanden sein, um die vorhandenen Leistungen auch in Anspruch nehmen zu können. Und andererseits müssen die spezifischen Bedürfnisse von Migranten im Gesundheitswesen berücksichtigt werden, um adäquate Gesundheitsversorgung bieten zu können. „Wenn wir Gesundheitsstrategien entwickeln sind die primär für die österreichische Bevölkerung“, erklärt Kollaritsch. Doch machen Menschen mit Migrationshintergrund einen großen Teil dieser aus und man müsse „klar Bedacht auf sie nehmen und nicht nur auf die Einheitsbevölkerung“. Das Personal müsse hiermit also sensibilisiert werden. Dieser Gedanke wurde unter anderem im Integrationsbericht vom Expertenrat aufgenommen. Hier wurde die Erhöhung des Diversitätsbewusstseins im Gesundheits- und Pflegebereich und die damit einhergehende Weiterbildung von interkulturellen Kompetenzen vorgesehen.

Impfschutz bei Migranten/ Erhöhtes Risiko für impfpräventable Erkrankungen

Migranten trachten danach, regelmäßig ihr Herkunftsland zu besuchen und „verstehen oft das Risiko einer Infektionskrankheit nicht, da das Gefühl der Exotik, die Schwellenangst nicht gegeben ist“, so der Tropenmediziner Kollaritsch. Obwohl sich seit 2008 generell ein sinkender Trend in der Impfentwicklung zeigt, ist die Gruppe der Migranten sehr stark davon betroffen. „Das beste Impfprogramm taugt nicht, wenn die Akzeptanz fehlt“, ist Pamela Rendi-Wagner, Leiterin der Sektion III im Bundesministerium für Gesundheit, überzeugt. Deswegen sollen zur Verbesserung der Impfversorgung staatlich finanzierte Catch-Up Impfprogramme eingerichtet werden. Durch Aufklärungs- und Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen soll die Impfversorgung forciert werden.

Schlüsselfunktion der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund

Die Sprache kann beim Arzt zum Problem werden. „Wenn jemand Beschwerden hat, sie aber nicht in Worten fassen kann, ist es schwer eine Unterstützung zu finden“, exemplifiziert Spiegel. Die Studentin Nadine S. begleitet ihre Eltern nur selten zum Arzt. „Wien ist derart multikulturell. Meine Eltern gehen einfach zu arabischen Ärzten“, erzählt sie. Just stellen die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens auch wichtige Arbeitgeber für Personen mit Migrationshintergrund dar, „weshalb Diversity Management auch im Gesundheits- und Sozialbereich immer wichtiger wird“, weiß man im Zentrum für Migration und Gesundheit zu berichten.  Mitarbeiter mit Migrationshintergrund leisten einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren des Gesundheitssystems und spielen hiermit eine bedeutende Rolle. Doch gibt es nicht genügend mehrsprachige Ärzte und Apotheker und es bleiben sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden.

Mit welchen Maßnahmen 

Zunehmend erkennen Einrichtungen des Gesundheitswesens die Notwendigkeit zu Handeln. So gibt es bereits Bemühungen, um dieser Situation entgegenzuwirken und eine verbesserte Gesundheitsversorgung von Migranten zu gewährleisten. Ein Lehrgang zum Thema wurde entwickelt und wird im November 2012 auf der Donau- Uni Krems erstmals starten. Dieser verfolgt in erster Linie das Ziel, Personen, die in Sozialberufen tätig sind, anwendungsorientierte Handlungskompetenzen im Umgang mit Migranten zu vermitteln. Auch laufen einige Pilotprojekte vom Bundesministerium für Gesundheit. Beim großen EU- Projekt „Restore“ an dem die Medizinische Universität Wien beteiligt ist, „geht es um die Betreuung von Migranten in der Medizin“, erläutert Projektleiter Spiegel. Auch das Staatssekretariat für Integration hat das Themenfeld „Gesundheit und Soziales“ als ein besonders wichtiges Handlungsfeld aufgegriffen und erstrebt hier Fortschritte. Statistisch ist in Österreich diesbezüglich nicht viel erfasst. Deswegen gehören Forschungen in diesem Bereich dringend gefördert.

Politisches Problem

Vor allem sei es ein politisches Problem, da eine ungute Stimmung gegen Migranten in der Gesellschaft herrscht. „Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung“, heißt es weiter in der Definition des WHO. Aus diesem Recht sollten auch Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund Gebrauch machen können. Schließlich solle man „Migranten nicht akzeptieren, weil sie bei uns leben, sondern weil wir sie brauchen“, ist Kollaritsch überzeugt.



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