Fachtagung: Gelungene Integration durch Religionsunterricht?

05.11.2011 | 19:25 | Nermin Ismail

Was Religionsunterricht bringt, wie er zur Integration beitragen kann und welche Herausforderungen im interreligiösen Unterricht stecken – diese Fragen standen bei der Fachtagung „Religionsunterricht und säkularer Staat“ im Mittelpunkt.

Am 3. und 4. November fand eine Fachtagung mit dem Titel „Religionsunterricht und säkularer Staat“ in den neuen Räumlichkeiten des Hochschulstudiengangs für das Lehramt für Islamische Religion (IRPA) in Wien Liesing statt. Hochrangige PädagogInnen und WissenschaftlerInnen aus ganz Europa wie unter anderem Paul Zulehner, Bülent Ucar, Anton Pelinka, Tarek Badawia und Susanne Heine thematisierten die dialektische Beziehung von Religiosität und Schule. Unterstützt vom Staatssekretariat für Integration des Bundesinnenministeriums sowie vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, standen im Zentrum der Tagung auch Thematiken rund um dem säkularen Staat und Religion.

Die Direktorin Amena Shakir eröffnete die Tagung mit einer Rede: „Wir wollen uns mit dem Spannungsfeld genauer auseinandersetzen, das aus der ideengeschichtlichen Perspektive entsteht wie auch die praktisch politische Dimension beleuchten.“ Auch die Anforderungen am Religionsunterricht im säkularen Staat sowie die Bedeutung von Minderheit und Migration im Bereich der Schule sollten diskutiert werden. Am Ende der Tagung würde noch die Rolle der Schule als Ort der interreligiösen Begegnung näher unter die Lupe genommen werden. Das Ziel des Religionsunterrichts solle ebenso vor Augen geführt werden und zwar in der letzten Diskussion, in der es um den Religionsunterricht zw. Bekenntnis- und Werte- Unterricht geht.

Was nutzt Religionsunterricht

Die Vorteile und der Nutzen eines guten Religionsunterrichts sind in einem gewissen Umfang wissenschaftlich erforscht, doch insgesamt sei der islamische Religionsunterricht noch zu wenig erforscht. Dennoch belegen die vorhandenen Studien über den Religionsunterricht in Österreich welch integrative Wirkung dieser haben kann, was für die Muslime in Österreich von wesentlicher Bedeutung ist. „93 Prozent der Religionslehrer wollen die Schüler zum Eintreten für den Frieden ermutigen, 89 Prozent der Lehrer hat sich die Förderung des interreligiösen Verständnisses als Priorität gesetzt und 73 Prozent möchten die Entwicklung einer islamisch-europäischen Identität forcieren“, so Shakir. Das sind Zahlen aus der Studie von Mohamed Kourchide, die oft in einem ganz anderen Kontext zitiert worden sei.

Wesentliche Folgen und ein Kennzeichen dieses Religionsunterrichts sind einerseits die Entnationalisierung der Religion, da dieser Unterricht in öffentlichen Schulen in Österreich zu einer besonderen innerislamischen Situation geführt hat, denn es ist„ der einzige Ort, an dem muslimische Kinder erfahren und erleben, dass der Islam keine Nationalität darstellt und dass auch in deutscher Sprache darüber gesprochen und reflektiert werden kann.“ Dieser Unterricht stellt den besten Weg dar, wie SchülerInnen selbst lernen und erfahren, dass sie ÖsterreicherInnen sind und selbstverständlich auch mit ihrem Religionsbekenntnis im öffentlichen Raum angenommen werden. Studien an der Universität Wien haben belegt, dass muslimische SchülerInnen in Österreich ein deutlicheres Bekenntnis zu Österreich haben als in anderen europäischen Ländern. „Außerdem resultiert die Bereitschaft zum vertieften Respekt des Anderen, der Anderen daraus“, betonte Amina Shakir.

„Gelungene Integration durch guten Religionsunterricht“

Der Staatssekretär für Integration Sebastian Kurz stellte am Anfang seiner Grußworte eine Frage, die sich viele stellen würden. „Was macht ein Staatssekretär für Integration bei einer Veranstaltung für Religionslehrer?“ Diese Frage sei leicht zu beantworten, meint Kurz, denn er sei sich bewusst, „dass die Religionsgemeinschaften in Österreich einen sehr wesentlichen Beitrag auf die Integration haben können und sehr oft auch haben.“ Nur weil Staat und Religion in unterschiedlichen Einflusssphären sind bedeute dies nicht, dass es keine Berührungspunkte geben soll und auch nicht, dass es ein reines Nebeneinander  sein soll, stellt Kurz klar. Gerade der Religionsunterricht ist „ein Schnittpunkt wo der Staat den Rahmen vorgibt aber ganz klar die Verantwortung über die konkrete Ausformung des Unterrichts bei den Religionsgemeinschaften liegt.“ Kurz ist überzeugt, dass es viele Herausforderungen gibt, die die Religionen, die Integration und den Unterricht betreffen, aber gleichzeitig wisse er diese Tagung als einen wesentlichen Schritt zu einer gelungenen Integration zu schätzen.

Interkulturelles Lernen- Herausforderungen für Pädagogen

Aida Tuhcic, Publizistikabsolventin, sitzt am Podium. Gemeinsam mit dem evangelischen Bischof Michael Bünker und dem Fachinspektor für den katholischen Religionsunterricht Walter Ender wird sie im Rahmen der Veranstaltung als Religionslehrerin aus ihrer Perspektive über die Schule als Ort des Interreligiösen diskutieren. Doch davor verliert der Bischof der evangelischen Kirche Michael Bünker einige Worte über die Pluralität als Chance des Lernens.

Die Schule als Ort der interreligiösen, interkulturellen Begegnung repräsentiert sich verstärkt  in gemeinsamen Festen, in Projekten und vielen weiteren Situationen. Jeder Mensch stehe für eine Kultur oder Religion, nach evangelischer Tradition ist diese religiöse Pluralität im Protestantismus von Anfang an gegeben. „Es gibt keine übergeordnete Person. Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, beschreibt Bünker die verschiedenen Flügel der Reformation in ihrer Pluralität und weist somit gleichzeitig auf das Zusammenwirken verschiedener Religionen. Hierfür wären einige Aspekte zentral: Bekanntheit, Vertrauen durch einen freien Umgang vernünftiger sich untereinander bildender Menschen. „Freiheit, Vernunft und Bildung. Passt das nicht zur Schule?“, fragt er rhetorisch. Um zu wissen, wer man sei, brauche man die Begegnung, den Austausch, den Dialog, sagt der Bischof. An dieser Stelle erinnert der Redner an dem berühmten Philosophen Rene Descartes, welcher meinte: „Ich denke, also bin ich.“ Dieser hätte sich sein „ich“ ohne „du“ gebildet, woran Bünker zweifeln lässt, denn um an das dialogische Selbst zu gelangen müsse ein Wechselspiel „zwischen Beheimatung und Begegnung“ stattfinden. Und diese Verständigungsfähigkeit „muss aus der Mitte der Religionsgemeinschaften“ kommen, denn „sie kommt nicht von wo anders. Nur aus unserem innersten Kern.“ Von da her versteht der Bischof der evangelischen Kirche unter interreligiösen Dialog „Bildung in freier Geselligkeit“, die sich von Mensch zu Mensch unmittelbar auf gleicher Augenhöhe abspielt. Außerdem betont er die Wichtigkeit der Schule religionssensibel zu sein und Religion nicht auszublenden, sondern bewusst wahrzunehmen und diese Chance des Lernens am Unterschied nicht zu verpassen.

Kreuz oder Grab in Richtung Mekka

Nun ist Tuhcic eingeladen Praktisches aus ihrem Alltag als Lehrerin zu erzählen. Sie beginnt mit einer Geschichte: „In der Schule ist eine erregte Diskussion im Gange: Was soll mit dem plötzlich gestorbenen Hasen geschehen, der von den Kindern bisher liebevoll versorgt wurde? Der zehnjährige Daniel meint, man müsse die Stadtreinigung anrufen, die würden das Tier dann abholen. So hätten es seine Eltern mit einer überfahrenen Katze auch gemacht. Großer Protest folgt: Der Hase muss beerdigt werden. Katharina wendet sich an die Lehrerin: „Wo könnten wir ihn begraben?“ „Okay, ich mach‘ ein Kreuz und schreib den Namen drauf“, meint Felix. Aber jetzt mischt sich Emir ein, der bisher den Hasen nur still gestreichelt hat: Nein, ein Kreuz findet er nicht gut, so geht keine richtige Beerdigung. Erst mal müsse der Hase in ein Tuch gewickelt werden, dann braucht er ein Grab, das Richtung Mekka zeigt.“

Vor solchen Herausforderungen stünden die heutigen Pädagogen in Österreich, wenn es um interreligiöses und interkulturelles Erziehen ginge, führt sie fort. Eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten? Das lässt sich eher schwieriger gestalten. Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt in Österreichs Schulen sind mit ihren sprachlichen, kulturellen und religiösen Differenzen in den meisten Klassenzimmern die Regel und nicht mehr die Ausnahme. „Zweifellos ist das Zusammenleben in sehr heterogenen Gruppen eine Chance für alle Beteiligten ihren Horizont zu erweitern, vom Anderen zu lernen und seine eigenen Standpunkte zu überdenken“, betont die Religionslehrerin. Gemeinsam mit anderen Lehrerinnen und Lehrer ihrer Volksschule habe sie ein Projekt mit über 50 Kindern durchgeführt, um einen kleinen Schritt in Richtung einander Kennenlernen zu setzen und mögliche Vorurteile gegenüber Andersdenkenden abzubauen. Ganz konträr ging es im Film, der den Kindern am Anfang des Projekts gezeigt wurde. Zwei Figuren treffen aufeinander „Dann fängt die eine der anderen mit Handbewegungen klarzumachen, dass diese zur Seite treten solle. Die andere will nicht. Es kommt zu Handgreiflichkeiten .Daraufhin ergreift die eine einen herumliegenden Backstein und fängt schnell an eine Mauer zwischen sich und der anderen Figur zu bauen. Die andere fängt nun ihrerseits auch eine Mauer zu bauen.“, erzählt die Religionslehrerin. Schlussendlich entsteht ein Riesenlabyrinth, der die gesamte Erdkugel widerspiegeln soll.

Nach dieser Projektbeschreibung erläuterte die Lehrerin die Wichtigkeit des Religionsunterrichts und merkte an, dass Kinder keine Unterschiede zwischen religiösen oder kulturellen Inhalten machen könnten.

Diese Tagung stellte einen wichtigen Beitrag zum wissenschaftlichen Austausch dar und spiegelt die Situation der Muslime nach bald hundert Jahren Anerkennung in Österreich wider. Nämlich ein äußerst bewegender, sich professionalisierender Zustand.

 


4 Kommentare

  • Asmaa

    Gute Arbeit! Ich war nicht dabei aber finde es sehr interessant so eine Tagung hier zu haben! Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel! Geschrieben um 8. November 2011 um 22:55 Uhr Antworten
  • Amir

    Ich sehe diese Tagung, als einen großen Schritt Richtung Besserung der Zwischenreligiösen-Beziehungen. Kompliment auch an den Veranstalter, der scheinbar ein Podium mit hohem Wissenschaftlichen Niveau eingeladen hatte- Gratulation... dies ist eine große Leistung! Geschrieben um 8. November 2011 um 00:46 Uhr Antworten
  • na

    Ich war live dabei! Sehr interessant und viele positive Beiträge und Erkenntnisse gab es an diesen beiden Tagen! Einen Herzlichen Dank für so eine tolle Arbeit und diesen Artikel! Geschrieben um 7. November 2011 um 20:48 Uhr Antworten
  • Jasmin

    Super Artikel- weiter so! Wir brauchen mehr differenzierte Sichten! Schön zu hören, dass sich so viel bewegt! Geschrieben um 7. November 2011 um 12:20 Uhr Antworten

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