Frauen – die vergessenen Arbeitsmigranten

16.11.2011 | 11:35 | Clara Akinyosoye

Auch Frauen kamen in den 60er- und 70er-Jahren als Arbeiterinnen nach Österreich. Von der Öffentlichkeit werden sie meist nur als nachziehende Ehefrauen wahrgenommen. Einige Projekte arbeiten nun ihre wahre Rolle auf.

Wien. Ein Mann mit dünklerer Haut und Schnauzbart – dieses Bild war lange Zeit typisch für die Vorstellung von einem typischen „Gastarbeiter“. Dass in den 60er- und 70er-Jahren aber auch Frauen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei in Österreich arbeiteten, gerät meist in Vergessenheit. Sie werden in der Regel nur im Rahmen von Familiennachzug, als Mütter, Ehefrauen und Hausfrauen wahrgenommen.

Die Realität sieht anders aus. Frauen kamen, wie männliche Arbeitsmigranten auch, um ihre Familien in der Heimat zu versorgen. Sie wurden von österreichischen Firmen nachgefragt und angeworben. Größtenteils für Tätigkeiten, für die die Unternehmen heimische Arbeiterinnen nicht mehr gewinnen konnten. Die Migrantinnen arbeiteten in Fischfabriken, in der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie. Sie landeten in der Tourismusbranche, im Gastgewerbe, in sozialen Diensten, Schneidereien oder im Reinigungswesen.
Sie wurden oft wegen ihrer „feinmotorischen Fähigkeiten“ angeworben, sagt Viktorija Ratković, Leiterin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterstudien in Klagenfurt. Sie leitet das Forschungsprojekt „Gastarbeiterinnen in Kärnten – Auf Spurensuche der weiblichen Arbeitsmigration“, in dessen Rahmen die damaligen Lebens- und Arbeitssituationen von Arbeitsmigrantinnen erfasst werden sollen. Von wie vielen Arbeitsmigrantinnen die Rede ist, bleibt allerdings offen. Arbeiterinnen wurden in der Statistik nicht extra erwähnt und können daher nicht so einfach erhoben werden.

In der Wissenschaft sind Gastarbeiterinnen bis dato eher ein vernachlässigtes Thema gewesen, doch das ändert sich nun schrittweise. Auch in der Steiermark nimmt sich eine Forschungsgruppe, nämlich des Frauendokumentations- und Projektzentrums der Recherche zu den „Lebenswelten von Arbeitsmigrantinnen einst und heute“ an. Dort beschäftigt sich auch die Historikerin Verena Lorber in ihrer Dissertation mit der Lebensrealität von männlichen und weiblichen Gastarbeitern – in der Steiermark. Um an die Zahlen zu kommen, nahm sie sich die Beschäftigungsgenehmigungen vor und wurde fündig. 1970 waren von 15.034 beschäftigten Arbeitsmigranten 3591 Frauen, erklärt Lorber. Zwischen 1961 und 1970 soll der Anteil der Frauen in der Steiermark jährlich etwa 20 bis 30 Prozent ausgemacht haben.

Türkinnen „nicht so fleißig“

Arbeitsmigrantinnen hatten mitunter mit Mehrfachbelastungen zu kämpfen. Eine Familie (im In- oder Ausland), die doppelte Diskriminierung als Migrantin und als Frau. Und schon damals waren Migranten nicht gleich Migranten: „Es gab rassistische Zuschreibungen“, meint die Historikerin Vida Bakondy. Türkinnen schrieb man etwa zu, „nicht so fleißig“ zu sein, Sloweninnen wiederum galten als „nicht so verwöhnt wie Serbinnen“. Bakondy recherchierte im Rahmen der Wiener „Gastarbajteri“-Ausstellung der Initiative Minderheiten zur Situation von Arbeitsmigrantinnen.
Während in Vorarlberg viele Türkinnen in der Textilindustrie beschäftigt waren, pendelten slowenische Frauen mitunter täglich nach Villach in die Fischfabrik „C. Warhanek“, die auch Niederlassungen in Wien und Linz hatte, erzählt Bakondy.
Die Fabriken waren damals Orte, an denen die Arbeitsmigration von Frauen besonders gut sichtbar wurde. Beschäftigungsbewilligungen waren zwar leicht zu bekommen, dafür waren die Arbeitsbedingungen prekär, meint Bakondy. Die Bezahlung war gering, die Arbeiterinnen waren mit Kälte und Nässe konfrontiert – und der Geruch von Zwiebel und Fisch blieb an den Frauen haften.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.11.2011)


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