Glaubensfrage: Religion für muslimische Pflegekinder?

06.07.2011 | 17:49 | Siobhan Geets

Was Pflegeeltern in Österreich tun müssen, wenn sie Kinder aus Familien betreuen, in denen ein anderer Glaube als der ihre gelebt wird. Oberste Maxime: Kind sollte so wenig Stress wie möglich ausgesetzt werden.

 

Wien. Pflegeeltern haben Pflichten, aber auch Rechte, was Entschlüsse rund um das Pflegekind betreffen. Sie haben die Wahl bei Kindergarten und Schule und dürfen auch bei ärztlichen Eingriffen und Untersuchungen Entscheidungen treffen. Schwieriger gestaltet sich die Frage nach dem religiösen Bekenntnis des in Pflege genommenen Kindes.

Prinzipiell fällt die Religion in den Bereich der Erziehung und Pflege, die die Pflegeeltern ja übernommen haben. Wollen die Pflegeeltern das Kind aber etwa taufen lassen, muss das Einverständnis der biologischen Eltern eingeholt werden. Hier müsse man damit rechnen, so Martina Reichl-Rossbacher, Leiterin des Referats für Adoptiv- und Pflegekinder im Amt für Jugend und Familie (Ma 11), dass die biologischen Eltern der Taufe nicht zustimmen. Und der Wille der Eltern sei zu berücksichtigen – es sei denn, das Wohl des Kindes werde dadurch gefährdet.

Was ist aber, wenn etwa muslimische Eltern wollen, dass ihr Kind traditionelle oder religiöse Lebensweisen auch in der Pflegefamilie einhält? „Wenn es sich um eine Maßnahme der Jugendwohlfahrt handelt“, so Reichl-Rossbacher, „dann wird der Anspruch der Eltern zwar berücksichtigt, und sie können ihre Wünsche klarstellen. Tatsache ist aber: Bei einer Familie, die ihr Kind nicht versorgen kann, hat es mit den Wünschen irgendwann ein Ende.“ Prinzipiell sollten sich Pflegeeltern muslimisch geprägter Kinder aber jedenfalls vorstellen können, Elemente des muslimischen Glaubens in die Erziehung mit einfließen zu lassen.

Kein Stress für das Kind

Oberste Maxime ist: Das Kind sollte so wenig Stress wie möglich ausgesetzt werden. Bei der Frage nach der religiösen Erziehung liegt es allerdings an den Pflegeeltern, sich für einen Standpunkt zu entscheiden und diesen dem betreuenden Sozialarbeiter zu erklären.

Die Religion, so Reichl-Rossbacher, sei generell immer wieder ein Thema. So werde etwa das Thema Taufe schon im Zuge der Eignungsfeststellung diskutiert. Es gebe viele Pflegeeltern, die sich die Aufnahme eines muslimischen Kindes nicht vorstellen können. Oft würde das aber nicht offen ausgesprochen – sondern andere Gründe vorgeschoben, warum man das Kind nicht aufnehmen könne.

Insgesamt gestalte sich die Unterbringung in der Pflegefamilie bei ausländischen Kindern schwieriger. Das liege unter anderem an bürokratischen Schwierigkeiten, etwa daran, dass den Kindern der Reisepass und andere wichtige Dokumente fehlen.

Versucht man bei der Stadt Wien, Kinder nach Übereinstimmung der Religionen an ihre Pflegeeltern zu vermitteln, also muslimische Kinder in muslimische Familien zu geben? Das schon, meint Reichl-Rossbacher. Einziges Problem dabei: Bis heute gab es noch keine muslimische Pflegefamilie.

 

(SIOBHAN GEETS, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.07.2011)

(KEITH HILLMAN, „Stress Tips„, Online, 06.08.2011)

 


ein Kommentar

  • REMID

    Schöner Artikel! Strukturell gibt es da ja einige gesellschaftliche Bereiche mit ähnlichen Defiziten. Vgl. z.B. in unserem Blog: http://www.remid.de/blog/2011/07/gefaengnisseelsorge-und-kriminalpraevention-religion-im-strafvollzug/ Geschrieben um 17. Juli 2011 um 13:09 Uhr Antworten

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