„Griechenland ist die Mama Europas“

17.08.2012 | 8:00 | Alexander Ploberger

Griechenland hat nicht nur mit der Finanzkrise im eigenen Land zu kämpfen, sondern zunehmend auch mit Kritik und Häme aus dem restlichen Europa. Das spüren auch griechische Migranten in Österreich. Eine Reportage.

Auf einem nicht ganz mannshohen Bäumchen wachsen Zitronen und orangene Kumquats, daneben streicht ein Mann die Mauern, die den Innenhof umschließen, weiß an, während aus dem Fenster des Hauses griechische Volksmusik klingt. Schauplatz der Szene ist nicht etwa ein Dorf am ägäischen Meer, sondern der 16. Wiener Gemeindebezirk. Lambis Sachpazidis ist in Thessaloniki aufgewachsen und vor sechzehn Jahren nach Österreich gezogen. Er ist der Obmann von „O Vrakas“, einer griechischen Kulturgemeinde in Wien. „Kultur ist auch Kochen, ist auch Theater und vieles andere,“ erklärt er. „Aber der Schwerpunkt ist Tanzen.“ Daher stammt auch der Name des Vereins. Vrakas bezeichnet eine breite Hose, die zur griechischen Tracht gehört.

Sachpazidis ist der einzige Grieche in dem Verein, der im Jahr 2000 gegründet wurde und inzwischen mehr als fünfzig Mitglieder hat. Treffen mit anderen Menschen aus seiner Heimat, die nach Österreich ausgewandert sind, finden dennoch häufig statt. „Im Dachverband sind wir acht oder neun Vereine in Österreich. Das sind Kulturvereine, Akademiker und Studenten. Da treffen wir uns immer wieder. Einmal im Monat oder alle zwei Monate.“

Kleine Community

Die griechische Gemeinde in Österreich ist eine kleine. Etwas mehr als 4000 gebürtige Griechen leben in Österreich, beinahe die Hälfte davon in Wien. Die Stimmung bei den Treffen ist gut, am meisten wird über Kultur gesprochen. Streitigkeiten über politische Themen gibt es keine, obwohl sie aktuell natürlich ebenfalls ein großer Bestandteil der Diskussionen sind.

Ganz im Gegensatz zu der Freundlichkeit innerhalb der griechischen Gemeinde, sei die Stimmung der Österreicher den Griechen gegenüber in den letzten zwei Jahren gekippt. Schon die Reaktionen darauf, dass er aus Griechenland stamme, haben sich für Lambis Sachpazidis deutlich geändert. „Früher war das immer Begeisterung. ,Griechenland, super, schön! Ich war auch in Griechenland.‘“ Heutzutage ernte er vor allem abfällige Blicke.

Keine faulen Griechen

Hinter dem Innenhof seines Hauses führt eine Tür in eine Halle, wo fleißig gebaut wird. Ursprünglich wollte er hier einen kleinen Tanzsaal für die Kurse von „O Vrakas“ einrichten, doch die Mitgliederanzahl überstieg schnell die Kapazitäten des Raumes. Nun entsteht hier eine Lagerhalle, während nebenan an einer neuen Küche gearbeitet wird, in der der Verein bald griechische Kochkurse veranstalten können soll. „Faul sind wir garantiert nicht“, sagt Sachpazidis und bezieht sich dabei auf die österreichischen Boulevardmedien, die in den vergangenen Monaten mit Schlagworten wie „faule Pleitegriechen“ getitelt haben. Überhaupt tragen Medien einen großen Teil der Verantwortung daran, wie Griechen heutzutage im Ausland begegnet wird, meint er. „Ich habe regelmäßig Zeitungen gelesen. Aber ich habe aufgehört.“

Trotzdem verlassen immer mehr Griechen das eigene Land. Die Bevölkerung ist in den letzten zehn Jahren um über eine Million zurückgegangen. Nach Österreich sind seit 2009 über sechshundert Griechen gekommen. Das griechische Wahlrecht erlaubt keine Briefwahl. Wollen griechische Staatsbürger, die im Ausland leben, abstimmen, müssen sie für die Wahl zurück in ihre Heimat. Viele der Diaspora-Griechen leben jedoch schon in der zweiten oder dritten Generation weit entfernt von der Mittelmeerrepublik. Wie sie hat auch Lambis Sachpazidis darauf verzichtet, zu den beiden Parlamentswahlen, die im vergangenen Mai und Juni stattgefunden haben, nach Griechenland zu fliegen. „Im Nachhinein denke ich, wären wir doch hingeflogen. Dann wäre die Nazi-Partei vielleicht nicht im Parlament.“

Die Krise als Chance

Jedenfalls haben es die griechischen Politiker noch im Juni geschafft, eine mehrheitsfähige Regierung aus der stimmenstärksten Partei, der konservativen Nea Dimokratia, sowie der sozialistischen PASOK und der Demokratischen Linken zu bilden. Anfang August hat diese ein Sparpaket von 11,5 Milliarden Euro beschlossen. Ein solches war die von der Troika aus EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond verlangte Bedingung für weitere Auszahlungen aus dem Rettungsschirm. 31 Milliarden Euro sollen im September an Griechenland gezahlt werden.

„Ich sehe die Krise als Chance für was Neues.“ resümiert Sachpazidis mit einem positiven Ausblick in die Zukunft. „Wir haben das Land verlassen, alle wollten in die Stadt. Athen war eine riesige Monsterstadt. Und jetzt sehe ich, dass viele zurück in die Dörfer gehen, wieder Bauer werden wollen und sich wieder mit dem Land beschäftigen. Das finde ich gut. Es bewegt sich was in Griechenland.“

Kritiker am griechischen Verbleib in der Euro-Zone gibt es dennoch weiterhin. Zuletzt hatte etwa der bayrische Finanzminister Markus Söder mit der Aussage „Irgendwann zieht jeder bei der Mama aus“ ein Ausscheiden des Landes aus der gemeinsamen Währung gefordert. Lambis Sachpazidis hat auch darauf eine klare Antwort: „Wenn man das so sieht, dann ist Griechenland die Mama von Europa, und nicht Europa die Mutter von Griechenland.“


2 Kommentare

  • Hannes Mistelbauer

    Herzlichen Dank an Herrn Alexander Ploberger, für den neutralen, informativen Artikel über die Situation in Griechenland. Jetzt erst recht mache ich Urlaub in Griechenland, und unterstütze so das griechische Volk! Gia sas! Geschrieben um 20. August 2012 um 09:56 Uhr Antworten
    • Wittmann Lydia, Berthold

      Wie so oft liegt es immer an der jeweiligen Regierung, was sie aus einem Land macht! Auch die EU trägt ein beträchtliches Maß an Mitschuld an dieser Krise - vor allem Deutschland und Frankreich ließen aus Angst vor Sanktionen, weil sie selbst den Stabilitätspakt nicht einhalten konnten – der Regierung in Athen freien Lauf. Die Rechnung dafür bekommt der "kleine Mann" präsentiert. Traurig ist für mich die Erkenntnis, dass sich viele EU-Bürger von Aussagen wie „ faule Pleitegriechen“ aufhetzen lassen und dieses Vokabular gedankenlos, bereitwillig übernehmen. Tatsache ist, dass so mancher „faule Grieche“ – aus Angst seinen Arbeitsplatz wie so viele andere auch zu verlieren, diesen häufig auch ohne Entlohnung weiterhin ausübt. Ein weiterer „fauler Grieche“ ist ein Hotelier mit einem 16 Stunden Arbeitstag zum Wohle seiner Gäste, der durch diese Hetze nun befürchtet, dass ihm die Gäste ausbleiben und er schließen muß. Griechen kennen kein Sozialsystem. Keine Arbeitslosenunterstützung. Kein Gesundheitssystem. Wenn man ins Krankenhaus muss und sich diesen Aufenthalt überhaupt noch leisten kann, muss man sich selbst um eine Pflegeperson kümmern. Für einen Diabetiker zum Beispiel sind selbst lebenswichtige Medikamente nicht verfügbar, weil er sie nicht bezahlen kann. Eltern geben ihre Kinder wegen fehlender Nahrungsmittel in - von privaten Spenden finanzierte Heime ab. Die eigenen Kinder zu Besuchen ist wegen Geldmangel und der oft weiten Anreise eine Seltenheit. Doch diese Heime sollen jetzt noch höher besteuert werden, was deren Schließung bedeuten kann. Auch die Selbstmordrate ist in der Krise sprunghaft angestiegen. Fazit: Die Griechen konnten sich ihre sprichwörtliche GASTFREUNDSCHAFT erhalten und Griechenlands haupteinnahmequelle ist einmal der Tourismus. Wenn man ihnen diese Einnahmequelle durch Boykott nimmt, nimmt man ihnen das Letzte und schadet sich durch den möglichen Zusammenbruch im Endeffekt selbst. Geschrieben um 20. August 2012 um 18:38 Uhr

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