Haiti: „Das Schlimmste ist das Warten“

20.01.2010 | 18:17 | Clara Akinyosoye

Karine Libecca arbeitet als Tänzerin in Wien. Ihr Kulturverein „Aybobo“ ist eine der ersten Adressen bei Fragen rund um Haitianer.

Ich weiß nicht, wo sie sind“, sagt Karine Libecca. Die Rede ist von ihren Verwandten in Port-au-Prince. Die haitianische Tänzerin, die unter dem Pseudonym Karin LaBel erfolgreich ist, hat keine Ahnung, ob ihre Mutter und Geschwister die Erdbebenkatastrophe wohlbehalten überstanden haben. „Meine Mutter wollte nicht auf dem Land leben“, sagt sie, „und die Familie wollte sich immer nah sein, deswegen zogen sie in die Hauptstadt.“

Die gebürtige Haitianerin verließ Port-au-Prince mit 18 Jahren in Richtung Paris. Nach Österreich kam sie 1996, wo sie nun als Tänzerin, Choreografin und Dozentin am Universitätssportinstitut arbeitet. Informationen aus der Heimat bezieht sie von ihren Bekannten aus Paris – sie haben bessere Kontakte. Libecca selbst hat wegen eines Streits mit ihrer Schwester seit fast drei Jahren keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie gehabt.

Die Tänzerin wollte mit ihrer siebenjährigen Tochter erst nach Haiti reisen, wenn sie groß genug ist. Haiti sei „nicht mehr, was es einmal war“, meint sie. Auf „der schönen Insel“ gibt es nun Kindesentführungen und Kriminalität. So sei sie nicht aufgewachsen. Damals, erzählt sie, sei sie mit zwölf Jahren nachts vom Karneval nach Hause gegangen, allein und unversehrt.

Reden über das Unglück

Mit ihren haitianischen Freunden in Österreich redet sie jeden Tag über das Unglück. Libecca kann immer noch nicht fassen, was passiert ist. Ob ihre Mutter wohl überlebt hat?, fragt sie. Dann stockt ihr wieder der Atem.

Es gibt nicht viele Haitianer in Österreich. Laut Statistik Austria leben 52 Menschen mit Geburtsort Haiti in Österreich (Stand 1.1.2009). Dass sich alle irgendwo treffen, kommt eigentlich nicht vor, aber Libecca kenne trotzdem fast jeden. Es sind größtenteils Frauen und viele Kinder, die in Österreich geboren sind, erzählt die Tänzerin. Antonia, auch Haitianerin, ist für sie wie eine Mutter. Einmal im Monat besucht sie sie. „Dort sind immer Haitianer“, mit denen man sich austauschen könne. Genauer – Haitianerinnen, Männer gibt es kaum. Für sie ist das ohnehin egal, sie ist glücklich verheiratet, sagt sie und lächelt – für einen kurzen Augenblick.

Karine Libecca ist die Erste, auf die man stößt, wenn man Haitianer in Österreich finden will – und außerdem eine der wenigen, die auch gern bereit ist, Journalisten ihre Zeit zu schenken. So entwickelte sie sich mit der Zeit gezwungenermaßen zur Anlaufstelle für Medien und zum Sprachrohr der haitianischen Community. Schon oft wurde sie interviewt, aber dabei ging es meistens um Voodoo. Jetzt geht es um die Erdbebenkatastrophe. Ihre Arbeit als Tänzerin und Lehrerin – oder dass sie 2001 den österreichisch-haitianischen Kulturverein „Aybobo“ gegründet hatte, interessierte bisher kaum jemanden.

Benefizveranstaltung geplant

Das Einzige, was sie jetzt tun könne, sei die Organisation einer kulturellen Veranstaltung, um Geld zu sammeln. Es sind die Angst, die Hilflosigkeit und das Warten – „das ist das Schlimmste“ –, die Libecca zu schaffen machen. „Ich bin ein ruhiger Mensch, ich explodiere nicht. Manchmal denke ich, ich sollte irgendwo hingehen und schreien“, sagt sie und holt tief Luft, „aber ich tue es nicht.“

(CLARA AKINYOSOYE,“Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.01.2010)


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