Hausbesuche bei Migranten: Arbeit statt Tee

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  • Projekt: Das Hippy-Programm wurde in den 1970er-Jahren in Israel entwickelt. Seither wurde es für zahlreiche Länder adaptiert.
  • Österreich: 2007 rief der Verein beratungsgruppe.at das Hippy-Programm in Österreich ins Leben. Die Finanzierung kommt vom Innenministerium, den Ländern und den Gemeinden. Heuer sollen 150 weitere Plätze entstehen. 2011 wurde beratungsgruppe.at für das Projekt mit dem Österreichischen Integrationspreis ausgezeichnet.
  • www.hippy.at

30.05.2012 | 13:17 | Ania Haar

Seit 2007 werden bildungs- und sozial benachteiligte Wiener Migrantenfamilien von Betreuerinnen daheim besucht. Das Programm „Hippy“ soll vor allem Kindern helfen, aber auch Frauen aus der Isolation führen.

Wien. „Euch schickt Allah!“ So euphorisch begrüßte eine türkische Mutter ihren Besuch. Und nein, es waren keine Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, die da vor der Tür standen. Es war eine Mitarbeiterin des Hausbesuchsprogramms Hippy, die zu Besuch vorbeigekommen war.

Hippy, das steht für „Home Instruction for Parents of Preschool Youngsters“ und ist ein Programm, das bildungs- und sozial benachteiligte Familien mit Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren fördern soll. Die Idee hinter dem Programm ist simpel: Einmal pro Woche wird die Familie besucht – von einer aus der Zielgruppe stammenden, geschulten Multiplikatorin. Soll heißen, die Hausbesucherin ist selbst Mutter mit Migrationshintergrund. „Der Ablauf ist streng strukturiert“, sagt Liesl Frankl von der Hippy-Projektleitung. „Es wird nicht miteinander gegessen und auch kein Tee getrunken, sondern gearbeitet.“

Spielerisch Deutsch lernen

Nach der kurzen Begrüßung folgt ein Wochenrückblick: Wie oft hat die Mutter in der Vorwoche mit dem Kind gearbeitet, welche Aktivitäten haben am meisten Spaß gemacht? Dann kommt eine Vorschau auf kommende Übungen. Die Spiel- und Lernübungen, die die Mutter in der laufenden Woche selbstständig mit ihrem Kind machen soll, werden beim Besuch trainiert: Die Mutter schlüpft in die Rolle des Kindes, die Hausbesucherin in die der Mutter. Die Hippy-Materialien sind in einfachem Deutsch geschrieben und anschaulich illustriert. Dadurch und durch die Übersetzungshilfe der Hausbesucherin verstehen Kinder und Mütter rasch, worum es geht. Und lernen auf spielerische Art und Weise Deutsch.

Obwohl es bei Hippy in erster Linie um die ganzheitliche Förderung der Kinder geht, profitieren in der Praxis auch die Mütter davon. Denn sie erfahren das, was ihnen oft am meisten fehlt, nämlich die Anerkennung durch ihre Kinder und Familien. Auch machen sie selbst positive Lernerfahrungen, werden dadurch selbstsicherer und selbstständiger. In der Folge hilft ihnen die Selbstständigkeit, aus sozialer und kultureller Isolation auszubrechen.

2011 wurden in Wien 88 Familien mit drei- bis siebenjährigen Kindern betreut. Laut dem Endbericht des Vereins beratungsgruppe.at, der das Projekt seit 2007 betreut, haben 31 Prozent der Teilnehmerinnen während des Projektverlaufs mit einem Kurs oder einer Weiterbildung begonnen, 19 Prozent einen Job angenommen, weitere 19 Prozent suchen nach einem Job. 26 Prozent haben vor, sich weiterzubilden.

Große Hemmungen

Die Frauen kommen oft aus ländlichen Gegenden und haben sehr wenig Schulbildung. „Sie wünschen sich aber nichts mehr als Bildung“, sagt Frankl, „nur haben sie große Hemmungen, zum Beispiel Sprachkurse zu besuchen, denn dort sitzt vielleicht eine relativ gut gebildete Frau, neben einer, die gerade einmal fünf Jahre in der Schule war und schlecht lesen und schreiben kann.“ In vielen Kulturkreisen wird es zudem als Schande empfunden, Fehler zu machen.

Dass eine Betreuerin zu Familien nach Hause kommt, wird deshalb gern angenommen. Streng wird dabei die Termintreue gehandhabt. „Damit sollen die Frauen Verbindlichkeit lernen“, sagt Liesl Frankl, „es ist ein Arbeitstreffen.“ Viele der betreuten Frauen berichten, dass sie gelernt haben, sich die Zeit so besser einzuteilen.

Schwierigkeiten gibt es vor allem dabei, die Frauen zu erreichen, denn viele lesen keine geschriebenen Informationen – auch nicht in ihrer Muttersprache. Hippy findet den Zugang zu ihnen über Multiplikatorinnen aus der Zielgruppe – sie gehen auf die Frauen zu. „Denn jede Mutter will das Beste für ihr Kind“, sagt Frankl, „und hier knüpfen wir an.“

„Es kommt darauf an, den Frauen auf Augenhöhe begegnen“, sagt Wolfgang Kratky, der das Projekt in Österreich etabliert hat und in Wien leitet. Die Zusammenarbeit zwischen Profis und Hippy-Betreuerinnen läuft sehr gut, sagt Kratky. „Wir bekommen Anrufe von Kindergärten, Schulen oder Ämtern, dass sie eine Familie für Hippy haben. Den Kontakt zu dieser Familie bekommen wir aus Datenschutzgründen nicht, also wartet die Hausbesucherin zum Beispiel vor dem Kindergarten und bietet jenen Müttern Hippy an, denen vorher bereits von der Kindergartenpädagogin das Programm empfohlen wurde.“ Inzwischen habe sich aber der Nutzen der Aktion schon herumgesprochen.

Ausweitung geplant

„Oft wird kritisiert, dass es nur von Laien gemacht wird“, meint Kratky. Doch internationale Erfahrungen hätten gezeigt, dass dieses Konzept mit studierten Psychologinnen oder Pädagoginnen nicht so gut funktioniert. Dass es funktioniert, ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Zuletzt kündigte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (VP) an, das Projekt auch in anderen Bundesländern starten zu wollen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.05.2012)


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