Integration in Kaltenleutgeben – Niederösterreich

28.01.2011 | 16:21 | Nasila Berangy

In Niederösterreich hat ein gebürtiger Iraner als Apotheker Wurzeln geschlagen – und erfreut sich bei den Bewohnern der kleinen Gemeinde außergewöhnlicher Beliebtheit.

WIEN. „So einen Chef hatte ich noch nie.“ Gemeint ist der Apotheker in Kaltenleutgeben in Niederösterreich, Houshang Shayganfar. Das Zitat kommt von seiner Mitarbeiterin Elisabeth Cernoch. Sie muss es wissen, arbeitet sie hier doch schon seit 35 Jahren. Sie hat schon einige Chefs kommen und gehen gesehen.

Auch sie hätte gehen können, ist es aber nicht, obwohl sie die Pension längst hätte antreten können. Sie ist seinetwegen geblieben. Denn er, Shayganfar, „ist der beste Chef“.

Vor zwei Jahren übernahm der heute 50-jährige gebürtige Perser, wie er sich selbst bezeichnet, die Apotheke. Zufällig. Denn eigentlich hatte er in St. Pölten ein Vorstellungsgespräch als Apotheker. Statt ihm die freie Stelle anzubieten, fragte ihn die dortige Eigentümerin, ob er sich denn nicht selbstständig machen wolle und bot ihm prompt ihre zweite Apotheke in Kaltenleutgeben an.

Inserat in eigener Sache

Für Shayganfar ein willkommener Zufall, denn er spielte ohnehin mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen; willkommen auch deshalb, weil es in Österreich durch das Monopolgesetz schwierig sei, eine Apotheke zu bekommen. Das gelte allerdings für alle, nicht nur für Migranten, betont er. Nachdem alles fixiert war, begann er um die Gunst der Kaltenleutgeber zu werben – auf ungewöhnliche Art und Weise, jedenfalls für einen Apotheker. Er schaltete in regionalen Zeitungen ein zweiseitiges Inserat, um sich vorzustellen. Shayganfar: „Man muss den Menschen zeigen, ob Know-how vorhanden ist.“

Es scheint vorhanden zu sein. Denn seit der Übernahme hat er ein Umsatzwachstum von zehn Prozent verbucht. Das führen die Mitarbeiterinnen des Apothekers auf seinen Umgang mit den Kunden und seine gute Beratung zurück. Die Kunden sind voll des Lobes: kompetent, hilfsbereit, sympathisch, freundlich. Die Betonung liegt bei all diesen Schilderungen immer auf dem „sehr“. Denn auch die Kunden sehen ihn als den besten Apotheker, den es in Kaltenleutgeben je gegeben habe.

Service ist für den Pharmazeuten alles. Jede Apotheke verkaufe dieselben Medikamente, die nächste ist schließlich nur drei Kilometer entfernt. Fazit für Shayganfar: „Zu uns sollen die Leute unseretwegen kommen.“ Die Rechnung scheint aufzugehen. Denn die Kunden fühlen sich hier gut aufgehoben – nicht zuletzt, weil keiner das Geschäft verlässt, ohne einmal herzhaft gelacht zu haben. Die Sympathie ist beidseitig: Auch Shayganfar schätzt die Kaltenleutgeber, denn hier könne man Kontakte pflegen. Schließlich ist es im Ort üblich, einander auf der Straße zu grüßen – auch ohne einander zu kennen. Am Land zu arbeiten ist ihm wesentlich sympathischer als in der Stadt.

Antwort auf fast alle Fragen

Sein Weg ins Bewusstsein der Ortsbewohner war hier auch zweifelsohne schneller und effizienter umsetzbar: Viele kamen einfach, „um zu schauen“, berichten seine Mitarbeiterinnen. Oft wollten die Besucher auch ganz Persönliches wissen: Woher denn seine Frau stamme oder wie alt denn die Kinder seien etwa. Geduldig beantwortete er alle Fragen.

Fast alle. Denn über Politik wollte und will der stets gut gelaunte Apotheker nicht sprechen – auch wenn viele seiner Kunden mit ihm über den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad debattieren wollen. Die Politik des Iran „ist aber weit komplexer, um sie in wenigen Minuten zu besprechen“. Und vor allem: Politik gehört für Shayganfar nicht in den Verkaufsbereich. Das gelte im Übrigen auch für die österreichische. Shayganfar ist Geschäftsmann genug, um zu wissen, dass politische Diskussionen auch schädigend für das Geschäft sein könnten.

An Probleme mit der angestammten Bevölkerung in Kaltenleutgeben kann er sich nicht erinnern. Hier im Ort ist er „Everybody’s Darling“, das führt er auf seine Anpassungsfähigkeit zurück.

Es scheint fast so, als wäre Kaltenleutgeben ein Ort, an dem die Herkunft keine Rolle spielt. Und offenbar kehrt allmählich Ruhe ins Leben des Exil-Iraners ein.

„Bleibe Teheraner“

Nach der Machtergreifung von Ayatollah Khomeini 1979 ging er nach Frankreich, um zu studieren. Wenig später lernte er die Frau kennen, die er später heiraten sollte: eine Österreicherin. Das Paar entschied sich, nach Wien zu übersiedeln. Sein angefangenes Städtebaustudium konnte er nicht fortsetzen, deshalb sattelte er auf Pharmazie um.

Mit dem Iran verbindet ihn heute nur noch Urlaub. Die österreichische Gesellschaft passe zu ihm, meint der Migrant. Österreich empfindet er als seine zweite Heimat, auch wenn er emotional noch an Persien hänge. Seine Identität stellt er dennoch nicht infrage. Shayganfar: „Ich bin ein Teheraner und das bleibe ich auch. Sonst hätte ich ja ein Charakterproblem“, sagt er etwas entsetzt. Dass von Migranten ein Bekenntnis zu Österreich verlangt werde, kann er zwar verstehen, sei aber allzu patriotisch.

Denn auch ein Österreicher, der beispielsweise jahrelang in den USA lebt, wird nie vergessen, wo er herkommt, und – um der neuen Heimat willen – die alte verleugnen.


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