Erdbeben, Tsunami, Super GAU: Japaner in Österreich

16.03.2011 | 8:23 | Ania Haar

Rund 2500 Japaner leben in Österreich. Nach dem Erdbeben, dem Tsunami und den Schwierigkeiten in den japanischen Kernkraftwerken verfallen sie nicht in Panik – so wie ihre Landsleute in Japan auch.

Wien. „Wegen Johann Strauß und dem Dreivierteltakt bin ich nach Wien gekommen.“ Ruhig und entspannt sitzt Kazuko Koyanagi in einem Wiener Café und erzählt: „Meiner Familie, die unweit von Tokio wohnt, geht es so weit ganz gut.“ Die Ruhe der 30-jährigen Japanerin ist insofern bemerkenswert, weil Japan gerade eine der größten Katastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg durchlebt: Erdbeben, Tsunami und nun auch noch Unglücksfälle in Atomkraftwerken.

„Ich habe keinen Fernseher zu Hause“, sagt sie, „ich schaue im Internet nach.“ Sie macht sich zwar ein wenig Sorgen um ihre Heimat, Angst vor einer Atomkatastrophe hat sie dennoch keine. „Viele verstehen die Ruhe der Japaner nicht“, sagt Werner Wiessböck, Vizepräsident der Österreichisch-Japanischen Gesellschaft in Wien: „Sie sind nicht panisch.“ Seine Erklärung: Es gebe große Unterschiede in der Berichterstattung zwischen Japan, Europa und Amerika. „In Japan werden nur Informationen an Medien weitergegeben, die durch Fakten gesichert sind“, sagt Wiessböck, „um Panik zu vermeiden.“ In Europa und Amerika dagegen werde nach Sensationen gesucht. „Die disziplinierte und ruhige Haltung der Japaner wird dadurch oft falsch verstanden“, meint er, „es geht darum, Krisen nicht noch weiter zu verschärfen.“

Japaner in Österreich sind eine überschaubare Community. Laut Statistik Austria leben in Österreich 2555 Japaner, davon alleine 1727 Personen in Wien. Wiessböck korrigiert die Zahlen: Es werden rund 1300 bis 1400 sein. Den Unterschied in den Zahlen würden die Musikstudenten ausmachen, die in Wien oder Salzburg studieren. So wie Kazuko Koyanagi.

Die erste große Welle Japaner, so Wiessböck, ist in den späten 70er-Jahren mit dem Aufschwung Japans nach Österreich gekommen, die zweite in den 80ern, dann ein Nachschub in den 90ern. Es seien meistens Diplomaten, Banker, Handelsvertreter und Unternehmer. Oft kommen Familienmitglieder mit. Rund 85Prozent der Japaner haben eine akademische Ausbildung.

„Integration ist hier kein Thema“, meint Wiessböck, „denn viele kommen nur für kurze Zeit und gehen wieder.“ Oft sind sie Mitarbeiter internationaler Organisationen, die nur für eine bestimmte Zeit kommen, um in der Außenstelle ihres Unternehmens zu arbeiten. „Durchschnittlich für drei bis vier Jahre“, so Wiessböck, „und dann gehen sie wieder.“ Manche Studenten versuchen, nach dem Studium zu bleiben. „Aber es ist nicht einfach, eine Anstellung zu bekommen“, sagt Koyanagi. Andere bleiben, weil sie einen Partner gefunden haben. Sie wiederrum sind gut integriert.

Teures japanisches Essen

Um in Österreich zu studieren, arbeitete Koyanagi vier Jahre lang im Blumengeschäft ihrer Eltern, gab Nachhilfe und sparte ihr Geld. Als sie mit einem Studentenvisum in Wien ankam, war sie zunächst schockiert. Obwohl sie intensiv Deutsch gelernt hat, kann sie kein Wort sprechen. „Auch wusste ich nicht, dass in Wien sonntags die Geschäfte zuhaben.“ Das überraschte sie sehr. So wie auch die Tatsache, dass das japanische Essen, das man problemlos in asiatischen Geschäften bekommen kann, für sie viel zu teuer ist. „Ich kaufe mein Essen in normalen Supermärkten“, sagt sie, „aber in jedem Supermarkt gibt es fast die gleichen Sachen zu kaufen. Es wird schnell langweilig.“ Dabei ist die traditionelle japanische Küche sehr abwechslungsreich. „Eindeutig zu wenig Fisch“, meint sie, „aber ich habe mich bereits an das Essen gewöhnt.“

Aber das sind alles nur Kleinigkeiten. Momentan beschäftigt die japanische Community viel mehr die Lage in Japan. „Wir haben in der Schule gelernt, wie man sich im Falle des Erdbebens verhalten sollte“, sagt Koyanagi. Jeder Japaner hat einen Erdbeben-Rucksack mit Helm in der Wohnung. Darin befinden sich eine Flasche mit Wasser, haltbares Essen, Medikamente und ein Taschenmesser, eine Taschenlampe mit Batterien und ein funktionierendes Radio – zum Nachrichtenempfangen.

Daneben steht ein Paar Schuhe. Gibt es ein Beben, muss man erst abwarten, bis es aufgehört hat – erst dann darf man rausgehen. Theoretisch sind die Japaner also perfekt vorbereitet. „Aber“, meint Koyanagi, „auf so ein großes Erdbeben kann man sich nur schlecht vorbereiten.“

Beten für die Freunde

Sie schaut besorgt aus: „Man kann nur beten.“ Sie hat in den letzten Tagen viele Anrufe von ihren österreichischen Freunden bekommen. „Wie geht es deiner Familie, wie geht es dir“, fragen sie, und versprechen „zu beten“. Beten ist jetzt für die junge Studentin sehr wichtig geworden. Ob sie Freunde in dem Atomunfallort Fukushima hat? „Ja, meine beste Freundin wohnt dort, ich kann sie seitdem nicht mehr erreichen.“ Ihre Stimme wird leiser: „Meine anderen Freunde erreiche ich auch nicht“.

ANIA HAAR, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.03.2011


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