Judentum: Willkommen im Jahr 5772

KURZ:
  • Der jüdische Kalender beginnt mit der biblischen Schöpfung der Welt im Jahr 3761 v. Chr. und hat, da er sich am Mondzyklus richtet, 12 Monate mit jeweils 29 Tagen. Wegen der Angleichung an das Sonnenjahr gibt es allerdings öfters ein Schaltjahr mit 13. Monaten.

30.09.2011 | 16:25 | Jana Rosenfeld

Am 29. September, beziehungsweise am 1. Tishrei nach jüdischer Zeitrechnung, feiern Juden auf der ganzen Welt das jüdische Neujahrsfest Rosh Hashana. Der jüdische Kalender beginnt mit der biblischen Erschaffung der Welt, welche dieses Jahr 5772. Geburtstag feiert. 

„Shana Tova u Metuka“ oder „ein gutes und süßes Jahr“ wünschen sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Wiens heute vor der Synagoge, wo sie sich anlässlich von Rosh Hashana, zu Deutsch „Kopf des Jahres“, versammeln. Der Tradition gemäß verteilen Kinder und Jugendliche einer jüdischen Jugendorganisation vor dem Gebetshaus Äpfel mit Honig, um nicht nur jedem Einzelnen Gesundheit und Freude, sondern auch der gesamten Gemeinde Frieden und Zusammenhalt zu wünschen. „Der Honig symbolisiert ein gutes und süßes Jahr“, erläutert der Oberrabbiner der israelitischen Kultusgemeinde Chaim Eisenberg. „Nicht wie bittere Medizin, die zwar gut für uns ist, aber nicht süß, wünschen wir uns nicht nur ein gutes nächstes Jahr, sondern wir wollen es auch genießen.“

Ein Fest des Insichgehens

Anders als Silvester etwa ist das jüdische Neujahrsfest, das der Überlieferung nach am 6. Tag der Schöpfung, an dem Adam und Eva geschaffen wurden, begangen wird, ein Fest des Insichgehens und Nachdenkens. Es erinnert an den Bund zwischen Menschen und Gott, der mit der Erschaffung der Welt begann und weiterhin besteht.

Rosh Hashana ist ein Fest mit besonderer Intensität und wird auch von vielen Juden, die sonst nicht so häufig in den Tempel gehen, begangen. „Ernst, aber nicht traurig reflektiert man über das letzte Jahr und überlegt, was man besser machen könnte. Das hat gewisse Power und zieht auch solche Menschen an, die sonst nicht kommen“, sagt Chaim Eisenberg.

„Es ist ein Tag des Erwachens. Man macht sich Gedanken darüber, wie das letzte Jahr verlief, wo man im Leben steht und wohin man gehen will“, schildert der 22-Jährige Aaron K. Um sich auf das nächste Jahr vorzubereiten, setzt er sich intensiv mit seinen Errungenschaften und Schwierigkeiten des vergangenen auseinander und zieht Bilanz über seine Beziehung zu Gott und seinen Mitmenschen. „Es ist aber nicht nur eine Kopfsache, sondern auch eine Zeit Pläne zu machen und anzufangen zu tun. Wenn mir zum Beispiel klar wird, dass ein guter Freund und ich uns auseinander gelebt haben, versuche ich das zu ändern.“

Vom Neujahr zum Versöhnungstag

Bei Rosh Hashana geht es nicht um materielle Wünsche. Die Mitglieder der Gemeinde wünschen sich für ein gutes Jahr „eingetragen zu werden“ – „Le Shana Towa tikatewu“. Denn an diesem Tag richten nicht nur die Menschen über ihr vergangenes Jahr, sondern auch Gott über die Menschen. Einem talmudischen Gleichnis zufolge öffnet er an diesem Tag 3 Bücher, in die er sein göttliches Urteil über die Menschen hineinschreibt, das Buch des Lebens für gute Menschen, das Buch des Todes für schlechte und ein weiteres mittleres. Dieses Gleichnis sei allerdings nicht wörtlich zu nehmen, aber soll daran erinnern, dass unsere Taten nicht verschwinden, sondern aufgezeichnet werden. „Man muss doch ein bisschen brav sein, wie schon der Kaiser sagte, und verantwortlich leben“, meint der Oberrabbiner der Wiener Gemeinde. Gleichzeitig aber hat man auch eine Chance sich zu verbessern, denn „der liebe Gott ist nachsichtig. Auch wenn man nicht so brav war, will er uns nicht einfach bestrafen. Er will uns nichts Böses, sondern, dass wir zu ihm zurückkehren”. 10 Tage nach dem Neujahrsfest ist der Versöhnungstag Jom Kippur. Bis dahin ist noch Zeit Gottes Diktum zu verändern, denn erst dann, so das Gleichnis, wird es besiegelt und die Bücher verschlossen.

Bitte vergib mir meine Sünden

Da es an einem einzigen Tag nicht machbar ist, haben Juden zwischen Rosh Hashana und Jom Kippur „10 ehrfurchtsvolle Tage“ lang Zeit über ihr Leben nachzudenken, zu beten und ein besserer Mensch zu werden. Zu Jom Kippur schließlich, dem heiligsten Tag des Jahres für Juden, wird nicht gearbeitet, sondern in der Synagoge gebetet. „Um sich nur auf seine Essenz zu besinnen, vergisst man alles Zusätzliche und konzentriert sich nur auf sich und seinen Bund zu Gott“, so Aaron K. Neben dem Verzicht auf Lederkleidung, Geschlechtsverkehr und Waschen, wird rund 25 Stunden gefastet. So werden einem viele Sünden vergeben, nicht jedoch die seinen Mitmenschen zugefügten Schmerzen. „Es wäre zu easy jemanden zu beleidigen und zu sagen: ,Lieber Gott, verzeih‘ mir bitte’. Das wäre nicht fair. Zwischenmenschliches muss auch zwischenmenschlich ausgetragen werden”, sagt Eisenberg.

Da man mit seinen Mitmenschen von alleine Frieden schließen muss, ist es Sitte all die Menschen, denen man Unrecht getan hat, um Vergebung zu bitten. Dass man das nicht nur an einem einzigen Tag des Jahres machen sollte, erklärt Aaron K., aber durch die besondere Grundstimmung zu Jom Kippur und die gemeinsame Anstrengung könne es einem leichter fallen anderen zu verzeihen und sich auch selbst seine Fehler einzugestehen, denn das ist keine Schwäche. „Das ist wie wenn man von einem 10 Meterbrett springen will. Ist man alleine, hat man den Mut und die Motivation nicht. Wenn aber viele Leute einen anfeuern oder auch hinunterspringen, ist das viel einfacher.“


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