Khmer in Österreich: Die unsichtbaren Einwanderer

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07.07.2009 | 20:52 | Aysun Bayizitlioglu

Rund 900 Menschen aus Kambodscha leben in Österreich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ihre Sprache, ihre Kultur sind unbekannt. Die meisten Khmer, wie sich die Kambodschaner selbst nennen, leben in Linz.

Meine hochschwangere Mutter bestellte gerade das Feld. Meine Geschwister und ich spielten im Schatten. Kurz vor Mittag kam mein Vater aufgeregt zu uns und sagte, dass wir sofort nach Hause gehen und packen müssten. In der Hauptstadt wurden bereits Leute deportiert. Wir sind über die Grenze nach Thailand geflüchtet und haben dort einige Monate im Lager gelebt.“ Foulard Gressls Stimme klingt noch immer traurig, wenn sie von der dramatischen Flucht ihrer Familie vor 33 Jahren erzählt.

Viele Kambodschaner mussten nach 1975 wegen des Terrorregimes von Pol Pot und der Roten Khmer ihr Land verlassen. Warum sind Foulard und ihre Familie damals ausgerechnet nach Österreich gekommen? „Das ist einem Irrtum zu verdanken“, schmunzelt sie. „Mein Vater wollte eigentlich nach Australien auswandern, hat aber versehentlich im Antrag ,Austria‘ angekreuzt.“

Heute leben knapp 900 Kambodschaner in Österreich, viele bereits seit 30 Jahren. Im Alltag sind sie kaum sichtbar. Ihre Sprache, ihre Kultur sind unbekannt. Die meisten Khmer, wie sich die Kambodschaner selbst nennen, leben in Linz, einige auch in Wien. „In Oberösterreich gab es viele Jobs in der metallverarbeitenden Industrie“, erzählt Chamroeun Ban, der ebenfalls in Linz eine neue Heimat gefunden hat. Er selbst arbeitet erfolgreich als Ingenieur, doch viele Einwanderer der ersten Generation haben nur als einfache Arbeiter eine Anstellung gefunden. „Obwohl viele von ihnen in Kambodscha ein Studium oder eine Fachausbildung abgeschlossen hatten“, sagt er.

Sam-Nang Som ist ebenfalls Ingenieur und stellvertretender Schriftführer der kambodschanischen Vereinigung in Linz. Er findet, dass sich die Khmer in Österreich gut integriert haben. „Alle können ausreichend Deutsch, um im Alltag zurechtzukommen. Die jüngste Generation ist in Schule, Freizeit und Freundeskreis voll integriert.“ Einziger Wermutstropfen: „Fast alle Kinder, die hier geboren wurden, sprechen kaum mehr Khmer.“

Scheu und zurückhaltend

Dass man hierzulande so wenig über die Khmer weiß, erklärt Som so: „Die älteren Khmer sind meist sehr scheu und zurückhaltend. Wir klammern uns auch nicht streng an unsere Traditionen und Bräuche, deswegen fallen wir wenig auf.“ In Linz und Wien gibt es zwar Kulturvereine, über deren Aktivitäten jedoch fast nichts nach außen dringt. Chamroeun Ban ist Schriftführer im Verein „KKA-Khmer Kulturverein in Austria“, der sich seit 30 Jahren bemüht, den Khmer in Österreich ein Stück alte Heimat zu bewahren. Sam-Nang Som ist in der „Kambodschanischen Vereinigung“ in Linz engagiert.

Bemerkbar machen sich diese Vereine unter anderem mit Neujahrsfesten. Auch Foulard Gressl organisiert ein solches seit drei Jahren. „Wir feiern das neue Jahr Anfang April mit traditionellen Speisen und Tänzen, reden und sitzen gemütlich zusammen.“ Ob sie auch 2010 wieder ein Neujahrsfest organisieren können, ist fraglich. „Diese Feste werden nur durch Spenden von Vereinsmitgliedern finanziert. Wir bräuchten Unterstützung vom Staat und mehr Mithilfe der anderen Khmer“, meint sie.

Schade findet sie auch, dass kaum Einheimische mit ihnen feiern – „so könnten sie uns besser kennenlernen und mehr über uns erfahren“, meint Gressl.

Allzu viel weiß man in Österreich nicht über die Khmer und ihre Kultur, die stark von Indien beeinflusst ist. Man kennt vielleicht die Tempelanlage von Angkor Wat – aber sonst? „Manche denken, wir sprechen Chinesisch oder Vietnamesisch. Doch Khmer ist mit diesen Sprachen nicht mal verwandt.“ Und eine eigene Schrift haben die Kambodschaner auch. „Ich kann noch Khmer sprechen, aber schreiben leider nicht“, bedauert Foulard, die mit einem Österreicher verheiratet ist. „Leider habe ich es versäumt, meinen Kindern Khmer beizubringen. Meine Mutter versucht das jetzt nachzuholen.“

Buddhisten als Christen

Die meisten Khmer in Österreich waren ursprünglich Buddhisten. Die älteren praktizieren diese Religion noch. Sie beten gemeinsam oder gehen in den buddhistischen Tempel in Wien.

Im Zuge der Integration gewann aber auch das Christentum an Einfluss. „Damit wir die katholische Schule besuchen durften, sagten meine Eltern, ich sei katholisch.“ Viele andere hätten es auch so gemacht, „weil buddhistische Kinder oft als Ungläubige dargestellt wurden.“

Heute haben sich fast alle kambodschanischen Flüchtlinge in Österreich eine neue Existenz aufgebaut, viele haben die österreichische Staatsbürgerschaft und sind stolz auf das Erreichte. „Wir sind gleichberechtigte und gleichwertige Bürger Österreichs“, sagt Foulard. Trotzdem träumen viele Khmer der ersten Generation davon, ihren Lebensabend in Kambodscha zu verbringen. Denn trotz aller Erfolge sind sie in Österreich isoliert geblieben. „Unsere Gruppe ist zu klein, um in der Öffentlichkeit präsent zu sein“, meint Foulard, „über mehr Interesse für unsere Kultur, Sprache und Geschichte würden wir uns aber sehr freuen.“ (AYSUN BAYIZITLIOGLU)

„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.07.2009


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