Lehrlinge: Die geschützte Werkstatt als letzter Ausweg

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19.08.2009 | 19:00 | Nasila Berangy

Immer mehr Jugendliche müssen in überbetrieblichen Lehrinstituten ihre Ausbildung absolvieren, weil Unternehmen kaum mehr selbst ausbilden wollen. Doch die Lehrlinge sind darüber gar nicht so unglücklich.

Ziegel auf Ziegel. Dazwischen schaufelt Taner mit einer Maurerkelle Betonmasse, bis ein Überlager mit einer Fensteröffnung gebaut ist. Der 18-Jährige absolviert gerade seine Lehrzeit als Maurer – allerdings nicht in einem Betrieb, sondern beim überbetrieblichen Lehrinstitut „Jugend am Werk“. Damit ist er nicht allein, mehr als 7700 Lehrlinge werden derzeit in solchen Lehrinstituten ausgebildet. Grund: Sie konnten keine Lehrstelle finden.

Gerade Migranten und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen. Vor zweieinhalb Jahren führte das AMS eine Untersuchung durch und fragte explizit nach der Muttersprache – normalerweise wird nur nach Staatsbürgerschaft erfasst. Dabei stellte sich heraus, dass zwei Drittel der vorgemerkten Lehrstellensuchenden Migrationshintergrund hatten. Ali Ordubadi, AMS-Diversitymanager: „In den Köpfen der Menschen ist verankert: Migrant ist gleich Defizit.“ Er verweist auf eine Studie in Deutschland, bei der fingierte Bewerbungen an Firmen geschickt wurden. Lediglich ein Drittel der Migranten wurde dabei zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Als sich eine Scheinbewerberin telefonisch nach dem Verlauf der Bewerbung erkundigte, war der Personalist überrascht über ihre guten Deutschkenntnisse.

Solche Fälle gibt es, sagt Alfred Freudlinger von der Wirtschaftskammer, aber er kenne auch Gegenteiliges, wo Betriebe lieber Lehrlinge mit Migrationshintergrund nehmen würden, weil diese fleißiger und ernsthafter seien. Die Zusammensetzung aller Lehrlinge wird nach Staatsbürgerschaft erfasst. Von 131.880 haben 122.987 die österreichische Staatsbürgerschaft, gefolgt von 2172 mit der deutschen, aus Bosnien-Herzegowina sind es 1547, 1200 aus Serbien, 1130 aus der Türkei.

„Man lernt hier mehr“

Die überbetriebliche Ausbildung wurde von der Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer und dem ÖGB initiiert, um Jugendliche aufzufangen, die keinen Lehrplatz finden. Die überbetriebliche Lehrausbildung gilt als gleichwertig zur Ausbildung in Betrieben. Und die Betreiber sehen darin sogar Vorteile: Man könne hier „mehr lernen“, so „Jugend am Werk“-Sprecher Wolfgang Bamberg.

Doch wie sinnvoll ist eine solche geschützte Werkstatt und inwieweit werden Jugendliche darin auf das richtige Arbeitsleben vorbereitet? Servet Yildiz, der Lehrlinge zu Maurern ausbildet, sieht nur Vorteile: „Es gibt keinen Auftragsdruck, es gibt nicht das Problem ausbleibender Aufträge und vor allem haben wir hier viel Geduld.“ Ähnlich der Tenor in der AK, denn die Jugendlichen machen Praktika in anderen Betrieben, um auch den realen Arbeitsbetrieb kennenzulernen. Eine Maßnahme, die Betriebe freut, kommen sie so doch kostengünstig an Arbeitskräfte. Dennoch sind sich alle einig: Es ist besser, die Jugendlichen werden ausgebildet, als sie können mangels Lehrstelle gar nichts tun.

Einen entscheidenden Vorteil sieht Yildiz darin, dass die Lehrlinge hier Facharbeitertätigkeiten verrichten, während sie am Bau lediglich als Hilfsarbeiter eingesetzt werden. Taner weiß das zu schätzen. Er erzählt von Freunden in Betrieben, die noch nicht einmal mit Ziegeln arbeiten durften. Taner, selbst türkischstämmig, hatte das beste Schulzeugnis seiner Gruppe – und wird als Nächster an eine Firma vermittelt. Er zählt zu den 90 Prozent mit Migrationshintergrund, die hier zum Maurer ausgebildet werden wollen. Dass die Maßnahme eigentlich nur als kurzfristige Übergangslösung für Jugendliche, die keinen Lehrplatz gefunden hatten, gedacht war, scheint längst in Vergessenheit geraten zu sein. Denn die Zahl der Lehrlinge, die in einem überbetrieblichen Lehrinstitut ausgebildet werden, ist im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 2400 gestiegen.

Weniger Geld für Lehrlinge

Wohl aus diesem Grund appelliert AK-Präsident Herbert Tumpel an die Betriebe, mehr Lehranfänger aufzunehmen, und fordert von ihnen einen verstärkten Beitrag zur Jugendausbildung. Ordubadi wundert sich dabei, dass die Wirtschaft nach Fachkräften verlangt, einzelne Betriebe aber nicht bereit sind, diese auszubilden. Als Grund vermutet er, dass Betriebe auf den Geschmack gekommen sind, aus den Lehrinstituten gleich fertig ausgebildete Fachkräfte zu bekommen. Das komme vor, bestätigt Wirtschaftskammer-Experte Freudlinger. Eine Medizin nütze eben nicht nur, sondern schade auch. Als Antwort könne man aber nicht die Medizin abstellen.

Einen weiteren Haken hat die Ausbildung in überbetrieblichen Instituten: Die Jugendlichen werden nicht nach Kollektivvertrag entlohnt, sondern nur mit 240Euro monatlich entschädigt. Man arbeite mit Förderungen der öffentlichen Hand, da sei mehr nicht möglich. Und trotzdem, immer wieder entscheiden sich Jugendliche für eine Lehrstelle bei „Jugend am Werk“, selbst wenn sie eine bekommen würden, bei der sie dreimal so viel verdienen.

Besonderen Wert legt Ausbildner Yildiz darauf, dass die Schüler untereinander kollegial sind. Nicht immer einfach, wenn unterschiedliche Kulturen zusammenkommen. Die Jugendlichen brauchen einige Monate, um zueinanderzufinden, doch jetzt sind sie „miteinander verschweißt“. Das mag auch an den Ausbildnern liegen, die regelmäßig Mediationsseminare besuchen müssen. Das scheint auch bei den Jugendlichen anzukommen. Denn die meisten hier haben einen Traumberuf: Ausbildner. „Wir wollen wie Herr Yildiz unser Wissen weitergeben“, heißt es. Während Yildiz sich als streng bezeichnet – „es geht um ihre Zukunft und sie müssen auf die Privatwirtschaft vorbereitet sein“ – sehen die Jugendlichen seine Strenge als Fürsorge: „Er will, dass etwas aus uns wird.“

(NASILA BERANGY, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.08.2009)


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