Wien: Migranten als Pflegeeltern dringend gesucht

AUF EINEN BLICK
  • Pflegeeltern: In Wien gibt es 518 Pflegefamilien und 45 Krisenpflegefamilien, die Kinder aufnehmen, deren Eltern sich nicht um sie kümmern können. Die Stadt Wien will nun gezielt Migrantenfamilien dafür gewinnen.
  • www.pflegemama.at

06.07.2011 | 17:37 | Ania Haar

Die Stadt Wien will vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund als Pflegeeltern gewinnen .Migrantische Pflegefamilien würden sogar zusätzliche Kompetenzen mitbringen, die einer österreichischen Familie fehlen.

Wien. Elena hat große Kulleraugen und keinen Pass. Entspannt liegt sie im Kinderwagen und zeigt auf ihre neuen Sandalen. Sie wirkt rundherum glücklich. Und das ist nicht selbstverständlich, denn obwohl das rumänische Mädchen noch nicht einmal ein ganzes Jahr alt ist, hat es schon einiges durchgemacht. „Ich kenne ihre Geschichte nicht genau“, sagt Eva Kordulova, „und ich will auch nicht alles wissen.“ Was sie weiß ist, dass Elena irgendwann wieder abgeholt werden wird.

Eva Kordulova ist eine Krisenpflegemama. Sie kümmert sich um Kinder – für eine kurze Zeit, bis sie entweder zu ihren Eltern zurück können, oder bei einer Dauerpflegefamilie ein neues Zuhause finden. Eine solche Unterbringung ist für alle Kinder vorgesehen, deren Eltern – aus welchen Gründen auch immer – sie kurz- oder langfristig nicht versorgen können. 2010 wurden in Wien insgesamt 742 Kinder und Jugendliche untergebracht – 549 in Wohngemeinschaften, 193 bei Pflegeeltern. Der Trend geht zunehmend weg von den größer organisierten Wohnheimen, hin zu Pflegefamilien – und so soll es nach dem Willen der Behörden auch weitergehen.

Zu wenig Pflegeeltern

Die Idee einer Pflegefamilie ist nicht neu. Bereits im 19.Jahrhundert gab es das Modell der „Zieheltern“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Kinder häufig von Bauernfamilien aufgenommen und dienten als Arbeitskräfte. Vor rund 30 Jahren ging man von diesem Modell allerdings ab und begann, vermehrt Kinder zu Familien in Städte zu vermitteln. Ein Modell, das lange Zeit gut funktionierte. Allerdings: Es fehlt mittlerweile an potenziellen Pflegeeltern.

In Wien gibt es derzeit 518 Pflegefamilien und 45 Krisenpflegefamilien. „Das sind noch zu wenige“, sagt Herta Staffa, Leiterin der Servicestelle von Mag Elf, dem Wiener Amt für Jugend und Familie. „Wir müssen Kinder öfters im Burgenland oder in Niederösterreich unterbringen.“ Das erschwere aber den Kontakt zwischen den Kindern und den leiblichen Eltern.

Eine mögliche Lösung sieht Staffa in der Erschließung neuer Schichten als Pflegeeltern. „Wir hätten gerne mehr Pflegefamilien mit Migrationshintergrund. Nur melden sich bei uns kaum welche.“ Warum? „Ich glaube, dass das staatlich organisierte System der Pflege zu wenig bekannt ist“, meint Staffa. Denn gerade in migrantischen Familien sei es noch weit verbreitet, dass bei Problemen einfach andere Familienmitglieder die Betreuung von Kindern übernehmen. Von Geschwistern und Tanten bis zu Großeltern.

Dabei würden migrantische Pflegefamilien sogar zusätzliche Kompetenzen mitbringen, die einer österreichischen Familie fehlen. Etwa dann, wenn ein Kind mit Migrationshintergrund in die Pflege kommt. Auf diese Weise könnten auch sprachliche und religiöse Wurzeln der Kinder gepflegt und gefördert werden.

Finanzielle Unterstützung

Eine dieser Pflegemamas mit Migrationshintergrund ist Eva Kordulova. „Es ist nicht schwer, eine Pflegemama zu sein“, erzählt sie, „man braucht nur viel Kinderliebe und Geduld.“ Und natürlich Kinderwagen, Kleidung, Windeln, Schuhe, Flaschen und Schnuller in allen Größen. Und Spielzeug. Aber natürlich gibt es auch eine Unterstützung dafür – so bekommen Pflegeeltern bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes 450 Euro pro Monat, für ältere Kinder erhöht sich die Summe, die 16 Mal pro Jahr ausgezahlt wird. Bei Krisenpflegeeltern ist die Summe noch höher – sie liegt bei rund 900 Euro pro Monat.

„Ich bin seit einem knappen Jahr Krisenpflegemama“, sagt Eva Kordulova, „und Elena ist mein fünftes Kind.“ Sie hat das Pflegemuttersein zufällig entdeckt. Die gebürtige Tschechin ist Juristin, während eines Deutschlandaufenthalts lernte sie in ihrer Nachbarschaft eine Pflegefamilie kennen. Ihr gefiel die Sache auf Anhieb. Als ihre beiden eigenen Kinder größer wurden, fehlte ihr etwas. Und eine gewisse Tradition hat das Aufnehmen von Kindern in ihrer Familie auch: „Das haben meine Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg auch gemacht.“

Als sie schließlich nach Österreich zog, meldete sie sich gleich bei der Mag Elf und absolvierte zusammen mit ihrem Mann einen Kurs. Das ist auch insofern wichtig, weil viele Kinder, die in Pflege kommen, vernachlässigt, zum Teil sogar von körperlicher und sexueller Gewalt betroffen waren. Hier ist spezielles Einfühlungsvermögen gefragt, das in derartigen Kursen vermittelt wird.

Daneben ist aber auch ein geregeltes soziales und familiäres Umfeld nötig. Im Fall von Eva Kordulova ist das kein Problem: „Ohne Unterstützung meines Mannes könnte ich das nicht machen“, erzählt sie.

Aber selbst bei den besten Voraussetzungen gibt es eine ganze Reihe von Hindernissen – etwa einen Fulltime-Job: „Ich verstehe die Frauen, die zwar gerne diesen Job machen würden“, sagt Mag-Elf-Leiterin Staffa, „aber viele von ihnen können ihren Arbeitgebern ja schlecht sagen: Ich bin mal für vier oder sechs Wochen weg, da kommt ein Kind.“

„Schon wieder schwanger?“

Wie aber reagieren leibliche Eltern auf eine nicht österreichische Pflegemutter? „Normalerweise ganz gut“, meint Kordulova. Allerdings: „Einmal habe ich schon rassistische Bemerkungen von den Eltern gehört.“ Es gebe aber auch immer wieder lustige Begegnungen. „Ich nehme alle Kinder auf“, sagt sie. Und wenn sie dann Leuten begegnet, die sie schon wieder mit einem anderen Kind sehen, werde sie mitunter gefragt: „Schon wieder ein Kind? Wir haben ja gar nicht mitbekommen, dass Sie schwanger waren.“

 

(ANIA HAAR, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.07.2011)

 


ein Kommentar

  • Schalhammer Hermine

    Ich bin eine Pätagogin und lebe seit 25 Jahren mit einem Rümänen zusammen. Ich habe ein rumänisches Mädchen adoptiert. Wir haben auch einen eigenen Sohn. Wir würden gerne Pflegeeltern eines rumänischen Kindes werden. Bitte schicken sie mir Informationen zu diesem Thema zu. Danke. Tel: 0664/5299708 Wir wohnen in Gamlitz (Steiermark) und haben ein großes Haus und einen riesigen Garten. Geschrieben um 23. November 2013 um 07:12 Uhr Antworten

Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Ania Haar