Migranten unterrepräsentiert in Lehre und höheren Schulen

05.09.2011 | 20:08 | Olja Alvir

Diesen September beginnt auch für etwa 200.000 Schüler mit Migrationshintergrund das neue Schuljahr. Die schulische Ausbildung jugendlicher Migranten unterscheidet sich aber deutlich von der anderer Österreicher. Viele absolvieren nur die Pflichtschule, wenige entscheiden sich für Lehren, AHS oder BHS. Grund dafür sind Benachteiligungen in allen Formen und Facetten.


Helmut Dornmayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) schätzt, dass die Hälfte aller Jugendlichen mit Migrationshintergrund nach der Pflichtschule keinen weiteren Bildungsabschluss erreicht. Die andere Hälfte würde laut Dornmayr die gewählte höhere Ausbildung irgendwann abbrechen.

Meisten Migranten ohne Bildungsabschluss?

Dieser Rechnung zufolge hieße das, dass im Endeffekt die gesamte migrantische Jugend ohne höheren Bildungsabschluss bliebe. Zweifelsohne ist dies eine ungleich pessimistische Einschätzung, die mit Zahlen nicht belegbar ist.

Die wenigen Daten, die es gibt, deuten darauf hin, dass eine Pauschalaussage über den Bildungsstand von Migranten nicht möglich ist. So zeigen sich etwa große Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen – beispielsweise zwischen Migranten aus der Türkei und Ex-Jugoslawien. Außerdem sind Migranten auch in der Gruppe der am höchsten Ausgebildeten überproportional vertreten – bei diesem Thema stark zu differenzieren ist also unbedingt notwendig. Es handelt sich nämlich um eine äußerst heterogene Bevölkerungsgruppe, die zudem schwierig zu erfassen ist. Soll man etwa nach Umgangs- oder Muttersprache, Generation oder Staatsbürgerschaft klassifizieren?

Die Zahlen des BMUKK lassen jedenfalls den Schluss zu, dass die Lage migrantischer Jugendlicher prekär ist. So ist in schlechter angesehenen und weniger weit führenden Schulen (tlw. Hauptschule , Sonderschule, siehe Diagramm) der Anteil ausländischer Kinder unverhältnismäßig hoch. Weiters müssen im Vergleich zu österreichischen Kindern fast doppelt so viele Schüler mit Migrationshintergrund in ihrer Schullaufbahn eine Klasse wiederholen. Sie verlassen die Schule häufiger ohne Abschluss und die erreichten Abschlüsse sind in der Regel geringer. Die Daten des BMUKK beziehen sich allerdings auf Schüler, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben bzw. eine nicht-deutsche Muttersprache haben. Das heißt demnach auch, dass die Erfolge oder Misserfolge vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die bereits die österreichische Staatsbürgerschaft haben oder solche die Deutsch als Umgangssprache angeben hier nicht miteinbezogen werden konnten.

Migrantenanteil nach Schulformen Schuljahr 2009/10

Mit 10 kommt die erste Hürde

Etwa ein Viertel der Schulpflichtigen hat Migrationshintergrund. Schon bei dem Übertritt ins Gymnasium oder in die Hauptschule gibt es zwischen Österreichern und Migranten ein Schizma: Etwas mehr als ein Drittel der österreichischen Kinder gehen von der Volksschule in ein Gymnasium über. Bei Migranten sind es nur 27%. Dafür wechseln Migranten öfter in die Neue Mittelschule (22% vs. 14%), was laut Bildungsministerin Schmied daran lege, dass diese Schulen hauptsächlich in Ballungsräumen entstehen. Ob allein diese Entwicklung Migranten über die Schwelle der Pflichtschule hinauszuheben vermag, ist fraglich. Sowohl bei Migranten als auch bei Österreichern liegt der Anteil derer, die von der Volksschule in eine Hauptschule übergehen, etwa bei der Hälfte. Hier fängt das Problem an, denn erstens gibt es große Qualitätsunterschiede zwischen Hauptschulen am Land und Hauptschulen in der Stadt (die häufiger von Migranten besucht werden) und zweitens entscheiden sich die österreichischen Hauptschüler meist für eine Lehre oder eine weiterbildende Schule. Bei Migranten sieht das jedoch anders aus.

Lehre keine Option für Migranten

Im Schuljahr 2009/10 hatten nur 8,8% der Berufsschüler eine andere Umgangssprache als Deutsch. Hauptgrund sind hier mangelnde Berufsinformationen, rechtliche Schwierigkeiten (für eine Lehre ist eine Beschäftigungsbewilligung notwendig) und organisatorische Belangen wie die rechtzeitige Bewerbung für eine Lehrstelle. Der Zugang wird zusätzlich durch Vorbehalte gegen Migranten und Aufnahmetests erschwert. In kleineren Betrieben spielen auch die persönlichen Verbindungen zu Verwandten, Bekannten, Mitarbeitern oder Geschäftspartnern eine Rolle, wenn es um die raren Ausbildungsplätze geht. Hier fehlt es Migranten oft an einem entscheidenden Netzwerk. Aber auch die Einstellung zu Beruf und Arbeit ist von Bedeutung. In vielen migrantischen Familien werden wegen konservativer Einstellungen und mangels Wissen um das österreichische Ausbildungssystem alle Berufe „in denen man sich die Hände schmutzig macht“ als Hilfsarbeiten abgestempelt. Eine Differenzierung zwischen Hilfstätigkeiten am Bau oder als Putzkraft und Lehrlingsausbildungen im technischen oder handwerklichen Bereich gibt es oftmals nicht.

Sonderschule – Ausländerschule?

Grundsätzlich dürfen nur Schüler in eine Sonderschule überwiesen werden, die eine psychische oder physische Behinderung haben. Schlechte Schulleistungen sind offiziell kein Grund. In der Praxis sieht es allerdings so aus, dass Schüler mit schlechten Deutschkenntnissen in die Sonderschule „abgeschoben“ werden. Ein Vorgehen, dass von Bildungsexperten und Wissenschaftlern immer wieder heftig kritisiert wird. Oft passiert es auch, dass Schüler in eine Klasse eingestuft werden, die nicht ihrem Bildungsniveau entspricht – etwa, wenn im Heimatland ein anderes Schulantrittsalter herrscht. Die Defizite, die diese Kinder dann haben, sind gepaart mit Anpassungsschwierigkeiten an die neue Umgebung ein weiterer Auslöser für die Option Sonderschule. Dabei ist nicht prinzipiell Ausländerfeindlichkeit das Motiv. Lehrer sind überfordert und verfügen über zu wenige Mittel, schwache Schüler zu fördern.

Nach der Pflichtschule die Sintflut

Nach dem Pflichtschulabschluss besuchen vergleichsweise wenige Junge mit Migrationshintergrund höhere bildende Schulen wie AHS, BHS oder BMS. Auch hier sind ein Grund die Vorstellungen, die migrantische Elternhäuser zum Teil haben. Im Zentrum steht der frühe Einstieg in die Arbeitswelt, weitere Ausbildungen werden als unnötiges Risiko und „Zeitverschwendung“ eingestuft. Deshalb werden öfter höhere Schulen gewählt, die gleichzeitig eine Berufsausbildung enthalten, was sich in den Zahlen zu BMS niederschlägt. AHS werden wegen den später vermeintlich schlechten Chancen am Arbeitsmarkt abgelehnt. Es findet also eine Form von Selbstselektion statt. In sehr traditionellen Familien wird eine höhere Ausbildung bzw. ein höherer Berufsstatus als der der Eltern nicht angestrebt, ganz nach dem Motto – „Was für mich gut genug war, muss auch für dich reichen.“

AMS reagiert mit Broschüre

All diese Entwicklungen sind unter dem Aspekt des familiären Hintergrunds zu betrachten: Die Ausbildung von Kindern hängt stark von dem Bildungsniveau der Eltern ab – egal, ob Migrant oder nicht. Die starke Benachteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund erklärt sich aus den tendenziell niedrigeren Abschlüssen und schlechteren sozioökonomischen Voraussetzungen der Eltern. Die Schließung dieser Lücke ist noch nicht absehbar. Das AMS reagiert auf diese Missstände jetzt mit einer dreisprachigen Broschüre, die bei Migranten für mehr Transparenz und gründliche Information über Bildungswege sorgen soll. Die Erfahrung zeigt aber, dass Bildungsberatungsstellen von Migranten selten genützt werden. Experten betonen daher, dass die institutionelle Bildungsinformation die einzige Möglichkeit ist, alle Schüler zu erreichen und fordern daher rechtzeitige und konsequentere Maßnahmen in Schulen.


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