Migrantenquote zur Hebung des Schulniveaus

30.09.2012 | 19:24 | Amin Elfeshawi

Bildung. Rund 18,5 Prozent der Schüler haben eine andere Erstsprache als Deutsch.

Wien. Zwei- und mehrsprachige Schüler haben ein hohes Potenzial in der Schule, sagt Moussa A. Diaw. Der Dozent an der Fakultät für Erziehungs- und Kulturwissenschaften an der Universität Osnabrück mit Forschungsschwerpunkt Migration und interkulturelle Kompetenz war zehn Jahre lang Lehrer an österreichischen Schulen. „Wer neben Deutsch noch eine zweite Sprache spricht, egal ob als Erst- oder Zweitsprache, ist eigentlich ein Gewinn für die Gesellschaft“, sagt er.

Daher sollte Zweisprachigkeit gefördert werden. Das sei nicht nur bei Schülern mit Migrationshintergrund angebracht, sondern auch bei anerkannten Volksgruppen wie etwa bei den Kärntner Slowenen. Doch das funktioniere im derzeitigen System nicht, klagt Diaw. Hierzulande setze man zu stark auf Sprengelschulen – eine Bildungsstätte, die einem Wohnort zugeordnet ist. Gegenüber diesen Sprengelschulen äußert sich Diaw kritisch: Sie weisen in manchen Gebieten, in denen es einen hohen Migrantenanteil gibt, auch oft einen hohen Anteil an Schülern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch auf. Damit könne es zu Gruppenbildungen nach Sprachen kommen. „Wenn sich Schüler in einer anderen Sprache als Deutsch unterhalten, fühlen sich all jene Schüler, die diese Sprache nicht beherrschen, ausgeschlossen.“ Diaw habe selbst Schüler erlebt, die sich in naturwissenschaftlichen Fächern wie Mathematik auszeichneten, jedoch im Sprachlichen enorme Probleme hatten. Durch Defizite ergaben sich Schwierigkeiten beim Textverständnis, „obwohl sie sich sonst im lokalen Dialekt und auch in der Schriftsprache ausdrücken konnten, nur eben mit einem eingeschränkten Wortschatz.“

Die betroffenen Schüler gaben als Grund an, dass die Kommunikation mit Freunden und Familie primär in der Muttersprache erfolge. „Man kann das aber nicht verallgemeinern, da es Schulen wie die International School oder das französische Gymnasium gibt, die gezielt in einer anderen Sprache unterrichten, die Schüler aber dennoch perfekt Deutsch sprechen.“

Dass es Wiener Volksschulen gibt, die Klassen mit einem Migrantenanteil von fast 90 Prozent beherbergen, stimmt Diaw nachdenklich. Schuld an solchen Zuständen sei das System des Schulsprengels. Hier verweist der Pädagoge auf Oberösterreich: „In Linz hat man die Schulsprengel aufgelöst – die Kinder müssen nicht mehr die Schule besuchen, die im Einzugsgebiet des Sprengels liegt.“

Damit es zu einer Änderung dieser Zustände kommen kann, wäre es laut Diaw erforderlich, nicht künstliche „Klassenghettos“ zu schaffen. „Man sollte gemischte Klassen fördern, damit es keinen Nährboden für Diskriminierung gibt“, sagt Aysun Özdemir, ehemalige Schülerin in einer „Migrantenklasse“ der Linzer HASCH Auhof. Die Absolventin der Linzer Schule erinnert sich: „In meinem Jahrgang war es so, dass Schüler mit Migrationshintergrund in einer Klasse zusammengefasst wurden, zudem waren wir noch alle muslimisch.“ Trotz Protests der Schüler reagierte die Direktion nicht.

„Man sagte uns, wenn wir in einer Klasse zusammen wären, könnten wir uns gegenseitig besser Deutsch beibringen, obwohl die meisten wirkliche Deutschdefizite hatten.“ Diaw erachtet eine „Migrantenquote“ als sinnvolles Mittel, um Ausgrenzung und Diskriminierung vorzubeugen. „Um ehrlich zu sein, macht es Sinn, wenn man sagt, im Kindergarten oder in der Schule ist die Freundschaftssprache Deutsch. Das fördert die Kommunikation aller“, ergänzt Diaw.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.10.2012)

 


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