Mit Apfel, Honig und Challa: Das Jahr 5770 hat begonnen

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23.09.2009 | 13:46 | Ida Labudovic

Nach dem Jahreswechsel folgen nun die Hohen Feiertage. Am 19. und 20. September feierten Juden das jüdische Neujahr, Rosch Haschana 5770. Im Judentum ist das Jahr keine Linie, sondern ein Kreis.

Für Elischewa Lichtenstein fängt der Arbeitstag erst nach Mitternacht an. „Wir beginnen um halb zwei Uhr früh mit dem Backen“, sagt die Wienerin. „Bis sechs Uhr sind wir fertig.“ Lichtenstein und ihr Mann, der aus New York stammt, führen seit 15 Jahren die koschere Backstube Ohel in der Lilienbrunngasse 18 im zweiten Bezirk.

Frühmorgens riecht es in der Konditorei verführerisch nach Honigecken, Punschkrapfen und Gebäck. Neben dem Gluckern der Kaffeemaschine hört man Jiddisch, Hebräisch, Deutsch und Englisch. In den Regalen warten die Bestellungen für die Stammkunden, im Kühlschrank stehen koschere Milchprodukte, auch aus Israel.

„Bei uns wird alles koscher erzeugt“, sagt Lichtenstein, die einen lichtblauen Arbeitsmantel trägt. Die Backstube verfügt über treue Kunden: In Wien gibt es mehrere hundert orthodoxe Juden, die sich ausschließlich von koscheren – also rituell geeigneten – Lebensmitteln ernähren. Die jüdischen Speisevorschriften („Kashrut“) beschreiben, welche Lebensmittel für gläubige Juden erlaubt sind, und sie regeln die Zubereitung von Speisen: Milchige und fleischige Speisen dürfen nicht gemischt werden.

Das jüdische Jahr ist ein Kreis

Freitags ist in Lichtensteins Geschäft besonderes viel los. Dann kommen die Wiener Juden, um frisches Gebäck für den Schabbat oder für die Feiertage zu kaufen: Das geflochtene, auch mit Mohn oder Sesam bestreute Weißbrot – die „Challa“. „Bei uns ist alles frisch“, sagt Lichtenstein voller Stolz, während eine Kundin einen Kuchen aus der Vitrine wählt. Die Challa wird immer am Donnerstag und Freitag gebacken und hat die Form eines Zopfes. Nur zu Rosch Haschana (dem jüdischen Neujahr, s. Kasten), mit dem vergangenes Wochenende das jüdische Jahr 5770 begonnen hat, ist sie rund. „Wir möchten, dass das Jahr immer gleich ist“, erklärt Lichtenstein.

Im Judentum ist das Jahr keine Linie, sondern ein Kreis. „In einem Kreis gibt es mehrere Möglichkeiten für einen neuen Anfang“, erklärt Edi Gross, Religionslehrer und ehemaliger Weinhändler, die Bedeutung des Neujahrs. Die Tage der Besserung und Vorbereitung für Rosch Haschana beginnen schon im letzten Monat des Vorjahres.

Gross selbst und alle gläubigen Juden hören in die Synagoge jeden Morgen in dieser Zeit den Ton des Widderhorns, des Schofar. „Das ist ein Wecker gegen den Alltag“, erklärt Gross. Zu Rosch Haschana, so heißt es, wird alles abgeglichen wie auf einer Waage.

Im Gegensatz zu den ausgelassenen Neujahrsfeiern in anderen Kulturen sehen die Juden zu Rosch Haschana innere Freude verbunden mit der Ernsthaftigkeit einer persönlichen Lebensbilanz. Zu Rosch Haschana wird das Schicksal des einzelnen Menschen von Gott in das Buch des Lebens geschrieben und zu Jom Kippur für das nächste Jahr besiegelt. Der Versöhnungstag Jom Kippur wird am nächsten Montag gefeiert. Obwohl: „Das Wort ,feiern‘ ist hier nicht ganz richtig“, sagt Religionslehrer Gross. „Es wird nicht gefeiert, sondern zelebriert.“ An Jom Kippur verbringt Gross den ganzen Tag in der Synagoge: „Es ist der Tag des Gebets mit Verzicht auf Essen und Trinken.“

Laubhütte auf dem Balkon

Vier Tage nach Jom Kippur beginnt Sukkoth, das Laubhüttenfest, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert. Im Gedenken an den Exodus und den Schutz Gottes während der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste essen und trinken die Juden eine Woche lang in der Sukkah, der Laubhütte.

Auch Eva Weisz, Angestellte an der Medizinischen Universität Wien, hat eine Sukkah – auf dem Balkon ihrer Wohnung. Denn die Laubhütte, aufgebaut von ihrem Mann, muss sich unter freiem Himmel befinden. „Ich schmücke sie mit Früchten, Blättern und Bildern“, sagt die 57-Jährige, die ehrenamtliche Mitarbeiterin der Israelitischen Kultusgemeinde ist: Seit einem Jahrzehnt kümmert sich Weisz um den jüdischen Gebetsraum im AKH. Während sie den Festtisch mit zwei silbernen Kerzenleuchtern und einem Weinbecher vorbereitet, erklärt Weisz: „Wir tunken die Challa und einen Apfel am Beginn des Festmahls in Honig, weil wir uns ein süßes neues Jahr wünschen“.

JÜDISCHE FEIERTAGE

Das neue jüdische Jahr 5770:

Am 19. und 20. September feierten Juden das jüdische Neujahr, Rosch Haschana 5770.

Weitere wichtige Feiertage:

Am 28. September 2009 wird Jom Kippur, der so genannte Versöhnungstag, begangen.

3. und 4. Oktober: Sukkoth (Laubhüttenfest)

10.Oktober: Schemini Azereth

11.Oktober: Simchat Thora(Fest der Thorafreude)

12.bis 19. Dezember: Chanuka

28.Februar 2010: Purim (Rettung der persischen Juden)

30.März bis 6. April 2010: Pessach

Weitere Infos: www.talmud.de

 

(IDA LABUDOVIC, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.09.2009)


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