Schlecht in Deutsch? Endstation Sonderschule

30.09.2012 | 19:00 | Nermin Ismail

Bildung. Rund 30 Prozent der Sonderschüler haben Migrationshintergrund – Experten klagen, dass sie häufig wegen Sprachproblemen vorschnell aus der Regelschule abgeschoben werden. 

Wien. Kommt in Deutsch nicht mit, kann in Mathe nicht folgen, ist auffällig und stört den Unterricht. Ein Befund für Schüler, der allzu oft in die Sonderschule führt. Und ein Weg, der von Kindern mit Migrationshintergrund überproportional häufig beschritten wird: 29,1Prozent der Sonderschüler haben eine nicht deutsche Umgangssprache – das sind 3767 von 13.198 Sonderschülern. „Ja, ganz klar sind die Kinder mit Migrationshintergrund, deren Eltern aus einer bildungsfernen Schicht kommen, benachteiligt“, sagt Bildungsexpertin Heidi Schrodt.

Als Frau Tolaj (Name geändert) zu einem Gespräch bei der Schuldirektorin ihrer Tochter vorgeladen wurde, hörte sie einen ähnlichen Befund: Sarah komme im Unterricht nicht mit und sei leistungsschwach. Ein Test mit dem Schulpsychologen habe ergeben, dass sie Förderbedarf habe und in der Sonderschule besser aufgehoben sei. Die Nachbarin der Mutter, selbst Lehrerin an einer Sonderschule, die zum Termin mitgekommen war, riet ihr, einen unabhängigen Sonderpädagogen aufzusuchen. Denn oft würden Schulpsychologen von der Direktion beeinflusst. Und tatsächlich: Der zweite Test ergab, dass Sarah für ihr Alter überdurchschnittlich begabt ist.

Förderungen für Sonderklasse

Beim nächsten Termin mit der Direktorin ist die Nachbarin wieder mit dabei – und als die Direktorin ihren Beruf erfährt, nimmt sie sie zur Seite und sagt: „Wenn das so ist, Frau Kollegin, kann ich ganz ehrlich mit Ihnen sprechen.“ Die Schule brauchte eine vierte Schülerin, damit eine Sonderklasse – eine Klasse, in der die Lernschwächeren gemeinsam unterrichtet werden – zustande käme. Damit würde die Schule auch mehr Förderungen bekommen.

Fälle wie diese kommen immer wieder vor. Die Eltern lassen sich nicht beraten und kennen keine Alternativen zur Sonderschule – und unterschreiben einfach alles, was das Kind nach Hause bringt. Auch wenn es die Einverständniserklärung ist, dass ihr Kind einen sonderpädagogischen Lehrbedarf hat und die Schule wechseln soll.

An sich sollten Lehrer bei auffälligen oder leistungsschwachen Schülern mit Eltern, Schularzt und -psychologen nach möglichen Ursachen suchen. Und bei einer sonderpädagogischen Konferenz sollte ein Förderplan für das Kind erstellt werden. Doch allzu oft wird Eltern nahegelegt, das Kind in die Sonderschule zu bringen.

Zeynep Elibol, Direktorin der Islamischen Fachschule in Wien, sieht zwei Gründe dafür, dass Kinder mit Migrationshintergrund besonders häufig in der Sonderschule landen: „Es kommt immer wieder vor, dass Kinder wegen mangelnder Sprachkenntnisse in die Sonderschule kommen.“ Defizite in der Sprache, die in der vorgegebenen Frist nicht aufgeholt werden konnten, und Verhaltensauffälligkeiten, deren Grund nicht wirklich analysiert wird – darin sieht sie die Ursachen. Oft würde die Sonderschule als Lösung gesehen.

Doch es gehe auch anders, meint die Direktorin der Allgemeinen Sonderschule 1 in Salzburg, Brigitte Traxl: „Ein Kind, das schlecht Deutsch spricht, wird in Salzburg sicher nicht an eine Sonderschule verwiesen. Es gibt auch nonverbale Verfahren zur Begutachtung, und es wird immer zugunsten des Kindes entschieden.“

Auch Kinder, die im Unterricht stören oder andere hänseln, werden immer wieder zum Fall für die Sonderschule – oft, weil die Lehrer mit ihnen einfach überfordert sind. „Leider werden nur die Symptome behandelt und nicht die Ursachen“, sagt Elibol. „Hauptsache, das System Schule funktioniert“, fügt sie hinzu, da hätten Herausforderungen wenig Platz.

Modell Mehrstufenverbände

Auch Bildungsexpertin Schrodt sieht das Hauptproblem im Schulsystem – „überhaupt, dass es Sonderschulen gibt.“ Mehrstufenverbände, das sind Klassen, in denen Schüler unterschiedlicher Altersgruppen gemeinsam unterrichtet werden, seien sinnvoller. Hier gebe es kein Durchfallen, und die Kinder könnten voneinander lernen. Einige Schulen haben Mehrstufenverbände und Integrationsklassen, in denen versucht wird, alle Kinder zusammenzubringen und Schwächere zu integrieren.

In der momentanen Situation wäre es wichtig, so Schrodt, dass Eltern – „und das sind nicht nur Migranten“ – ein Berater zur Seite gestellt wird. Die Sonderschule solle eigentlich eine Förderschule sein, und „nicht eine Schule, die für die schulische Laufbahn der Kinder ein Hindernis ist“, sagt Elibol. Jugendliche, die nach der Sonderschule weiterkommen möchten, würden in der Regel den regulären Mittelschulabschluss nachholen. „Und das“, meint sie, „sagt schon sehr viel aus.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.10.2012)


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