Serben in Wien: Zerissen zwischen alter und neuer Heimat

09.03.2011 | 16:23 | Ida Labudovic

Serbisch ist in Wien die zweithäufigste Umgangssprache, die Verbindung von Serben mit der Donau-Metropole reicht Jahrhunderte zurück. Heute kämpfen die Serben vor allem mit ihrer Zerrissenheit zwischen zwei Heimatländern.

WIEN. „Cujes“ so riefen einander Soldaten an der Militärgrenze des Habsburgerreichs zum Osmanischen Reich zu. Aus „Cujes“ – das bedeutet wörtlich: „Hörst Du?“ – wurde „Tschusch“. So erklärt jedenfalls Wolfgang Rohrbach die Wurzeln dieses Wortes, mit dem häufig Serben, aber auch andere Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien benannt werden. Rohrbach hat ein Standard-Werk über die Bedeutung der Serben in Wien herausgegeben, die Jahrhunderte zurückreicht.

„Tschusch“ transportiert im alltäglichen Sprachgebrauch allerdings auch eine Botschaft mit – eine, die sagen will, dass die derart Bezeichneten wenig geschätzt werden und dass man sich selbst über ihnen stehend fühlt. „Tschusch“ hat sich verbreitet, als mehr und mehr Arbeitsmigranten nach Österreich gekommen sind, obwohl diese Neuankömmlinge einer Einladung der Republik gefolgt sind.

Jedenfalls haben in den vergangenen Jahrzehnten vier große Migrationswellen stattgefunden: In den ersten drei sind Zehntausende als Arbeitsmigranten (zwischen den 1960er und achtziger Jahren) gekommen; und schließlich in der vierten Welle, in den neunziger Jahren, jene Serben, die vor dem Krieg am Balkan flüchteten.

Im Leben zweier Länder verloren

In jedem Einzelfall gibt es individuelle Bilanzen – eine Gemeinsamkeit aber haben viele: „Ich habe mich in das Leben von zwei Ländern verloren, da ich alte Freunde nicht mehr habe und neue nie gefunden habe“. So sieht eine aus Serbien stammende Lehrerin die vergangenen 25 Jahre, ihre Jahre in Wien. Sie ist aktiv im Dachverband serbischer Vereine und unterrichtet ihre Muttersprache.

Drehscheibe vieler Wiener Serben ist der Südbahnhof und die Lokale in seiner Nähe. Hier erzählt einer der allerersten Emigranten, der allerdings anonym bleiben will: „Ich bin 1957 wegen der politischen Situation nach Österreich geflüchtet. Anfangs bin ich sechs Kilometer zur Arbeit zu Fuß gegangen. Erst nach einiger Zeit habe ich mir ein Fahrrad leisten können. In all diesen Jahren habe ich gelernt, dass man nur durch Arbeit richtig gut leben kann.“

Tausende weitere Menschen kamen nach diesem Migranten der ersten Stunde und bald war auch ein Begriff für diese neuen Bewohner der Stadt gefunden: „Gastarbeiter“ – ein Wort, das auch Eingang in die serbische Sprache finden sollte und eine Reihe von Stereotypen transportiert: „gastarbajter“ ist eine Person, die aus dem Dorf oder der Peripherie stammt. Gewöhnlich hat sie einen niedrigen Ausbildungsgrad, verrichtet meist manuelle Arbeit, lebt im Ausland mit einem niedrigen Lebensstandard, um nach der Rückkehr in die Heimat genug Geldmittel für den Bau eines schönen Einfamilienhauses zu haben. Und „gastarbajter“ besitzen ein gebrauchtes Auto, meist deutschen Fabrikats. Viele dieser Arbeitsmigranten stammen aus der Region Branicevo, südöstlich von Belgrad.

„Gastarbeiter“ halten an Einstellungen fest, die in ihrer Heimat vor Jahrzehnten gang und gäbe waren, sich in Serbien aber mittlerweile überlebt haben: Brüderlichkeit und Einheit als zentrale Werte vor allem. Selbst im täglichen Kampf um den Lebensstandard haben sie dennoch Zeit gefunden zu idealisieren, was sie verlassen haben.

Geblieben ist – in der alten wie in der neuen Heimat – die Liebe zu ihrem Land. Hinzugekommen ist die Zerrissenheit: „In Serbien bin ich Österreicher, hier Serbe, also bin ich zwischen Himmel und Erde“, sagt ein Zwanzigjähriger, der seine Freizeit im Klub „Jedinstvo“ in der Praterstraße verbringt. Seine Freundin ergänzt: „Da ich in Wien geboren wurde, spreche ich perfekt Deutsch, aber weil ich einen Familiennamen habe, der auf ,-ic‘ endet, bleibe ich für immer eine Fremde.“

Tradition und Identität von Serben werden meist vom orthodoxen Glauben und der serbischen Sprache bestimmt. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben: Hier gibt es Dutzende serbische Vereine, in denen Feste und Wettbewerbe stattfinden, sowie zahlreiche Restaurants, Clubs und Gasthäuser.

Gemeinsam feiern

Hier wird gefeiert: die bekannten Feste, Ostern und Weihnachten zum Beispiel, aber auch jene, die typisch für die serbische Community sind, etwa den „Slava“ – ein Fest zu Ehren des Schutzheiligen einer Familie. Die Feier dauert mehrere Tage und im kulinarischen Zentrum steht die serbische Küche. Wichtig bei „Slava“ ist auch das Gemeinsame, die Gastfreundschaft – und so sind hierzulande auch viele „Ur-Österreicher“ zu diesem „ur-serbischen“ Fest eingeladen.

Die Verbundenheit von Serben und Österreichern reicht weit in die Geschichte zurück: Soldaten der beiden Völker standen Seite an Seite und zogen gemeinsam in den Krieg. Serbische Militärangehörige finden sich auch unter den Trägern des Maria Theresia-Ordens. Und: Eine bedeutende Zahl serbischer Intellektueller und Künstler studierte und arbeitete in Wien. Am häufigsten wird das Werk von Vuk Stefanovic Karadzic mit Wien in Verbindung gebracht – unter anderem hat er das „Serbische Wörterbuch“ im Mechitaristenkloster in Wien-Neubau herausgebracht.

(IDA LABUDOVIC, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.06.2008)


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