Silvester: Migranten feiern ein bisschen anders

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30.12.2009 | 16:53 | Clara Akinyosoye, Günes Koc, Nasila Berangy und Marion Guerrero

So bunt wie die verschiedenen Communitys sind auch die Bräuche, das neue Jahr zu begrüßen. Von türkischen Clubbings über Salsa in der Latino-Bar bis zum Gottesdienst im afrikanischen Gebetshaus.

Wer singt, kommt nicht auf dumme Gedanken – so lautet ein serbisches Sprichwort. Und nach diesem Motto wird im Lazar, einem Lokal nahe der Stadthalle, Silvester gefeiert, erzählt Besitzer Lazar Bilanovic. Doch eigentlich ist für die orthodoxen Serben Silvester erst am 13. Januar. Weihnachten wird am siebten Januar gefeiert, nach dem julianischen Kalender. Bilanovic: „Wir haben eben mehr zu feiern. Und Serben feiern nun einmal gern.“ Und das nicht nur in der Migration, auch in Serbien selbst wird Neujahr zwei Mal begangen. „Die Feierlichkeiten am 31.Dezember sind nur etwas größer“, sagt Zoran Mirkovic, Korrespondent der serbischen Tageszeitung Vesti. Viele Serben fahren sogar eigens zum Feiern nach Serbien.

Wer sich nicht auf die Reise gemacht hat, kann in Wien jedenfalls im Lazar serbisches Silvester feiern. Eine Gipsy-Band wird dort alte Lieder singen, denn Roma seien nun einmal die besten Sänger Serbiens, meint Bilanovic. Die Texte handeln von Liebe. Sogar Bilanovic selbst greift dazu zur Gitarre. Dabei trinkt man Kuvana Rakija, einen heiß gekochten Zwetschkenschnaps. Zum Essen sind Spanferkel und Lamm ein Muss.

Vor allem ältere Serben feiern hier, die zweite Generation gehe eher in Lokale auf der Ottakringerstraße – oder ins Nachtwerk. In Favoriten werden in großen Sälen Clubbings mit Livemusik veranstaltet, dabei werden sogar eigens Sänger aus Serbien eingeflogen.

Wenn Strache serbische Lieder singt

Doch zurück ins Lazar: Hier werden während des Jahres neben den Partys im zweiten Stock auch Podiumsdiskussionen zur aktuellen politischen Lage organisiert. Dazu zählen auch Themen wie die Annäherungsversuche an die Serben durch FP-Chef Heinz-Christian Strache. Was würde Bilanovic wohl machen, wenn der zu Silvester anklopfen und mit ihnen mitfeiern wollte? „Solange er sich als Gast benimmt, darf er bleiben“, so der Eigentümer. Serbische Lieder müsste er dann auf jeden Fall mitsingen. Denn, so das eingangs erwähnte Sprichwort: Wer singt, kommt nicht auf dumme Gedanken. (NASILA BERANGY)

 

Afrikaner: Feier ohne Sektkorken

Silvester ohne Sektkorken? Auch das gibt es, nämlich im Gebetshaus der „The Lords Pentecostal evangelistic ministry“ (LPEM) in der Wiener Leopoldstadt, in dem viele Afrikaner den Neujahrsbeginn feiern werden. Fakt ist: Wer mit einem Glas Sekt auf das neue Jahr anstoßen möchte, ist hier falsch. Denn: „Alkohol erlauben wir nicht“, so Pastor James Enotiemwonmwan.

Gegen 21 Uhr geht es los. Es wird gepredigt und gebetet – „für Menschen auf der Straße, für Kinder, Prostituierte, für ein friedliches Miteinander in Österreich“, sagt Margaret Makinwa, Gründerin und Pastorin des Gebetshauses. Auch heuer werden sich die Besucher ins neue Jahr beten. Um Punkt zwölf unterbrechen sie ihre Gebete – dann ertönt ein kollektives „Happy New Year“.

Vor nunmehr fünfzehn Jahren rief Makinwa die Gebetsstätte ins Leben. „Und seitdem kommen wir jedes Jahr zusammen und feiern – Ostern, Weihnachten und Silvester.“ Auch dieses Jahr erwartet sie wieder über 200 Menschen. Oft sind es so viele, dass sie bis zu den Stiegen zum Eingang stehen. Aber alle sind willkommen. „Dann packen wir die Sessel einfach beiseite.“ Das schafft Platz.

In der Silvesternacht kommen auch solche, die an Gottesdiensten und Bibelstunden nicht teilnehmen – oder gar nicht an Gott glauben, erzählt der Pastor. Schließlich wird am 31. Dezember nicht „nur“ gebetet, sondern auch getanzt, gegessen und ausgelassen gefeiert.

Gegen ein Uhr nachts findet das Feiern ein Ende. „Danach ab nach Hause. Keine Clubtour“, empfiehlt der Pastor. Seine Erklärung: Die Leute würden sich in dieser Nacht oft verrückt benehmen und man wolle das neue Jahr doch nicht mit Problemen beginnen. „Es ist ein Tag für Besinnung und Reflexion“, sagt Patrick Asuke – seit sieben Jahren Mitglied des LPEM. Genau das wird in dem Gebetshaus getan. Und genau das „ist das Besondere an unserem Silvester“. (CLARA AKINYOSOYE)

 

Türken: Clubbing im Hochzeitssalon

Für türkischstämmige Österreicher gibt es viele Möglichkeiten, gemeinsam Silvester zu feiern. Auf www.cingene.at wird eine Vielzahl von Events zusammengestellt: Partys in Clubs, in Hochzeitsalons, Clubbings mit DJs, Partys für Familien oder nur für Jugendliche, für jedes Alter und jeden Geschmack.

„Wir laden Group Eflatun aus Wien und Group Gündem aus Linz ein“, sagt Alican Demirok. Der 19-Jährige bezeichnet sich selbst als den jüngsten Organisator türkischer Events in Österreich. „Außerdem werden Hülya Bozkaya und Kenan Coskun aus der Türkei im Mozaik, einem Wiener Eventcenter in Floridsdorf, auftreten. Bis jetzt gebe es rund 350 Anmeldungen – „aber wir erwarten bis zu 1500 Leute“.

„Seit zwei Jahren veranstalten wir Silvesterpartys als Clubbing“, sagt Fatih Dag, Organisator der Party im Moody Club im zehnten Bezirk. „Jedes Jahr kommen mehr als 1000 Leute auf die Party, sodass wir einige Leute nach Hause schicken müssen, weil es keinen freien Platz mehr gibt.“ Die Besucher seien zwar meist Türken, aber auch Österreicher und Migranten mit anderem ethnischen Hintergrund nehmen an der Party teil. Die Zielgruppe der Veranstaltung sind Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. „Hip-Hop, R’n’B, türkischer Pop werden gespielt, aber auch DJs aus der Türkei oder aus Österreich treten auf.“

 

Feiern bis sechs Uhr morgens

Eine weitere Silvesterclub-Partystation ist im zehnten Bezirk. Der Club 34 in der Himbergerstraße wird am Silvesterabend mit der Silvesterparty eröffnet. „Wir erwarten 1000 bis 1200 Menschen, die meisten aus Wien, aber auch aus anderen Bundesländern werden Gäste kommen“, sagt Organisator Hasan Dikmen. Höhepunkt: „Um Mitternacht tritt Selin Güngören, eine Sängerin aus der Türkei auf.“ Die Clubpartys fangen im Normalfall um 21 Uhr an und dauern bis sechs Uhr in der Früh. (GÜNES KOC)

 

Latinos: Fiesta, bis die Polizei kommt

Das „Fania“ liegt am Yppenplatz zwischen türkischen Bäckern, bosnischen Greißlern und hippen Szenelokalen. Vor zwei Monaten haben Lautaro Alava und Mario Cortés die lateinamerikanische Bar eröffnet. Siebzigerjahre-Salsa in Wohnzimmerlautstärke vermischt sich mit spanischem Geplauder zum dezenten Klangteppich. Das „Fania“ will nicht mit hektischen Rhythmen und knallbunt-exotischer Aufmachung mitteleuropäische Vorstellungen von Karibikflair kopieren. Genauso gut könnte das unaufdringlich eingerichtete Lokal im Zentrum Bogotás stehen, der Heimat seiner beiden Besitzer.

„Unsere Cocktails sind leistbar, und wir spielen keinen Reggeaton, sondern klassische Salsa.“ Daher auch der Name: „Fania“ ist ein Plattenlabel, das in den 70er-Jahren die renommiertesten Salsa-Musiker Lateinamerikas unter Vertrag nahm. „Wir haben bemerkt, dass unsere Musikauswahl Musiker anzieht. Es passiert immer wieder, dass ein Gast plötzlich eine Gitarre auspackt und improvisiert. Manchmal muss ich sie sogar stoppen, sonst hören sie gar nicht mehr auf“, schmunzelt Alava.

 

Die familiäre Atmosphäre muss weichen

Die Atmosphäre im „Fania“ ist familiär. „Vor ein paar Tagen ist ein Nachbar zu uns gekommen. Er hatte sich gerade ein paar CDs gekauft, und seine Stereoanlage war kaputt. Also hat er sich einen Kaffee bestellt und sich die CDs eben hier angehört“, erzählt Alava. Auch eine Friseurin ohne Salon hat ihrer Kundschaft hier schon die Haare geschnitten. Zu Silvester wird das Wohnzimmerflair aber einer ausgelassenen Latino-Party weichen. Der gesamte hintere Bereich des Lokals soll zur Tanzfläche werden, und drei Bands werden dafür sorgen, dass sie auch genutzt wird.

„In Kolumbien ist Silvester eine Riesenfeier mit hunderten Bräuchen“, sagt Alava. „Wer Fernweh hat, muss etwa mit einem leeren Koffer um einen Häuserblock gehen – dann verreist er im neuen Jahr.“ Aus Machbarkeitsgründen beschränkt man sich im „Fania“ allerdings nur aufs Feiern. Das dafür aber ordentlich. „Bis die Polizei kommt“, meint Alava schmunzelnd. Reservieren empfohlen! (MARION GUERRERO)

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.12.2009)


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