Des Schriftstellers Leben mit eisernen Beinen

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02.07.2008 | 19:22 | Duygu Özkan

Süleyman Kurt schrieb vier Jahre an seinem ersten Buch – ein Blick in die Welt eines spastisch Gelähmten

Er möchte von seinen Freunden am liebsten „Sülo“ genannt werden. Sülo ist seit seiner Geburt spastisch gelähmt, seine Möglichkeiten, den Alltag zu meistern, sind beschränkt: Er sitzt im Rollstuhl, nur langsam kann er sich am Computer an die Buchstaben herantasten. Körperlich ist er behindert, geistig ist er aber völlig gesund.

„Ich bin enttäuscht, wenn Menschen glauben, ich sei geistig behindert, und nicht mehr versuchen, mit mir zu reden“, schreibt er in seinem Buch „Eiserne Beine“ aus dem Jahr 1994 – es ist ein Einblick in seine Erinnerungen an die Kindheit in der Türkei, die Entdeckung seiner Behinderung sowie der Versuch der Familie, damit umzugehen. „Meine Eltern und Großeltern behaupteten immer, dass ich eines Tages würde laufen können“, schreibt Sülo. Er erzählt, wie die Eltern einen Muezzin bestellten, der ihn heilen sollte, er jedoch nicht daran glaubte und mit dem Rollstuhl ins nächste Dorf davonfuhr.

„Es war nicht einfach für meine Eltern“, schreibt er in seinem kürzlich erschienenen, zweiten Buch „Dialog mit mir“. „Meine Krankheit und die kulturell bedingte Art und Weise, wie man in meinem Herkunftsland Türkei und auch in meiner engeren Familie damit umgegangen ist, hat dazu geführt, dass ich erst sehr spät geeignete Schulen besuchen konnte.“

Keine Selbstbestimmung

Im Alter von zehn Jahren kam er 1977 mit seinen Eltern nach Österreich, mittlerweile ist er auch schon österreichischer Staatsbürger. Alles bestens, also? Nein, das nicht. Süleyman Kurt hat auch hier mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem bedauert er, dass er in seiner Kindheit nicht mehr Möglichkeiten hatte, sich schulisch und körperlich weiterzuentwickeln. Er bedauert aber auch, dass es ihm heute kaum möglich ist, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen: „Es ist wie ein Teufelskreis“, erzählt er, „weil ich keine Arbeit habe, kann ich kein selbstbestimmtes Leben führen, da ich das nicht finanzieren kann.“

In Vorarlberg, wo er seit seinem zehnten Lebensjahr lebt, wird er in einer betreuten Werkstätte immer wieder mit kleineren Aufgaben betraut. Und dann ist da noch seine Funktion als Werkstättensprecher, als Schnittstelle zwischen Menschen mit Behinderungen und Betreuern. Die nimmt der 41-Jährige sehr ernst. Eine Arbeit am Computer würde er dennoch gerne annehmen, „aber dazu brauche ich einen Assistenten“.

Offener Umgang mit Sexualität

Süleyman Kurt weiß, wie er auf andere Menschen wirkt. Er setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet werden, angefangen von barrierefreien Zugängen zu öffentlichen Gebäuden, angemessenen Wohn- und Arbeitsplätzen bis hin zu einem offenen Umgang mit Liebe und Sexualität: „Wir Menschen mit Behinderungen werden auf unsere Behinderung reduziert, werden als Mangelwesen betrachtet“, klagt er. Doch er hat bereits eine Lösung parat, wie mit diesem Bild aufgeräumt werden könnte: „Dem muss ein Bild des behinderten Menschen entgegengesetzt werden, das so vielfältig und bunt ist, wie das Bild vom nicht behinderten Menschen“.

(DUYGU ÖZKAN, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.07.2008)


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