Topographie der österreichischen Asylpolitik

ZUR PERSON:
  • Dr. Herbert Langthaler ist Vorstandsmitglied der asylkoordination österreich, freiberuflicher Trainer und Journalist und lehrt an den Universitäten Wien, Klagenfurt, Bangkok und der FH St. Pölten.
Literatur:
  • (1) Pehm, Raimund (2005): Fluchträume. Stand- ortwahl und Realisierung von Unterkünften für Asylsuchende am Beispiel Tirols. Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie. Innsbruck
  • (2) Täubing, Viki (2009): Totale Institution Asyl. Empirische Befunde zu alltäglichen Lebensfüh- rungen in der organisierten Desintegration. Weinheim/München

21.12.2011 | 12:04 | Herbert Langthaler

Räume sind keine festgelegten Strukturen, in denen man sich bewegt, sondern entstehen erst im menschlichen Handeln, sind Ergebnis sozialer Praktiken, die sich ständig dynamisch verändern. Es sind diese sozialen Räume, die auch einer Topographie der österreichischen Asylpolitik zu Grunde liegen. Wie die verschiedenen Orte dabei positioniert sind, hängt in erster Linie vom Standpunkt des Betrachtes bzw. Akteurs ab.

Für alle Akteure gleichermaßen unumstritten im Zentrum steht – durch einen jahrzehntelangen Diskurs monolithisch konstruiert – das „Lager“, die „EAST-Ost“ Traiskirchen. Durch diesen Ort wurden zigtausende Flüchtlinge und Aussiedler geschleust, er spielt im Narrativ von Österreich als Asylland eine ebenso zentrale Rolle wie in den Biographien der Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, Chile, Polen, Afghanistan oder Tschetschenien. Schon weniger bekannt ist die „EAST- West“ in Thalham, Gemeinde St. Georgen im Attergau. Beiden Orten, „Lagern“, wie sie heute noch genannt werden, ist gemeinsam, dass sie örtlich am Rande der jeweiligen Gemeinde liegen, gemeinsam ist den beiden Gemeinden der Umgang mit den Erstaufnahmezentren in ihrer Selbstdarstellung im virtuellen Raum: Auf den offiziellen Webauftritten von Traiskirchen und St. Georgen sucht man vergebens nach einem Hinweis auf diese Einrichtungen des Bundesasylamtes, die immerhin auch wichtige regionale Wirtschaftsbetriebe darstellen.

Neuralgische Punkte

Am Beginn meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Asyl stand 1989 eine Journalistenfahrt „zu den neuralgischen Punkten der Österreichischen Asylpolitik“. Selbstverständlich stand damals auch ein Besuch der „Lager“ in Traiskirchen und Thalham auf dem Programm. Im Unterschied zu heute, da diese Einrichtungen hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden, war es damals kein Problem, eine Genehmigung für diesen Besuch zu bekommen, es war auch möglich mit den Flüchtlingen und Mitarbeiter/-innen zu plaudern und Fotos zu machen.

Ein anderer emblematischer Ort dieser Reise war die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Arbeiterwohnheim der VOEST in der Lunzerstraße in Linz. Durch den Niedergang der Stahlindustrie war hier Raum entstanden, für Menschen, die, wenn sie in Österreich bleiben durften, am unteren Ende des deindustrialisierten Arbeitsmarktes im rasch wachsenden Dienstleistungssektor einstiegen – legal oder „illegal“. Auch in Traiskirchen fällt bei Betrachtung der Karte oder des Luftbilds das Nebeneinander von Flüchtlingslager und dem riesigen Fabrikgelände auf. Nur noch der Name Semperitstraße erinnert an den einstigen Stolz des Ortes. Seit 1900 wurden hier Autoreifen gefertigt, nach dem Verkauf an den deutschen Konzern Continental verloren 1.000 Arbeiter ihre Jobs, hunderte weitere sollten folgen bis 2010 das Werk endgültig die Tore schloss. Die Produktion war längst nach Osteuropa und Thailand ausgelagert worden. Die Krise und der Niedergang des „Werkes“ im Zuge einer Globalisierung von Produktion und Märkten erfolgten zeitgleich zu einer Globalisierung von Fluchtbewegungen, statt Ungarn, Tschechen und Polen kamen seit den 1990er Jahren zunehmend Flüchtlinge aus Asien und Afrika nach Traiskirchen.

Traiskirchen und Thalham bilden die zentrale Achse eines Netzwerkes, in dem die Bundesasylämter und andere Behörden wichtige Orte für das Asylverfahren darstellen, an denen die Flüchtlinge selbst sich allerdings nur für wenige Stunden aufhalten, die wir daher in unsrer Topographie nicht weiters behandeln wollen. Wichtiger sind andere Orte, die wir auch schon 1989 bei unserer Reise zu den neuralgischen Punkten der Asylpolitik besuchten: Polizeistationen wie in der Wiener Tannengasse oder im steirischen Leibnitz, Grenzstationen in Feldkirch und Spielfeld und schließlich Schubhaftzellen zum Beispiel in Bludenz. Orte, die in erster Linie für die Beschränkung von Bewegungsfreiheit, von Mobilität sorgten.

Heute sind Grenzstationen im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verschwunden. Nur gelten diese Werte (Freiheit, Sicherheit, Recht), die die EU ihren Bürger/-innen garantiert, nicht für Flüchtlinge – per se so genannte Drittlandbürger/-innen, die diesen Raum nur mit Schengen-Visum durchmessen dürfen. Ihre Mobilität wird weiterhin beschränkt. An Stelle der Grenzstationen sind Kontrollen entlang wichtiger Verkehrswege getreten sowie „Schleierfahndungen“ nationaler Polizeieinheiten in den Grenzgebieten zwischen den Mitgliedsstaaten und besonders im Hinterland der befestigten Außengrenzen.

Geblieben sind Schubgefängnisse (richtig: Polizei-Anhaltezentren – PAZ), zur Sicherung von Abschiebungen, hinaus aus dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Hier beginnt für manche Flüchtlinge ihr Aufenthalt in Österreich und hier endet er für viele. Die PAZ spielen für die Behörden eine ebenso zentrale Rolle wie für politische Aktivist/-innen. Die Isolation der Flüchtlinge, ihr völliges Ausgeliefertsein eignet sich zum Symbol für die Verdinglichung von Menschen in der „totalen Institution Asyl“ (Vicki Täubig).

Vor allem die beiden Polizei-Anhaltezentren in Wien an der Rossauer Lände und am Hernalser Gürtel sind zentrale Orte einer Topographie des Protestes gegen das Asylsystem. Sie werden in dieser Funktion nur noch vom Innenministerium (BMI) in der Herrengasse des ersten Bezirks übertroffen.

Diese Orte eignen sich wegen ihrer zentralen Lage und ihres martialischen Aussehens – besonders die Rossauer Kaserne, die ja zum Zwecke der Einschüchterung der aufmüpfigen Bürger errichtet wurde – bestens als Hintergrund für Protestkundgebungen und Mahnwachen.

Organisierte Desintegration

Für die fast 20.000 Asylwerber/-in- nen, die sich in Österreich aufhalten, sind andere Orte im Netz des Asylsystems wichtig: Jene hunderte Punkte, die verstreut über die Landkarten der Bundesländer oft für Jahre die Aufenthaltsorte der Asylwerber/-innen bezeichnen, Heime und Flüchtlings- häuser von NGOs und die vielen Pensionen und Gasthöfe von Unterfrauenhaid, Großpertholz und Puchenstuben bis zu Fieberbrunn oder der berüchtigten Saualpe.

Der Politikwissenschafter Raimund Pehm (1) wies in seiner Arbeit über die Unterbringung von Asylwerber/-innen in Tiroler Tourismusgemeinden darauf hin, dass bei Diskussion über die Unterbringung von Asylwerber/-innen in erster Linie über Standards der Unterbringung gesprochen werde, selten aber über Standorte der Unterkünfte. Tatsächlich ist es aber zentral, wo ein Quartier liegt, wer die Nachbarn sind etc.

Wie Asylwerber/-innen in den Gemeinden, in denen diese Quartiere liegen, wahrgenommen werden und wie sie ihrerseits die österreichische Gesellschaft (die sich in dieser Zeit des Wartens in Form von dörflichen oder kleinstädtischen Strukturen präsentiert), wahrnehmen, hängt zu einem wesentlichen Teil von der Lage der Flüchtlingsunterkunft ab. Oft liegen die Unterkünfte am Rand der Orte, dort wo immer schon Außenseiter angesiedelt waren, wohin Problemfälle abgeschoben werden oder wo Sexarbeiterinnen im gebührenden Abstand zu Schule und Kirche ihre Dienste anbieten. Wie und wo Flüchtlinge untergebracht werden, lässt einen Rückschluss auf den Umgang mit Flüchtlingen in der Gesellschaft zu, es untermauert ihre gesellschaftliche Randstellung und erschwert ihnen auch mit anderen Flüchtlingen in Kontakt zu treten.

Nicht weniger problematisch ist, wie Raimund Pehm aufzeigt, die Unterbringung von Flüchtlingen in Gebäuden, die symbolisch aufgeladen sind, ehemalige Hotels, die für den Niedergang des Tourismus stehen, oder Verwaltungsgebäude, die immer noch mit der Obrigkeit assoziiert werden und deren Benutzung durch die Flüchtlinge als Anmaßung aufgefasst werden kann. Pehm empfiehlt statt- dessen eine zentrale Unterbringung in wenig vorbelasteten Gebäuden.

In jedem Fall sind die Innenräume, in denen Flüchtlinge die Zeit bis zum Abschluss ihres Verfahrens verbringen müssen, eng bemessen. Ein Zimmer für eine Familie, mehrere alleinstehende Männer in einem Zimmer, das ist die Regel. Gemeinsam zu nutzende Kochgelegenheiten, kahle Gemeinschaftsräume, unwirtliche mit Wäschetrocknern verstellte Gänge prägen den Eindruck, der sich Besucher/-innen bietet, so diesen der Zutritt zu einem Flüchtlingsquartier überhaupt erlaubt ist. Die fehlenden Handlungsräume der Asylwerber/-innen spiegeln sich in den beengten physischen Räumen der Flüchtlingspensionen. Isolation in entlegenen Quartieren, Arbeitsverbot, keine Möglichkeit Deutsch zu lernen und die nagende Ungewissheit über den Ausgang des Asylverfahrens bestimmen den Alltag. Die Sozialpädagogin Vicki Täubing (2) bezeichnet in ihrer Dissertation diesen Zustand als „organisierte Desintegration“, weil die Umstände, unter denen die Flüchtlinge zu leben gezwungen werden, „eine Segregation von integrationsfördernden Gele- genheitsstrukturen“ bedeuten.

Was brauchen Flüchtlinge? Wichtig ist die räumliche Nähe zu Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, aber auch zu Communitys von Menschen aus dem jeweiligen Herkunftsland, deren Mitglieder bei den ersten Integrationsschritten eine wichtige Rolle spielen. Bei Arztbesuchen oder Behördenwegen erweist sich die Unterstützung durch Landsleute als Sprach- und Kulturmittler als essenziell.

Glück hat daher, wer in zentralen Orten untergebracht ist. Sehr deutlich wird dies im Vergleich von Quartieren in größeren Städten und solchen in oft entlegenen Kleingemeinden. Im Rahmen eines partizipativen Gesundheitsprojekts mit Asylwerber/-innen aus St. Pölten und der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Puchenstuben ergab sich dazu die Gelegenheit. Ziel des vom Fonds Gesundes Österreich und der niederösterreichischen Landesregierung geförderten Projektes war es, die Handlungsmöglichkeiten der Flüchtlinge zu erweitern und damit ihre gesundheitliche Verfassung zu stärken. Als die Flüchtlinge gefragt wurden, was zur Verbesserung ihrer Lage getan werden könnte, stand neben dem Wunsch, Deutsch zu lernen und arbeiten zu dürfen, der Wunsch nach Raum im Zentrum. Gewünscht wurden Räume der Begegnung, des Austausches, Räume, die Sicherheit bieten, über die die Asylwerber/-innen autonom verfügen können. Wünsche, die von Seiten der Gemeinden in Zeiten der Krise nicht erfüllt wurden. Ein eigener Raum, das wäre, wie es einer der Flüchtlinge ausdrückte, „ein Schritt zurück zum Menschsein“.

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Erschienen in: RAUM – Österreichische Zeitschrift für Raumplanung und Regionalpolitik, Heft 84/Dezember 2011, www.raum-on.at

 


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