Türkische Antworten auf Inan Türkmen

02.05.2012 | 9:28 | Hülya Tektas

Mit seinem Buch „Wir kommen“ sorgte Inan Türkmen in Österreich für heftige Diskussionen. Auch in der türkischsprachigen Community sorgt es für Kontroversen.

Wien. Manche bezeichnen ihn als Sprachrohr der zweiten und dritten Generation der Türken in Österreich. Andere kritisieren seine provokante Art, mit der er für großes Medienecho sorgte. Die Rede ist von Inan Türkmen, der mit seinem Buch „Wir kommen“ heftige Debatten auslöste. Vom Verlag „edition a“ als Anti-Sarrazin präsentiert, polarisierte der Sohn kurdischer Eltern aus der Türkei mit fünf Thesen: „Wir sind mehr“, „wir sind jünger“, „wir sind hungriger“, „unsere Wirtschaft wächst schneller“ und „wir sind stärker“.

In der türkischsprachigen Community in Österreich sind die Meinungen zu Türkmens Buch ambivalent. So zeigt etwa Tülay Tuncel Verständnis für Türkmens zu Papier gebrachte Wut. Die Projektleiterin von Integrationsprojekten kennt den Alltagsrassismus Türken gegenüber. Sie führt ein von der Gewerkschaftsjugend Oberösterreich durchgeführtes Experiment als Beispiel an: Einige Lokale verweigerten jungen Menschen wegen ihres Aussehens den Zutritt. Allerdings sieht sie Türkmens Buch auch als Marketingprodukt, das sein Thema verfehlt hat und dem es an Authentizität fehlt. Ein gutes Image der Türkei würde den türkischstämmigen Menschen in Österreich nicht viel bringen. Vielmehr sollte man Missstände in Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Freizeitgestaltungspolitik aufzeigen.

Auch Inan Türkmens These, dass gut ausgebildete Auslandstürken es in der Türkei leichter im Arbeitsleben hätten, steht sie skeptisch gegenüber. Viele dieser jungen Menschen, die beinahe ihr ganzes Leben in Österreich verbracht haben, würden die Verhaltensregeln, die Sprache und die Codes der türkischen Businesswelt nicht kennen – sie wären damit überfordert, glaubt Tuncel.

Der türkischstämmige Journalist Ali Cem Deniz, Redakteur des Magazins „biber“, schrieb in einem auf fm4.at veröffentlichten Artikel, dass Türkmens Buch die Unzufriedenheit vieler zum Ausdruck bringe, die trotz perfekter Integration als Fremde wahrgenommen werden. Die österreichische Mehrheitsgesellschaft, so Deniz, sei mit Türkmens unbequemer Aufforderung, sich unaufgefordert an der Integrationsdiskussion zu beteiligen, einfach überfordert.

 Schweigen über Rassismus

Kübra Atasoy, Vorsitzende der ÖH Universität Wien, kritisiert, dass Türkmen statt den Rassismus in Westeuropa zu analysieren, dieselben Muster in Form einer positiven Diskriminierung bediene. Sie weist darauf hin, dass die Gesellschaft in der Türkei keine homogene Gruppe sei, wie Türkmen es in seinem Buch verallgemeinernd darstellt. Und sie fragt, warum Türkmen, der sich zu seinen alevitisch-kurdischen Wurzeln bekennt, in seinem Buch über den Rassismus und Patriotismus in der Türkei geschwiegen hat.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.05.2012)


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Hülya Tektas