Wien: Leben ohne eigene Wohnung

02.09.2012 | 19:27 | Ania Haar

2011 wurden insgesamt 8120 Menschen bei der Wiener Wohnungslosenhilfe betreut. Darunter auch viele Migranten. Die Gründe für das Abrutschen in die Obdachlosigkeit sind sehr unterschiedlich.

Wien. Schmutzig, verwahrlost und meistens betrunken – so, oder so ähnlich, werden obdachlose und wohnungslose Menschen in der Öffentlichkeit häufig wahrgenommen. Sehr oft zu Unrecht. Denn die Not hat meistens mehrere Gesichter. Ivan M. ist frisch rasiert und frisiert, trägt sauberes Gewand und stets ein freundliches Lächeln im Gesicht. Dass er einmal ganz unten landen würde, hätte er nie gedacht.

Ende der 1980er-Jahre kommt der damals 27-Jährige aus Exjugoslawien, heute Kroatien, nach Wien. „Meine Mutter war schon seit 1969 als Gastarbeiterin da“, erzählt der heute 50-Jährige, „und ich bin zu ihr gekommen.“ Aufgewachsen ist er bei der Großmutter. Nach der Ausbildung in der Gastronomie beginnt er zu arbeiten. Als die Inflation ins Unermessliche steigt, beschließt er, seine Heimat in Richtung Österreich zu verlassen.
Angekommen in Wien, beginnt er, in einer Küche zu arbeiten und Deutsch zu lernen. Es vergehen mehrere Jahre, er wechselt seinen Job und arbeitet in einem Lager. Er heiratet. Sein Sohn kommt auf die Welt.

Alkohol, Scheidung, Jobverlust

Und dann, es war vor drei Jahren, geht alles plötzlich ganz schnell. „Mit Alkohol hat es zu tun“, erinnert sich Ivan heute. Er habe getrunken, täglich wurde es mehr. Die Abwärtsspirale begann, sich immer schneller zu drehen. Zuerst wollte seine Frau die Scheidung, danach verlor er Arbeitsplatz und Wohnung. Seine Schwester nimmt ihn zunächst bei sich auf. Ein halbes Jahr geht das gut, dann wird es allen zu viel. Ivan wird obdachlos. Er wandert von einer Notschlafstelle zur nächsten. Es vergehen Wochen und Monate. Im Sommer 2011 macht er eine Entziehungskur im Anton-Proksch-Institut und schafft es, von nun an keinen Alkohol mehr zu trinken. Eine neue Bleibe findet er in der Wiener Wohnungslosenhilfe. Diese bietet an rund 400 Standorten insgesamt 4800 Wohnplätze. Der Fonds Soziales Wien koordiniert das Angebot der Wiener Wohnungslosenhilfe. 2011 wurden insgesamt 8120 Menschen hier betreut. Wie hoch der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist, lässt sich jedoch nicht exakt auswerten.

Die Wiener Wohnungslosenhilfe bietet ein breites Spektrum an Angeboten. Darunter befinden sich sowohl „ambulante“ Beratungseinrichtungen, Tageszentren, und Nachtquartiere für akut obdachlose Menschen, aber auch 4000 sogenannte betreute Wohnplätze (Übergangs- und Dauerwohnen). Rund 5200 Personen haben 2011 das Angebot des Übergangswohnens in Anspruch genommen und wurden auf ein selbstständiges Wohnen in den eigenen vier Wänden vorbereitet. Wobei beim Übergangswohnen auch sämtliche Wohnangebote für Familien enthalten sind, wie etwa Mutter-Kind-Einrichtungen. Aber auch Angebote für asylberechtigte Familien, die nach der Entlassung aus der Grundversorgung Unterstützung benötigen, um eine Wohnung zu finden.

Hoher Migrantenanteil

Die Zahl der Klienten mit österreichischer Staatsbürgerschaft liegt in den Übergangswohneinrichtungen bei knapp 70 Prozent, die restlichen 30 Prozent sind Ausländer. Wobei von den 70 Prozent nur knapp 35 Prozent in Österreich geboren sind. Für Wohnungslose, die nicht mehr allein leben können, weil sie zum Beispiel chronisch krank, sehr alt oder schon lange von Wohnungslosigkeit betroffen sind, gibt es betreute Dauerwohnplätze. Hier haben rund 95 Prozent der Betreuten die österreichische Staatsbürgerschaft, die restlichen fünf eine ausländische. Der Frauenanteil in den verschiedenen Leistungen der Wiener Wohnungslosenhilfe liegt ungefähr zwischen 20 und 30 Prozent, im betreuten Wohnen in Wohnungen etwas höher, nämlich bei 45 Prozent.

Tatjana Weiß ist Projektleiterin des „Hauses Felberstraße“ im 15. Wiener Bezirk, in dem übergangsweise betreute Wohnplätze angeboten werden. 17 Wohnungen stehen Familien bis zu acht Monate lang zur Verfügung. Neben Wohneinheiten wird auch eine intensive Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten. Der Anteil der Familien mit Migrationshintergrund liegt hier bei rund 35 bis 40 Prozent.

Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind sehr unterschiedlich: Alkohol, Drogen, plötzlicher Tod des Ehepartners, schwere, lange Krankheit. Ob Migrationshintergrund vorhanden ist oder nicht: Die Zugehörigkeit zur zweiten oder dritten Generation ist als primäre Ursache für den Verlust einer Wohnung nicht erkennbar.

Außer bei Problemen im Familienverbund. „Das habe ich nur bei migrantischen Familien erlebt“, erzählt Weiß. Entweder ist die Familie eine große Unterstützung – oder ein Problem. Wenn etwa drei Generationen auf engem Raum zusammenleben und nicht mehr miteinander klarkommen.

Malus für Schwarze

Auch ein anderer Umgang ist mit der Wohnungslosigkeit erkennbar. „Migranten sind sehr bestrebt, ihre derzeitige Situation schnell zu verbessern“, erklärt Weiß, „und empfinden eine sehr hohe Wertschätzung dem Staat gegenüber für das Angebot, das sie bekommen.“ Außerdem sind sie etwas selbstständiger und eigenverantwortlicher im Vergleich zu den Einheimischen. Extrem schwierig gestaltet sich wiederum die Hilfe für Schwarze. „Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern hat es da sehr schwer, eine neue Wohnung zu finden“, sagt Tatjana Weiß, „das ist für alle Betroffenen extrem frustrierend.“ Und letztlich fast ein „Ding der Unmöglichkeit“. Es sei schon des Öfteren passiert, dass Makler oder Hausvermieter gesagt hätten, dass man gar nicht zu kommen brauche, berichtet Weiß aus Erfahrungen.


ein Kommentar

  • charly kappel

    Leben ohne eigene Wohnung - dass kenne ich sehr gut. Wiener Wohnen und damit meine ich Häupl, Ludwig, Neumayer und nicht zuletzt auch noch die gesante SPÖ hat mich obdachlos gemacht. Da hat aber die Justiz auch noch richtig mitgeholfen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Geschrieben um 3. Oktober 2012 um 12:44 Uhr Antworten

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