Wiener Gebietsbetreuung bietet Antworten

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20.08.2008 | 0:04 | Yordanka Hristozova-Weiss

Die Wiener Gebietsbetreuung versucht in Gemeindebauten vor allem eines: die Bewohner an einen Tisch zu bringen – viele Probleme lösen sich dann von selbst.

Eine alte Dame geht nur mit Messer aus dem Haus, weil sie sich vor Ausländern fürchtet. Mütter fühlen sich bedroht, weil in Richtung Spielplatz oft Erdäpfel, aber auch Flaschen fliegen, wenn die Kinder zu laut werden. Der 8-jährige Hamza Ocalan aus dem 10. Bezirk schwebte in Lebensgefahr, weil ein Nachbar mit einem Luftdruckgewehr auf ihn schoss. Das geschah im Juni 2007 in einem Wiener Gemeindebau. Grund für den Schuss: das Kind war zu laut.

„Lärm und spielende Kinder sind in drei Viertel aller Fälle das Hauptproblem“, sagt Stefan Ohmacht, Leiter der Wiener Gebietsbetreuung in den Bezirken 13, 21, 22 und 23. „Die Empfindung ,laut‘ betrifft In- und Ausländer gleichermaßen“, meint er, „wenn man jung ist und Fußball spielt, schreit man. Völlig unabhängig vom Geburtsort.“

Neben den Streitigkeiten um Lärm hat die Gebietsbetreuung vor allem die Aufgabe, Information und Beratung zu Fragen des Zusammenlebens im Gemeindebau zu liefern. Dabei versucht man vor allem, Kommunikationsprozesse zu initiieren. „Wir fragen immer: Haben Sie schon mit dem Nachbarn, der Sie stört, gesprochen?“, erzählt Ohmacht, „die Antwort lautet meist: Nein.“ Spricht man erst einmal miteinander, wird oft ersichtlich, was hinter einem Problem wirklich steckt. Ein Beispiel: „Eine Dame hat sich beschwert, dass der Nachbar von oben seit geraumer Zeit enormen Lärm macht. Selbst hat sie ihn nicht angesprochen. Wir haben festgestellt, dass er ein Gipsbein trug und deshalb beim Gehen eben Lärm machte.“

Alles nur auf freiwilliger Basis

Hilft die Anregung zum Gespräch nicht, wird auch Konfliktvermittlung angeboten. Die streitenden Parteien werden dann mit einem Brief oder telefonisch eingeladen und werden bei der Klärung der Sachlage unterstützt. Je nach Bedarf werden auch Vermittlungsgespräche oder Mediation durchgeführt – das Einverständnis der Bewohner natürlich vorausgesetzt, denn „alles läuft auf freiwilliger Basis. Wir sind keine Behörde und wir können niemanden zwingen, zum Gespräch zu erscheinen“, erklärt Ohmacht. Grundprinzip der Arbeit sei, dass nicht nach der Schuld gefragt, sondern nach einer Lösung gesucht wird.

Der langjährige Sozialarbeiter, in dessen Verantwortungsbereich 20.000 Gemeindewohnungen liegen, sieht auch durchaus Probleme, die auf die Herkunft der Bewohner zurückgehen. Viele hätten ein Problem, wenn der Nachbar kein Einheimischer ist. Obwohl der Nachbar oft gebildet und ruhig ist und seine Kinder wohl erzogen sind, stößt man sich oftmals an der Tatsache, dass er beispielsweise farbig oder Muslim ist. Auf Anti-Ausländer-Parolen in den Gemeindebauten stößt er allerdings nur selten.

Die Beratung selbst ist übrigens auf Deutsch vorgesehen, jedoch kann man den Sozialarbeitern seine Sorgen auch auf Serbisch oder Türkisch mitteilen. Das interkulturelle Angebot findet allerdings nicht immer Zustimmung: „Als ein alter Herr meinen Akzent gehört hat“, erzählt eine der Beraterinnen, „verlangte er gleich meinen Vorgesetzten.“

(YORDANKA HRISTOZOVA-WEISS, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.08.2008)


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