Zu alt zum Arbeiten, zu jung für die Pension

14.02.2012 | 20:29 | Clara Akinyosoye

Für viele Angehörige der Gastarbeitergeneration wird aus gesundheitlichen Gründen schon mit Mitte 50 das Arbeiten unmöglich. Der letzte Ausweg ist die Invaliditätspension. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.

Wien. „Sie sind zu alt zum Arbeiten, aber zu jung für die Pension“, so beschreibt Marko Kolm, Leiter von Terra, dem Beratungszentrum für ältere Migranten, seine Klienten. Rund 3000 Beratungsgespräche haben Terra-Mitarbeiter im vergangenen Jahr geführt. Der Großteil der Klienten stammt aus der Türkei, Bosnien, Serbien und Kroatien und wird auch in der Muttersprache betreut. Etwa 86Prozent der Hilfesuchenden kamen ins Beratungszentrum, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten konnten.

Gesundheitliche Probleme

„Die Migranten, die bei Terra Beratung suchen, sind zu einem überwiegenden Teil aus der sogenannten ersten Gastarbeitergeneration oder in den 1990er-Jahren als Kriegsflüchtlinge nach Österreich gekommen“, erzählt Kolm. Während die Beweggründe für die Migration nach Österreich unterschiedlich waren, verbinden die beiden Gruppen im hohen Alter größtenteils ähnliche Probleme – nämlich eine schwer angeschlagene Gesundheit. Körperliche, aber auch psychische Probleme sind nicht selten. Kolm: „Diese Leute sind überproportional stark von Armut, Minderqualifikation und gesundheitlichen Problemen betroffen.“

„Institutionen-Pingpong“

Was nicht weiter verwunderlich sei, „schließlich haben diese Menschen jahrelang Schwerstarbeit geleistet“. Als Bauarbeiter, Fließbandarbeiter oder Putzfrauen waren sie mitunter „schrecklichen Arbeitsbedingungen und Diskriminierung ausgesetzt“.

Wenn sie nun mit Mitte oder Ende 50 aus gesundheitlichen Gründen ihren Job verlieren und beim AMS landen, wird sehr schnell klar, dass diese Menschen nirgends mehr unterkommen werden, sagt Kolm.

Das AMS fertigt Gutachten an und legt den Betroffenen in solchen Fällen den Antrag auf eine Invaliditätspension nahe. Das sei meist der Beginn für einen „Institutionen-Pingpong“.

Nicht selten kommt es hier zu Komplikationen, bei denen die Terra-Beraterinnen helfen müssen. Wenn sich die Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt nicht mit jenen des AMS decken und einem Antrag auf Invaliditätspension nicht stattgegeben wird, werden die Arbeitslosen wieder an das AMS verwiesen.

Die wüssten allerdings auch nichts mit den Menschen anzufangen, weil sie wegen ihrer gesundheitlichen Verfassung, mangelnder Deutschkenntnisse und Qualifikationen einfach nicht vermittelbar seien, erklärt Kolm. Auch Umschulungen kommen deshalb oft nicht infrage.

Was dem Erhalt einer Invaliditätspension bei Migranten häufig im Weg steht, sind auch bürokratische Angelegenheiten. So kann es sein, dass ein Nachweis darüber, dass und wie viel Pension aus dem ehemaligen Herkunftsland bezogen wird, fehlt oder von den österreichischen Behörden nicht anerkannt wird.

Während es mit der Türkei ein Pensionsübereinkommen gibt, sieht es mit den ehemaligen jugoslawischen Ländern anders aus. „Im Krieg sind viele Unterlagen verloren gegangen“, sagt Kolm. Außerdem dauere der Amtsweg lange – manchmal sei nach Monaten und Jahren noch immer kein Nachweis da.

Leben unter Existenzminimum

Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie keine Rechtssicherheit haben. Sie pendeln zwischen Arbeitslosengeld und Überbrückungszahlungen – zumeist sogar unter dem Existenzminimum, so Kolm.

Und selbst wenn der Antrag auf Invaliditätspension bewilligt wird, können sich die Menschen nicht zurücklehnen und entspannen. Denn nach ein bis zwei Jahren geht alles von vorne los – neuer Antrag, neue Gutachten. Denn Invaliditätspensionen sind befristet.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.02.2012)


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