„Whores’ Glory“: Dem Tod sexy die Zähne zeigen

INFO:
  • TERRE DES FEMMES, die gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, unterstützte den Film. Die Organisation führt verschiedene Projekte durch, die Frauen vor der Prostitution bewahren und Alternativen zu einem selbstbestimmten Leben aufzeigen sollen.

30.09.2011 | 10:49 | Kerstin Kellermann

Der Film „Whores’Glory“ von Michael Glawogger konfrontiert mit unangenehmen Wahrheiten zu Prostitution und Sexualität in unseren Gesellschaften. „Whores’ Glory“ zeigt den Preis fürs Überleben und Sensenmänner, die jeden früher oder später holen.

In jedem kleinen, mit bunten Tüchern geschmückten Zimmer einer Hure steht der Tod auf einem Tischchen. Ein richtig gruseliger Sensenmann, mit Kapuze über seinem Skelettkopf, eine hohe Figur, vor der eine Kerze brennt und die verehrt wird. Ein breites Bett paßt in die Kammer hinein, ein Stuhl – die Eingangstüre dieser Baracke steht offen: So sieht der Strich in der „La Zona de la toleranzia“ in Mexiko aus. Draußen fahren Jeeps und Lieferwägen durch Matsch und Pfützen, drehen Männer ihre Runden, um sich eine Frau auszusuchen.

Ohne Kommentar aus dem Off zeigt Regisseur Michael Glawogger in „Whores’ Glory“ den Überlebenskampf der Frauen und wie sie versuchen, dem Tod die Zähne mit einem Lächeln zu zeigen, mit sexy Gehabe – aber auch wie verstrickt sie in die Mechanismen der Prostitution sind.

Schrecklich, wie eine Prostituierte auf ihrem Rücken einen riesigen roten Tod eintätowiert hat, den jeder Kunde automatisch betrachten muss, wenn er die Stellung von hinten einnimmt, wie die Frau auf allen vieren kniend vorführt und auf ihren Rücken weist. „Wenn dich der Tod nicht holt, mußt du es selber erledigen!“, ruft sie und deutet auf ihre Handgelenke. Schrecklich auch, wie sie einen Freier nach 20 Minuten weg schickt – sein Risiko,  wenn er keinen Abschluß findet – und in der Schlußszene des Filmes mit dem Feuerzeug hin und her flackert, kleine Feuerstöße sendet, das Feuer links und rechts aufflackern läßt – also eindeutig Mißbrauch-Sprache verwendet, das Ausbrennen von sexueller Gewalt in der Kindheit durch die Möglichkeit des Feuerlegens andeutet, tiefe brennende Verletzungen erkennen läßt. Währenddessen kugelt ihre Freundin verletzlich in ungeschützter Nacktheit auf dem Bett herum und zieht sich flirtend Drogen rein.

Bis hierher und nicht weiter

Es verursacht Schmerzen zu sehen, wie knapp die Grenzen zwischen Prostitution und „normaler“ Sexualität verlaufen, mit Sanktionsandrohungen und realer Gewalt, mit Verführungs-Notwendigkeiten und Cash zum Überleben, mit kaputten Kindern ohne Schutzfiguren (der Tod!?) und enttäuschten Erwartungen an Freude, Glück und Liebe. Wie einzelne Prostituierte in dieser Welt nach Abenteuer streben, so wie sich Mädchen-Huren in Thailand in ihrer Freizeit selber Unterhaltungs-Stricher kaufen.

Es ist hart, aber man muss das gesehen haben und aushalten, denn so sieht unsere Welt aus. „Whores’ Glory“ zeigt deutlich auf, wie nahe beieinander die „normale“ Sexualität vieler Männer und die Prostitution von Frauen liegen – mit dem Unterschied, dass Männer bei Prostituierten gezwungen sind Regeln einzuhalten und sanktioniert werden, wenn sie Gewalt ausüben. Ihr angeblich „animalischer Sexualtrieb“ wird anerkannt, in Bahnen gelenkt und streng beendet. Motto: Ihr könnt bei uns euer wildes Ungestüm, euer verhunztes Begehren ausleben, aber bis hierher und nicht weiter. Das schärft auch eine „Lehrerin“ im armen Bangladesh der Neuen ein: „Bis an die Grenze darf er, aber nicht darüber hinaus…, dann sagst du ihm, dass du auch nur ein Mensch bist! Nichts weiter!“

Außerdem müssen die Männer  im Vorhinein zahlen, sonst geht gar nichts. „Unsere Frauen zu Hause machen die Sachen nicht, die wir verlangen und verkrampft sind sie auch noch“, moniert ein junger kräftiger Kunde über Liebe und Vergötterung „freier“ Frauen, die sich für ihn nicht auszahlt.

Volles, pralles, üppiges Leben

Wie süß, lustig und mutig die Mädchen sind, die die Jungs mit Späßen, Scherzen und Anmache herausfordern. Engagement und Amüsement sind gefragt – so wie in Bangladesh die jungen Huren des abgeschlossenen Huren-Viertels Männer „aufreißen“ müssen, auf lustige und provokante Weise von sich und der Geldausgabe überzeugen und schließlich den oft Widerstrebenden am Pullover in ihr Zimmer schleppen. Türe zu. Nicht alle halten das durch. „Darf ich noch etwas sagen“, fragt eine junge, hübsche Hure mit versteinertem Gesicht. „Warum müssen es Frauen so schwer im Leben haben? Warum haben es Frauen so schwer?“ Hier landen Mädchen aus den Dörfern, die einem angeblichen Prinzen auf den Leim gegangen sind, Straßenkinder, die nur schauen und nichts mehr unternehmen, alte Huren, die ihre Miete nicht mehr zahlen können und von Obdachlosigkeit bedroht sind. Gleichzeitig ist dies alles volles, pralles, üppiges Leben – Menschen in Gemeinschaft, in Gesellschaft. In den bunten Huren-Vierteln leben die Frauen gemeinsam auf engstem Raume, sie sind nie alleine – es macht ihnen auch Spaß, die Struktur dieser Gemeinschaft zu kennen und in ihr zu leben. Niemand will alleine sein.

Nur 50 Euro kostet, steht zumindest in der Kronen Zeitung, ein „Rundum-Service“ bei großteils asiatischen Frauen – als ob Männer eine Reparaturwerkstatt brauchen würden und Sexualität und Liebe in unserer Gesellschaft eine Großbaustelle wären, Ruinen, in denen Leistung, Einkommen und Jugend dominieren.

 

 


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