Die Philosophie des Hungerstreiks

20.11.2012 | 13:09 | Hülya Tektas

Ganze 15 Minuten lang konfrontiert Steve McQueen Zuschauer in seinem Film Hunger mit den letzten Tagen des IRA Mitglieds Bobby Sands, der an den Folgen des Irischen Hungerstreiks von 1981 starb.  Hungerstreik – passiver Widerstand oder Selbstmord? Die jüngsten Ereignisse um kurdische Hungerstreikende ruft diesen Film wieder in Erinnerung. 

Ohne wirklich Partei zu ergreifen erzählt Steve McQueen in seinem 2009 gedrehten ersten Spielfilm „Hunger“ die Haftbedingungen von IRA Mitgliedern in den 80er Jahren in Maze Prison in Nordirland. Die gewalttätige Vorgehensweise der Gefängniswärter und Polizisten wird im Film, der ohne Musik und mit sehr wenigen Dialogen gedreht wurde, ganz realitätsnah weitergegeben. Der Zuschauer entdeckt jedoch zwischen der Brutalität der Staatsmacht gegenüber den politischen Gefangenen und der Banalität des Gefängnisalltags die Poesie des Widerstands, in Form der Entschlossenheit der Freiheitskämpfer, die abwechselnd aus der Sicht der Gefangenen aber auch von Wärtern erzählt wird.

In einer fast schnittlos gedrehten Szene diskutieren Bobby Sands und ein katholischer Priester 17 Minuten lang über den Sinn eines Hungerstreiks. Für den Priester ist der Hungerstreik ein Selbstmord, er stellt die Moral von Sands Handlung in Frage. Sands jedoch betont die Wichtigkeit dieses Protests, und warum es kein Selbstmord sondern ein Mord ist, wenn Thatchers Regierung auf die Forderungen nicht eingeht und die Entschiedenheit der Aktivisten ignorieren würde. Am Ende dieses philosophischen Gesprächs ist ersichtlich, dass sie sich nicht gegenseitig überzeugen konnten.

Die nächsten Szenen beschreiben die letzten Tage von Sands und seinen körperlichen Zerfall. Mittels verschwommener Szenen und schlecht wahrgenommenen Tons versetzt McQueen schließlich die Zuschauer in die Lage von Sands und vermittelt auf diese Weise eine authentische Beobachtung.

Hungerstreik – passiver Widerstand oder Selbstmord?

Bobby Sands verstarb am 66. Tage am Hungerstreik. Der seit Anfang September dauernde Hungerstreik der kurdischen Häftlinge wurde am Sonntag, am 68. Tag nach dem Appel von Abdullah Öcalan, der inhaftierte Kurdenführer, beendet. Etwa 700 politische Gefangene traten am 12. September in den Hungerstreik, einerseits um die rechtliche Anerkennung der kurdischen Sprache zu fordern, andererseits um gegen die Isolationshaft von Abdullah Öcalan zu protestieren. Während die türkische Regierung und Mainstream-Medien diesen Protest lange ignoriert haben, schlossen sich viele kurdische und türkische Intellektuelle, Künstler und Prominente zusammen und appellierten an die Regierung aber auch an die Öffentlichkeit, um rechtzeitig einzugreifen, damit niemand sterben muss. Am 5. November traten weitere 10.000 Menschen in den Hungerstreik. Gleichzeitig beobachtete man in den islamisch- religiös motivierten Onlineplattformen eine verstärkte Thematisierung der Hungerstreikproblematik. So wird ein Hungerstreik in diesen Plattformen als Selbstmordversuch dargestellt und somit zu einer großen Sünde deklariert, ohne jedoch auf den politischen Sinn und die Notwendigkeit so einer Aktion näher einzugehen.


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