Neo-Österreicher drängen in die Kultur

17.12.2008 | 7:39 | Aysun Bayizitlioglu

Die Vertreter der Wiener Klassik waren keine geborenen Wiener – Mozart kam aus Salzburg, Haydn aus Rohrau und Beethoven aus Bonn. Auch unter den jungen Neo-Wienern heute gibt es eine Reihe herausragender künstlerischer Talente, die in erster oder zweiter Generation aus unterschiedlichen Herkunftsländern stammen. Sie sind oft jedoch nur in ihren kleinen Szenen bekannt, jenseits des kulturellen Establishments.

Eine Veranstaltung im Anatomietheater widmete sich daher dem Thema: „Kulturelle Vielfalt und künstlerischer Ausdruck zwischen Fremde und Heimat, Angst und Vertrautheit“. „Bei dieser Veranstaltung wollten wir einige junge Künstler aus den Bereichen Theater, Film und Literatur näher vorstellen“, erklärt Sanem Altinyildiz, Projektmanagerin des Vereins Educult, „und mit ihnen diskutieren, wie Teilnahme am Kunst- und Kulturgeschehen gelingen kann.“

„Die Vorstellung eines Wien ohne die gegenwärtige Vielfalt ist entsetzlich“, betont Christian Ehalt, Leiter der Abteilung Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA 7 bei der Begrüßung. Dem kann Asli Kislal, Gründerin des Internationalen Theaters „daskunst“, bei der Diskussion am Podium nur zustimmen: „Ohne kulturelle Mischung und Toleranz kann man die Stadt Wien vergessen.“

„Lang- oder Kurzzeitösterreicher“

Für die gebürtige Türkin hat das Integrationsproblem nichts mit unterschiedlichen Kulturen zu tun, sondern mit unterschiedlichen Sozialschichten: „Viele der ersten Generation, den sogenannten Gastarbeitern, waren sehr einfache Arbeiter.“ Umgekehrt denke bei Amerikanern in gehobenen Positionen niemand an Integrationsprobleme – obwohl die meistens gar kein Deutsch sprechen. „Die Begriffe ,Migrant‘ und ,Österreicher‘ gibt es für mich nicht, für mich zählt nur ,Lang- oder Kurzzeitösterreicher“, meint Kislal.

Ihre Schülerin Ivana Nikolic aus Serbien ärgert sich vor allem über den Umgang von Österreichern mit Migranten: „Es muss den anderen endlich egal sein, ob man Migrationshintergrund hat, oder nicht.“ Duygu Arslan, Schauspielerin aus der TV-Serie „Tschuschen-Power“, pflichtet ihr bei und kritisiert Menschen, die immer noch fragen, woher sie käme: „Sie akzeptieren es nicht, wenn man sich als Österreicher fühlt. Ich fühle mich aber als echte Wienerin.“

Seher Cakir, Autorin und Mitgründerin der türkischsprachigen österreichischen Monatszeitung „Öneri“ beklagt, dass die Herkunft in der Wahrnehmung des Publikums noch immer eine große Rolle spiele: „Als die ersten Gastarbeiter gekommen sind, nannte man ihre Literatur Gastarbeiterliteratur. Heute nennt man das, was ich schreibe, Migrantenliteratur – obwohl ich auf Deutsch schreibe.“ Hoffnung, dass sich in Zukunft etwas daran ändern wird, geben Projekte wie die vom Grazer Regisseur Jakob Erwa für den ORF gestaltete – aber zunächst auf das Frühjahr verschobene – Serie „Tschuschen-Power“.

„Doppelt so hart arbeiten“

Erwa versucht im Rahmen der Veranstaltung, den jungen Künstlern Mut zu machen: „Einigen von Ihnen wird früher oder später der Sprung auf die große Bühne gelingen. Dazu brauchen Sie nur den Mut, rauszugehen.“ Und mit einem flammenden Appell schließt er: „Jeder, völlig egal woher er kommt, hat eine Chance.“ Nachsatz: „Auch wenn Sie dafür doppelt so hart arbeiten müssen.“ (AYSUN BAYIZITLIOGLU, Die Presse, Print-Ausgabe, 17.12.2008)


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