Kunstbiennale Venedig: „Jede Bombe hat ihre Geschichte“

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26.09.2013 | 11:01 | Kerstin Kellermann

Ein Film über einen israelischen Piloten, der sich weigerte eine Schule im Libanon zu bombardieren, ein Projekt über nicht-detonierte Bomben aus Ungarn und die Frage ob Nationen nicht Fiktionen sind – die Kunstbiennale 2013.

Venedig. Zwei Schuljungen, die eilig durch ihr leeres Schulgebäude hindurch nach oben laufen – weiße Steintreppen, Metallleiter aufs Dach, die Sonne scheint herein. Die beiden tragen ihre Schultaschen auf dem Rücken, lachen und jagen sich. Oben auf dem flachen Dach der Schule schießen sie Papierflieger in die Luft. Im Hintergrund sieht man das Meer.

Vor Jahrzehnten, genauer gesagt, im Jahre 1982, weigerte sich ein israelischer Pilot eine öffentliche Schule im Libanon zu bombardieren und versenkte seine Bomben lieber im Meer. Der libanesische Künstler Akram Zaatari, dessen Vater damals in Saida der Schuldirektor war, machte nun diesen Film „Letter to a Refusing Pilot“. Als Kind schon hatte er einen Brief an den Piloten geschrieben, der die Kinder und die Schule, die damals auch ein Beispiel für moderne, offene, durchlässige Architektur war, rettete.

Im Arsenale, den alten Hafenanlagen auf der Kunst Biennale Venedig, wird der Film in einer Installation nach zwei Seiten hin gezeigt. Auf der einen Seite kann man den hellen, freundlichen Schul-Film und die zwei hübschen Jungs bewundern, auf der anderen Seite steht ein einzelner roter Theatersessel, von einem Scheinwerfer angestrahlt, der in Richtung auf eine zweite Leinwand aufgestellt ist. In einem Standbild sieht man dort nur einen einzelnen Bombeneinschlag, Rauchwolken steigen auf.

Der Libanon 1943, Israel 1948 – zwei Nationen, die auf den Resten des Osmanischen Reiches gegründet wurden, die Grenzen von den Franzosen gezogen und die beiden von der UNO zu unabhängigen Staaten erklärt. „Sind Nationen nicht Fiktionen?“, steht im Prospekt, „Werden wir nicht dahin gebracht, zu glauben, dass die Staaten, in denen wir leben, Endprodukte seien, eine natürliche Kulmination einer organischen Evolution?“

Rostige, tödliche Flugkörper

Ein Soldat, auf dessen Uniform links „Horvath“ steht, und rechts „Hungary“, erklärt höflich, beflissen und ein wenig müde, warum bestimmte Bomben und Granaten zwar abgeschossen wurden, aber nicht explodiert sind. Hinter ihm stehen in einem Hof lauter rostige Gegenstände herum. In den Giardini bilden im ungarischen Pavillon – mit seinen goldenen und blau-emailierten Dekorationen und Wandbildern – die Architektur und die Installation „Fired but unexploded“ von Zsolt Asztalos einen schönen Gegensatz. Asztalos zeigt Bilder von „demolition bombs“ aus verschiedenen Kriegen und von kriegsführenden Nationen, die nicht explodiert sind. Ihren tödlichen Zweck verfehlten – aus welchem Grund auch immer. „Jede Bombe hat ihre Geschichte“, steht im Begleitheft, „nimmt ein eigenes Leben an und wird zu einem Direktor unseres Lebens…“. Die grünen oder rostroten Objekte mit kleinen Flügeln sehen wie Skulpturen aus, ob sie nun „Faustpatrone, Anti-Tank Granate“  oder „FRAG-20lb 20 pound fragmentation bomb“ heißen. Bei verschiedenen Fernsehern mit bombigen Standbildern liegen Kopfhörer dabei, in denen Popsongs spielen. Ein realer, kleiner Junge in roter Kleidung tanzt fröhlich zu „Only love can do it“. Die Bomben-Filme beachtet er nicht weiter. Ein Kunstwerk, das man weiter entwickeln könnte.

Wer echtes pralles Leben sehen will, geht aber in den britischen Pavillon, in dem das „Melodians Steel Orchestar“ aus London in der Tradition der, zum Teil militärischen, Bands aus Trinidad, auf  Metall-Trommeln spielt. Zu und in dem Film „English Magic“ von Jeremy Deller, der auch einen Fake-Soldaten aus einem Panzer heraus einen Vogel zeigen lässt, bzw. andere Fake-Soldaten lächelnd und kokett in die Kamera winken. Dazu spielen Afro-BritInnen und andere coole Menschen eine hinreißende Musik nach David Bowies „The Man who sold the World“.

 

 

 

 


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