Serhij Zhadan, ukrainischer Autor: „Kultur ist das einzige was Menschen mit Vorkriegsleben verbindet“

Ukrainisch Schriftsteller Sergiy Zhadan
  • 25. November, 18.30 Uhr
  • Lesung: Serhij Zhadan
  • Österreichisches Museum für Volkskunde,
  • Laudongasse 15-19, 1080 Wien
  • (Im Rahmen den ukrainischen Kulturtagen)

28.10.2015 | 13:16 | Iuliana Matusova

Serhij Zhadan ist führender Schriftsteller und Dichter aus der Ukraine. Er ist im Industriegebiet Luhansk in der Ostukraine geboren. Später zog er mit seiner Familie nach Charkiw (auch Ostukraine) wo er bis heute lebt. Manche seine Bücher sind in deutscher Sprache übersetzt. Dafür hat er sogar deutsche Preise bekommen. Sein Roman „Depeche Mode“ (2004) wurde im Mai 2015 in Wien für das Theather „Werk-X – Eldorado“ eingerichtet und hat großen Erfolg gehabt. Vor kurzem stellte Serhij Zhadan sein aktuelles Buch „Mesopotamien“ in Wien vor. Wir sprachen mit ihm über seine Stadt, die aktuelle Situation in der Ukraine, sowie über die Notwendigkeit der Kunst in den Kriegsgebieten.

M-MEDIA: Wie interessiert sind Menschen im Ausland für die Krise in der Ukraine? 

Serhij Zhadan: Die Leute, die zu meinen Lesungen kommen haben Interesse an die Ukraine. Ukrainehasser kommen nicht. Die, die bis jetzt involviert waren und ukrainische Ereignisse verfolgt haben, sind nicht von russischer Propaganda beeinflusst. Die haben ihre klare Meinung. Das heißt, wenn sie früher die Sympathie zu Ukraine gehabt haben, sympathisieren sie weiter. Eigentlich hat sich kaum etwas aus dieser Sicht verändert.

Bedeutet es, dass Putin-Befürworter ihre Lesungen nicht besuchen?

Ja, aber manchmal kommen einige von denen um zu provozieren. Sie stellen provokative Fragen. Aber, es passiert ganz selten…

Wie werden ihre Bücher im Ausland rezipiert? Was sagt ihre ausländische Leserschaft über die Beschreibung der Ukraine in ihren Büchern?  

Wenn die Leute im Ausland fangen ihr erstes ukrainisches Buch zu lesen, haben sie meistens gar keine Ahnung über das Land. Deswegen habe ich bemerkt, dass literarische Werke sozusagen Reiseführer sind. Die helfen neue geografische Territorien und Kulturen kennenzulernen.

Hat die Ukraine-Krise dazu geführt, dass Internationale Verlage sich mehr für die ukrainische Literatur interessieren?

Nein, ich würde es nicht so sagen. Wahr ist, dass das Interesse an die Ukraine gestiegen ist. Allerdings sind nicht viele neue SchriftstellerInnen ins internationalen Markt gekommen. Aber ich würde es nicht als etwas Negatives sehen. Das ist ein gutes Zeichen, weil es bedeutet, dass die Herausgeber von allem der Qualitätsliteratur sich nicht von der Politik leicht beeinflussen lassen.

Können Sie sich noch an die erste Übersetzung ihres Buches erinnern?

In den 90-er Jahren wurde alles illegal übersetzt. Ich habe Mal meine Gedichte absolut zufällig in der einen kommunistischen italienischen Zeitung gesehen. Ich habe verstanden, da es meine Werke sind nur, weil ein Foto von mir dabei war (lacht). Ich kann mich jetzt erinnern an dieses Gefühl. Es war so ungewöhnlich, aber gleichzeitig faszinierend. Mein erstes übersetztes Buch „Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts“ war zuerst auf Polnisch und später auf Deutsch übersetzt und herausgegeben. Ich hab mich damals sehr darüber gefreut.

„Mesopotamien“ – Ihr neues Buch, das im Jahr 2014 in deutscher Übersetzung erschienen ist, ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an ihre Lieblingsstadt Charkiw. Warum haben Sie sich entschieden über das Leben in ihrer Stadt zu schreiben?

Mir fehlte ein Buch in der ukrainischen und Weltliteratur, wo es um meine Lieblingsstadt Charkiw geht. Ich wollte einfach diese Lücke ausfüllen und habe das auf meiner Art und Weise die ich gut kenne gemacht. Ich liebe wirklich diese Stadt obwohl Charkiw nicht meine Geburtsstadt ist. Ich lebe schon seit langer Zeit dort und werde nie diese Stadt verlassen.

Ist diese spezifische Atmosphäre, die die Stadt hat, für ein ausländisches Publikum wie das Wiener Publikum verständlich? Wie denken Sie?

Ich beobachte, wie die Leute auf schon übersetztes Buch in Polen und Deutschland reagieren und sehe, dass diese „spezifische Dinge“ eigentlich sehr universell sind. Ereignisse über die ich schreibe könnten im jeden Land passieren. Es geht um einfache und ewige Existenzsachen wie Geburt, Taufen, Großziehen, Ausbildung, Hochzeit, Kind sein, Alt werden, Krank sein und schlussendlich – Sterben.

Charkow liegt in der Ostukraine und viele denken automatisch: Das ist ein Kriegsgebiet. Warum hat den Separatismus im Charkiw nicht stattgefunden?

Ja, wenn ich erwähne, dass Charkiw eine Stadt in der Ostukraine ist, dann denken die Leute, dass es eine pro-russische Region ist, wo ethnische Russe leben und so weiter, aber das stimmt überhaupt nicht. Diese Klischees sind leider vorhanden und nicht nur im Ausland, sondern auch in der anderen Teilen von der Ukraine. Ich persönlich nutze jede Möglichkeit um die Leute zu überzeugen, dass es nicht so ist. Die Stadt ist russischsprachig, aber trotzdem die war ist und bleibt ein organischer Teil der Ukraine.

Welche Rolle spielt die Kultur bzw. Literatur für die Leute in der Ostukraine, die im Kriegsgebiet leben?  

Mir scheint, dass Kultur gerade jetzt dort eine sehr wichtige Rolle spielt. Verstehen Sie, das ist eine ganz spezifische Situation, weil die Menschen, die von der Artillerie beschossen werden, die Welt schon ganz anderes wahrnehmen. Man bekommt ganz ungewöhnliche Gefühle, wenn man mit den Soldaten, die an der Front waren kommuniziert. Und das ist nicht nur fürs Militär wichtig, sondern auch für die zivile Bevölkerung. Kultur ist für uns alle das — was uns mit dieser Vorkriegsrealität verbindet. Vor zwei Jahren gab es keinen Krieg, aber es gab Literatur die wir gelesen haben, es gab Musik die wir gehört haben, es gab Filme die wir angeschaut haben. Unser Bewusstsein war nicht von den Präsidenten, von den Politikern geformt, sondern von den KünstlerInnen. Die Kultur verbindet die Menschen mit dem normalen Vorkriegsleben. Für die Leute die dort leben, ist sehr wichtig zu wissen, dass sie nicht alleingelassen sind.

Was können Sie über Wien und über die Lesungen sagen?

Ich war in Wien schon mehrmals. Ich habe in Wien sogar fast ein Jahr gelebt. Wien ist für mich nicht eine Stadt, Wien ist für mich die Stadt mit der ich eine große Verbundenheit spüre. Ich habe da zwei Bücher geschrieben. Mein erstes Prosawerk „Big Mac“ habe ich in Wien geschrieben genauso wie  und das schon erwähnte Buch „Die Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts“. Ich bin heute angekommen und habe verstanden wie viele Zärtlichkeit und Nostalgie ich zu dieser Stadt noch immer empfinde.

Vielen Dank für das Interview

Danke auch


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Iuliana Matusova