Matthias Naske: „In Afrika bin ich zu einem Menschen geworden“

30.08.2013 | 17:16 | simon INOU

INTERVIEW. Seit dem 1. Juli 2013 ist Matthias Naske neuer Intendant des Wiener Konzerthauses. Nach zehn Jahren in Luxemburg kehrte er zurück nach Wien und will nun die hundertjährige Institution vielfältiger und offener gestalten. Mit M-MEDIA sprach er über seine Faszination zur Musik, die finanziellen Herausforderungen des verschuldeten Konzerthauses und wie Afrika sein Leben radikal verändert hat. Die Fragen stellte simon INOU.                                                                                                                        

M-MEDIA: Seit dem 1. Juli sind Sie offiziell Intendant des Konzerthauses. Wie nehmen Sie das Wiener Konzerthaus wahr?

Matthias Naske: Für mich ist es eine Auszeichnung diesem Haus dienen zu können.  Es ist eine wichtige Institution dieser Stadt und dieses Landes. Ich bin hier sozialisiert worden und betrachte dieses Haus als viel mehr als nur ein Ort der Musik. Das Konzerthaus ist auch ein Ort der Wahrnehmung und der Begegnung, im ideal über alle Grenzen hinweg.

Sozialisiert bedeutet, dass Sie mit dem Haus aufgewachsen sind?

Ich habe als junger Mensch das große Glück gehabt das Konzerthaus genauso wie den Musikverein und die Oper sehr intensiv besuchen zu können. Und ich habe die Chance gehabt faszinierende Musiker wie Leonard Bernstein kennenzulernen. Er hat viel mit den Wiener Philharmoniker gearbeitet. Er war ein Herzensbrecher im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe durch ihn musikalische Ereignisse erlebt, die mich tief bewegt haben und da habe ich gesagt, eigentlich möchte ich genau für die Faszination der Musik arbeiten. Ich möchte diese Faszination für Musik möglichst vielen Menschen nahe bringen. Das mache ich seit 30 Jahren.

Trotz Ihres Studiums der Rechtswissenschaften haben Sie sich für eine künstlerische Karriere entschieden…

Eine Ausbildung im juristischen Bereich ist nicht von Nachteil. Ich habe das Studium dennoch nicht abgeschlossen, denn die Karriere hat mich eingeholt. Mein erster Managerposten war in Salzburg für den großen Geiger und Ensembleleiter Sàndor Vegh. Man wird nicht unbedingt reich in der Musik bzw. im Kunst und Kulturmanagement.

Das hängt von Ihrer Perspektive von Reichtum ab…

Genau. Ich bin sehr reich weil ich das große Privileg habe für etwas zu arbeiten, dass mir wirklich Freude macht. Damit bin ich sehr glücklich. Außerdem ist man umgeben von tollen MitarbeiterInnen, die eine spannende Arbeit leisten.

Nach mehr als zehn Jahren im Ausland sind Sie zurück nach Österreich gekommen. Wie nehmen Sie dieses Land jetzt wahr?

Ich mache mir Gedanken über diese Republik weil ich bemerke, dass in Österreich das Erkennen von Werten etwas verrutscht scheint: Wie gehen wir mit den wesentlichen Werten und mit dem eigentlichen Reichtum unserer Gesellschaft um? Es gibt in Österreich einiges, das mir Sorgen macht wie z.B. eine Tendenz zum Ignorieren von den Fundamenten die Gesellschaft und Kultur ausmachen und das ist gefährlich.

Was zum Beispiel?

Wie Kulturinstitutionen staatlich gefördert werden. Es geht darum welche Institutionen welche Art von Förderung bekommen. Da wird mit ganz anderem Maß gemessen.

Sie meinen jetzt die Politik?

Politik ist für mich Gestaltungsmacht. Und ich erwarte, dass die Gestaltungsmacht positiv genutzt wird. Das Konzerthaus als Teil der Gesellschaft leidet auch darunter und ich werde dafür kämpfen, dass das Konzerthaus mehr Bewegungsspielraum für die Gestaltung künstlerisch exponierter Programme erhalten wird.

Es scheint nicht so einfach zu sein. Das Haus wird bald 100 und ist verschuldet. Wie wollen Sie es schaffen?

Heute sind die Bedingungen, die wir im Konzerthaus leben müssen – der Schönheit des Scheins zum Trotz – schwierig. Seit 15 Jahren hat dieses Haus keine Erhöhung der Subvention der Stadt Wien bekommen und in der Zwischenzeit einen Anteil an öffentlicher Finanzierung im Budget von nur 12 Prozent. Ich muss offen sagen: es geht gerade noch, aber es ist nicht gesund. Es gibt mir keine Freiheit. Ich muss immer schauen, dass wir betriebswirtschaftlich genug Gewinn pro Veranstaltung erzielen. Aber der Gewinn einer kulturellen Institution liegt nicht im Bilanzgewinn, also im  reinen betriebswirtschaftlichen Sinne.

Wo wollen Sie Gewinn erzielen?

In Lebensfreude und Teilen von künstlerischen Erlebnissen. Ansonsten sind wir in Wirklichkeit verloren. Das ist genau dieser Unterschied zwischen einem gemeinnützig betriebenen Konzerthaus und einem kommerziell betriebenen Konzerthaus.

Ein sehr interessantes Spannungsfeld…

Ja, das gibt verschiedene Zugänge zum Metier.  Kommerziell heißt immer Gewinn im betriebswirtschaftlichen Sinne zu erzielen. Gemeinnützig bedeutet möglichst viele Zugänge zu vielen Menschen, möglichst leichter Zugang zu möglichst guten künstlerische Geschehen und Produktionen und kann darüber hinaus weit mehr bewegen als der kommerzielle Teil schaffen kann. Das Gemeinnützige kann integrieren, stimulieren, motivieren, der Moderne und der Vielfalt dienen. Das ist genau das worum es eigentlich in den Erwartungen des Konzerthauses geht. Aber Leben kann man nur wenn man den Bewegungsspielraum hat und das hat leider auch mit Geld zu tun.

Wird dieses Engagement der MitarbeiterInnen auch jenseits der Grenzen des Hauses gehört?

Als Intendanten muss ich Sorge dafür tragen, dass wir politisch gehört werden und dafür mehr Bewegungsspielraum bekommen. Nicht weil ich das brauche sondern weil wir als Gesellschaft es brauchen und wir unserer Job nicht mehr gut machen können. So einfach ist es.

Vielleicht mit dem Know-How aus Luxemburg? Was können österreichische Kulturinstitutionen aus Luxemburg lernen?

Wenn ich Ihre Frage umformulieren darf: was habe ich in Luxemburg gelernt? ich habe gelernt, dass kleine Gesellschaften mit einer guten Governance unglaublich weit kommen und ich habe gelernt, dass man Probleme benennen musst, sonst löst man sie nicht.

In Österreich werden die Probleme nicht benannt?

Wohl noch immer zu wenig.  Wir sollten in Österreich daran arbeiten die Dinge zu benennen. Es ist nicht immer angenehm aber es ist notwendig, sonst bewegt sich nichts. Es hat mir persönlich sehr gut getan in einem ganz anderen kulturellen Kontext zu leben, weil man eigentlich nichts geschenkt bekommt. In Wirklichkeit musst du fitter sein als die anderen, um wahrgenommen zu werden.

Sie haben Ihre Karriere im Gustav Mahler Jugendorchester begonnen. Mein Lieblingszitat von Mahler ist: „Tradition ist die Bewahrung des Feuers, nicht die Anbetung der Asche“. Das Konzerthaus wird bald 100 Jahre alt. Wie werden sie gleichzeitig der Tradition und Moderne dienen?

Schönes Zitat. Tradition, die nicht gelebt wird hat, in der Tat keinen Wert und dennoch es muss respektiert werden, dass es traditionelles musikalisches Geschehen gibt. Und es gibt Stücke die so komplex, so schwierig, so belastend sind um zu zuhören, dass man legitimer weise sagt, ich will es nicht hören. Für manche kann es erschütternd sein. Deswegen muss man nicht böse sein. Das Repertoire muss nicht immer alle beglücken.

Das heißt Sie träumen von einem Konzerthaus…

in dem Menschen ganz bewusst musikalisches Geschehen wahrnehmen – mit all der Verantwortung, die dem Hörer zukommt – und sich dabei schrittweise öffnen und neugierig auf das Neue sind. Und im Konzerthaus haben wir mehrere Schienen, die dafür geeignet sind. Traditionelle sowie neue Schienen, die hinzu- kommen werden

Glauben Sie nicht, dass die Preise von Konzerttickets zu hoch sind um alles umzusetzen was sie gern hätten?

Ich bin kein Freund von hohen Preisen. Die entstehen nur aufgrund der niedrigeren Subventionen, weil das Haus das irgendwie kompensieren muss. Ich hoffe wir werden leistbare Preise anbieten, wohlwissend, dass durch hohe Preise Menschen ausgeschlossen werden. Eines ist klar: Das Konzerthaus kann auf klassischem betriebswirtschaftlichen Wegen nicht noch mehr sparen, weil der Betrieb schon sehr weitgehend optimiert ist. Ich weiß, dass ich viel Raum brauchen werde um gewisse Projekte umsetzen zu können und das hat leider mit Geld zu tun. Dieses Geld muss ich suchen gehen.

Ein Schwerpunkt von Ihnen wird sein das junge Publikum ins Konzerthaus zu bringen. Wie wollen Sie das in Zeiten von MP3 Playern, Smartphones und Youtube schaffen?

Ich habe früher die „Jeunesse Musicale“ geleitet und habe 400 Konzerte pro Jahr für Kinder und Jugendliche  programmiert und gestaltet. Kinder und Jugend sind ein ganz wichtiger Bereich für jedes Konzerthaus.  Die können wir nur gewinnen wenn wir authentisch bleiben. Was ich gern mag, ist die Reaktion dieser Kinder und Jugendliche, die immer sehr unmittelbar ist. Das traditionell erwachsene Publikum ist höflich. Ich glaube total an die Zukunft dieses Hauses und mit Kindern und Jugendlichen werden wird es schaffen.

Woher kommen Ihre Neugierde und die Überzeugung, dass Sie all das schaffen werden?

Durch Zufall habe ich ein Scholarship für Südafrika erhalten. Das war vor dem Ende der Apartheid. Ich war beeindruckt von der Komplexität des sozialen Geschehens. Dort in Afrika habe ich meine Grenzen kennengelernt. Danach habe ich mit einem Motorrad eine lange Reise durch Botswana, Zimbabwe, Sambia gemacht und habe dadurch viel von meiner Bürgerlichkeit verloren. Ich musste es. In Afrika bin ich zu einem Menschen geworden. Nach meiner Afrika-Reise habe ich mir gesagt, mache was dir wirklich Freude macht.


ein Kommentar

  • Augusta Urbanek

    Sehr geehrter Herr Naske! Als ihre ehemalige Volksschullehrerin freue ich mich, dass sie so eine tolle Karriere gemacht haben! Es ist immer schön, Menschen "wieder zu finden", die vor vielen Jahren als Kind in meiner schulischen Obhut waren. Sie sind mir als intelligenter, ruhiger angenehmer Schüler in Erinnerung! MfG Augusta Urbanek Geschrieben um 20. Oktober 2014 um 10:32 Uhr Antworten

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