Gleiche Chancen für musikalische Migranten

AUF EINEN BLICK
  • Musikschulen: Die Wiener Musikschulen stehen auch Migrantenkindern offen. Für einkommensschwache Familien gibt es Förderungen.
  • Begabtenförderung: Auch begabte Migranten können sich an der Uni für Musik und darstellende Kunst fördern lassen.
LINKS

18.11.2008 | 8:07 | Aysun Bayizitlioglu

Migranten-Kinder lernen durch Musik besser Deutsch und haben es in der Schule leichter.

Leas Eltern kommen aus Rumänien und sind völlig unmusikalisch – im Gegensatz zu ihrer Tochter. „Als wir Leas Interesse an Musik entdeckten, haben wir mit ihr Kassetten angehört und Liederbücher angeschaut“, erzählt Leas Vater. Mit sechs Jahren begann sie Klavier zu spielen. „Seit Lea Musikunterricht nimmt, tut sie sich auch in der Schule viel leichter“, erzählt ihr Vater.

Auch Elisabeth Eschwe, Leiterin der Musikschule Margarethen, bestätigt diese Beobachtung: „Musikpädagogik hilft Migrantenkindern, die deutsche Sprache und Kultur besser zu erlernen.“

Dass sich Musik auf das Verhalten der Kinder positiv auswirkt, ist nichts Neues. Die Studie „Förderung der Musikkultur bei Kindern“, von der Bertelsmann Stiftung, liefert nun handfeste Daten darüber: Bei Kindern, die sich mit Musik beschäftigen, wurden ein gestärktes Selbstbewusstsein und ein besonders gutes Gemeinschaftsgefühl beobachtet, was für die Integration der Migrantenkinder sehr wichtig ist.

Georg Baich, Professor am Konservatorium Wien, erlebte eine ähnliche Veränderung an Kristian, den er seit vier Jahren in Violoncello unterrichtet – einen ungarisch sprechenden Roma aus der Slowakei, der sehr verschlossen war. „Durch Singen und rhythmische Bewegung wurde Kristian immer lockerer“, erzählt sein Lehrer. Heuer hat Kristian mit dem Studium an der Konservatorium Wien Privatuniversität begonnen.

Wenn Musik so wichtig für Sozialverhalten und Integration ist, warum nehmen dann so wenige Migrantenkinder Musikunterricht? Ursula Hemetek, Professorin am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Musikuni Wien, meint: „In Österreich gibt es zahlreiche Musikinstitutionen, die auch allen Migranten offenstehen. Aber das allein genügt nicht, weil sich die Kinder dort kulturell nicht wiederfinden.“

Keine türkischen Instrumente

Im Rahmen ihrer Forschung sind Hemetek viele begabte Kinder begegnet, deren Fähigkeiten jedoch nur innerhalb der jeweiligen Community geschätzt werden – und die nur selten zu einer Musikerkarriere in der Mehrheitsgesellschaft führen, vor allem deswegen, weil Musikstile von Einwanderern kaum in das österreichische Bildungssystem integriert sind. „Musik aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien und die dazugehörigen Instrumente werden in Wien in keiner Musikschule unterrichtet“, kritisiert Hemetek und schlägt vor: „Wir sollten, so wie in Deutschland, zum Beispiel Unterricht für Saz (ein türkisches Saiteninstrument, Anm.) anbieten, um auch hier Integrationsarbeit zu leisten.“

Ranko Markovic, künstlerischer Leiter der Konservatorium Wien Privatuniversität, erklärt, dass an seiner Universität 45Prozent der Studierenden nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Aber auch einige der Österreicher wurden im Ausland geboren und sind wegen des Studiums nach Wien gekommen oder stammen aus gemischten Familien. „Meistens sind auch die Eltern Musiker und tun alles, um die Karrieren ihrer begabten Kinder zu fördern.“

An den Musikschulen sieht die Situation etwas anders aus: „An unserer Schule haben wir auch einige begabte Migrantenkinder aus klassischen Einwandererfamilien, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Wien gekommen sind“, sagt Elisabeth Eschwe. Um an einer Musikschule einen Platz zu bekommen, müsse man aber nicht hochbegabt sein. Freude an der Musik und eine gewisse rhythmische Begabung reichen.

Ermäßigungen und Befreiungen

„17 Musikschulen in Wien und vor allem die Singschule Wien mit ihren über 70 Standorten an Wiener Volksschulen und den wienweiten Chören stehen allen Kindern offen“, berichtet Elisabeth Pilwachs von der MA13 (Musik- und Singschule Wien).

An den Musikschulen gibt es auch einige begabte Migrantenkinder aus klassischen Einwandererfamilien, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Wien gekommen sind. Brigitte Schrom, Leiterin der Musikschule Ottakring, will auch Eltern mit Migrationshintergrund motivieren, ihre Kinder bei den Musikschulen anzumelden: „Eltern müssen sich keine Sorgen wegen der Kosten machen, denn für einkommensschwache Familien gibt es Ermäßigungen und Schulgeldbefreiungen.“

Auch Elisabeth Pilwachs will Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund motivieren, sich bei den Musikschulen anzumelden: „Das Musikschulleben ist nicht nur Einzelunterricht, sondern vor allem auch Musizieren im Ensemble, wo die Kinder miteinander und voneinander unglaublich viel lernen. Durch dieses Kennenlernen von verschiedenen Kulturen erleichtern die Musikschulen den Migrantenkindern auch die Integration.“

AYSUN BAYIZITLIOGLU, Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.11.2008


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Aysun Bayizitlioglu