Regisseurin Bilir-Meier: „Bestimmte Geschichten muss man erzählen“

© Cana Bilir-Meier
  • Cana Bilir-Meier
  • Geboren 1986 in München
  • Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien

31.03.2014 | 10:16 | Tamara Tanasijevic

Cana Bilir-Meier ist eine deutsch-türkische Filmemacherin mit einer bewegenden Familiengeschichte. Ihre Tante, Semra Ertan, verbrannte sich 1982 öffentlich in Hamburg als Zeichen gegen den Rassismus in der Bundesrepublik. Ihre Kurzdokumentation mit gleichnamigen Titel „Semra Ertan“, die sie unter anderem auch auf der diesjährigen Diagonale präsentierte, durchleuchtet in Form einer Konstruktion von Bildern und Textfragmenten den Menschen hinter der Tat. Vor allem die Gedichte der jungen Schriftstellerin Semra rücken in den Vordergrund und erzählen vom Erinnern und Nicht Vergessen. M-MEDIA traf die Filmemacherin zu einem Interview.

M-MEDIA: Semra Ertan war deine Tante und somit Teil deiner Familiengeschichte. Du konntest sie persönlich leider nie kennenlernen. Unter welchen Umständen und wie hast du von ihr erfahren?

Cana Bilir-Meier: Ich habe sie persönlich nicht gekannt, aber zum Glück kann man Leute auf verschiedene Art und Weise kennenlernen, weil sie ganz unterschiedlich zu einem sprechen. Ich habe eigentlich immer schon gewusst, dass es sie gegeben hat und es war auch kein Tabuthema in der Familie. Wenn wir in die Türkei zu meiner Oma gefahren sind, war Semra Ertan in Form von Bildern allgegenwärtig. So können ja auch Bilder und Gegenstände sprechen, was ich in meinem Film auch thematisiere. Wir  sind in der Türkei oft zu ihrem Grab gefahren, was auch einer Art Besuch entspricht. Durch diese Momente konnte ich eine Verbindung zu ihr aufbauen, doch ihre Gedichte haben wohl den stärksten Eindruck hinterlassen.

Die Gedichte von Semra Ertan stehen in deiner Kurzdokumentation im Mittelpunkt. Was wolltest du mit den Gedichten erzählen?

In meiner Arbeit geht es um das Erinnern als Konstruktion, um das Vermächtnis einer Person oder das Vermächtnis der sogenannten „Gastarbeiterära“, aber auch um Biografiekonstruktionen. Wir können eine Person nie vollständig darstellen, so ist auch mein Film fragmentarisch. Im Laufe meiner Recherche habe ich festgestellt, dass ihre Tat in den damaligen Medien ganz stark im Vordergrund stand, aber sie war vielmehr als nur die namenlose „Türkin, die sich verbrannte“. Das hat mich sehr wütend gemacht, denn es gibt auch eine andere Geschichte. Sie war Schriftstellerin, aber auch Dolmetscherin und technische Bauzeichnerin. Ich möchte eine andere Geschichte erzählen bzw. einen Entwurf liefern. Ich wollte einen Film machen, der selbst auch wie ein Gedicht ist, um die Gedichte zur Erzählstimme zu machen. Ihre Tat muss man respektieren, deswegen war es mir wichtig diese auch am Ende zu nennen. Am Ende steht: Sie hat sich selbst verbrannt aus Protest gegenüber der Ausländerfeindlichkeit. Es steht mir nicht zu das zu beurteilen, das hat sie so entschieden. Es geht vor allem darum sie anders darzustellen und das vor allem positiv, denn ich selbst habe sie immer positiv erlebt.

Semra Ertan hat sich 1982 aus Protest gegenüber dem wachsenden Rassismus in Deutschland angezündet. Wie schätzt du das aktuelle Klima gegenüber MigratInnen heute in Deutschland und Österreich ein? Glaubst du, dass die Problematik noch immer sehr präsent ist?

Leider ist es nach wie vor ein sehr aktuelles Thema. Rassismus ist Menschenfeindlichkeit. Mich beunruhigen Wahlen und deren Konsequenzen in Deutschland und Österreich. Wenn nicht Antirassismus betrieben wird, dann haben wir Rassismus. Deswegen muss immer dagegen gearbeitet werden, weil es sonst immer Realität bleiben wird.

Die Aktion war damals sehr radikal, allerdings ohne eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der Problematik. Was für eine Resonanz hätte deiner Meinung nach solch eine Tat in der heutigen Gesellschaft?

Als aktuelles Beispiel kann ich den Arabischen Frühling nennen, der ja durch die Selbstverbrennung Mohameds initiiert wurde. Das ist für mich das stärkste Beispiel für die Kraft solch einer Tat, denn ihre Auswirkungen waren auf der ganzen Welt spürbar.

Dein Film ist eine künstlerische Verarbeitung der Persönlichkeit deiner Tante in Form einer Erinnerung an sie. Würdest du ihn aufgrund der Umstände ihres Freitodes auch als ein politisches Statement gegen Rassismus bezeichnen?

Ich habe mitunter die Kritik bekommen, dass ich eine falsche Fährte legen würde. Dass es kein Film über sie sei und zu fragmentarisch ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass man nie eine Vollständigkeit über eine Person liefern kann und es aber dennoch gelingen kann etwas über sie zu erfahren. Es ist aber auch natürlich ein Statement gegen Rassismus. Es war mir wichtig ihr einen Namen zu geben, deswegen heißt der Film auch „Semra Ertan“. Das ist sehr wohl ein politisches Statement, aber ich wusste, dass ihre Gedichte so stark sind (u.a. „Mein Name ist Ausländer“) und sie deswegen auch unweigerlich ein Statement für sich sind. Bestimmte Geschichten muss man erzählen und bei ihrer Geschichte handelt es sich um eine historische Tat aus der Vergangenheit Deutschlands, die uns heute noch alle betrifft. Manche Sachen werden zu oft ausgelassen: Geschichten über Frauen, Geschichten über MigrantInnen. Deswegen wusste ich, ich mache keinen Film gegen Etwas sondern für Etwas. Für ein besseres Miteinander und für ein anderes Erinnern und Nicht Vergessen.

vielen Dank für das  Interview!

Danke auch…


2 Kommentare

  • Güven

    Danke, danke, danke... !!! Seit einigen Jahren, nachdem ich erst soooo späät über diese Tragödie und Verschwendung von so einem kostbaren Leben und Wesen gelesen hatte... wollte ich etwas initiieren, damit ihr schrecklicher Tod nicht ganz sinnlos wäre und man ihr jedes Jahr zumindest einmal gedenkt! Viele andere tragische Helden in dem Kontext haben Gedenktafeln und Straßennamen nach ihnen benannt zum Gedenken... aber Semra, was ist mit dir Semra... Ruhe in Frieden, Hakkin helal olsun, Allah sana rahmet eylesin Geschrieben um 26. Mai 2016 um 08:51 Uhr Antworten
  • Irmela Mensah-Schramm

    Ich denke - was auch meinen Erfahrungen mit Hamburg zugrunde liegt - will Hamburg lieber keine "schlafenden Hunde wecken".. In Hamburg hat man offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zur rassistischen Realität in diesem Lande. Geschrieben um 1. April 2014 um 14:24 Uhr Antworten

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