Musik lernen von der Vienna Gipsy Music School

KURZ NOTIERT
  • Seit Mai gibt es in Wien die Vienna Gipsy Music School. Jeder, der interessiert ist, kann Kurse und Workshops besuchen. Ab September ist regelmäßiger Kursbetrieb geplant. Anmeldung und Infos: Tel.:01/749 63 36 oder musikschule@romanocentro.org.

26.07.2011 | 20:37 | Niko Katsivelaris

Die Musik der Roma ist weltberühmt. Das Projekt Vienna Gipsy Music School des Vereins Romano Centro gibt dieses Wissen an Interessierte weiter. Geboten wird Unterricht für Klavier, Gitarre, Akkordeon und Gesang.

Altmeister Martin Spitzer zählt ein und legt los: Mit stampfendem Groove gibt der Rhythmusgitarrist das Tempo für Diknu Schneeberger vor. Der 21-jährige Jungstar der Gypsy-Jazz-Szene stimmt das Thema des „Minor Blues“ an – ein Standard von Jazzgitarrenlegende Django Reinhardt. Dann beginnt Schneeberger zu improvisieren – rasante Läufe, Arpeggien, Verzierungen: Das Publikum ist in seinem Bann.

Es ist Samstagabend. Der erste Workshop der Vienna Gypsy Music School hat begonnen. In der Jazzabteilung der Johann-Sebastian-Bach-Musikschule in Wien-Erdberg haben sich 18 Teilnehmer eingefunden. Sie sind im Alter von 16 bis 53Jahren, die meisten sind Autodidakten, einige Musikstudenten. „Ein historischer Moment“, freut sich Ivanka Muncan, Leiterin des Projekts, das vom Verein Romano Centro initiiert wurde. Muncan ist auch Autorin einer Studie zum Musikleben der Roma von Wien, die erst den Startschuss für die Vienna Gypsy Music School gab.

Vielfalt der Roma-Musik in Wien

Im Zuge dieser Studie wurden von Oktober 2009 bis Jänner 2010 Experten in Sachen Roma-Musik befragt, darunter die Sängerin Ivana Ferencova, der Geiger Moša Šišic und der Gitarrist Harri Stojka. Außerdem wurde eine quantitative Erhebung unter in Wien lebenden Roma-Familien durchgeführt. Die meisten von ihnen sind sozial benachteiligte Migranten, die als „Gastarbeiter“ aus Serbien gekommen sind und deren Kinder im Lernhilfeprojekt des Romano Centro Unterstützung finden. Fazit der Studie: In den Roma-Familien von Wien ist das gemeinsame Musizieren fest verankert. Harri Stojka dazu: „Die serbischen Roma in Ottakring haben ganz andere Musik als die türkischen Roma in der Brigittenau oder die Wiener Lovara in Mariahilf.“ Außerdem: Musizieren gilt in Roma-Familien als Männersache – traditionell sind Mädchen vom Erlernen eines Instruments oft ausgeschlossen.

Den 18 Teilnehmern des Workshops – auch an diesem Abend überwiegen die Männer – gibt Diknu Schneeberger das Programm für die nächsten drei Stunden vor: Die gemeinsame Erarbeitung des „Minor Blues“. Zwei wesentliche Merkmale des pädagogischen Konzepts der Vienna Gypsy Music School fallen sofort auf. Zum einen spielt der Unterricht in der Gruppe eine zentrale Rolle, zum anderen das Spiel nach Gehör: „Der Lerneffekt ist ohne Noten viel höher“, meint Spitzer.

Hohes technisches Niveau

Während Spitzer nun mit der einen Hälfte der Teilnehmer den Rhythmuspart erarbeitet, studiert Diknu Schneeberger mit der anderen Hälfte den Melodiepart ein. Das technische Niveau ist hoch.

Ein weiterer Aspekt der integrativen Philosophie der Vienna Gypsy Music School wird an diesem Abend erkennbar. Der Versuch eines Brückenschlags zwischen der traditionellen musikalischen Praxis der Roma und der akademischen Musiktheorie. Autodidakt Diknu Schneeberger, der selbst aus einer musikalischen Sinti-Familie stammt, hat einst sein Musikstudium an den Nagel gehängt: „Es war nicht mein Weg.“ Zu sehr sei er im Gypsy-Swing zu Hause, der am Konservatorium nicht gelehrt wird. Und Jazztheorie? „Das interessiert mich nicht.“ Ob er denn Noten lesen könne? „Nicht wirklich“, gibt er zu.

Auch beim Unterrichten ist er kein Freund langer Erklärungen: „Das muss sich so anhören“, sagt er zu den Teilnehmern – und spielt einfach vor. Sein Partner Martin Spitzer – ohne Roma-Hintergrund– repräsentiert den anderen Pol des Projekts. Er ist ein bekennender Theoriefan. Was beide gemeinsam haben: die Liebe zu einer Musik, für die es in Österreich bisher keine institutionelle Verankerung gab.

Kurse stehen für alle offen

Diese Lücke sollte mit der Vienna Gypsy Music School geschlossen werden. Die unterschiedlichen musikalischen Traditionen der Roma sollen einen professionellen Rahmen bekommen. Damit soll das Selbstbewusstsein der Minderheit gestärkt werden. „Etwas, worauf Roma stolz sein können“, solle geschaffen werden, so Leiterin Ivanka Muncan, die selbst ausgebildete Musikerin ist.

An diesem ersten Abend sind allerdings keine Roma unter den Teilnehmern. Langfristig soll sich das aber ändern: Kinder aus sozial benachteiligten Roma-Familien – und hier vor allem die Mädchen – sollen eine Bildungschance bekommen. Die gezielte Strategie der interkulturellen Öffnung ist an diesem ersten Abend jedenfalls schon ersichtlich.

Die Musikschule steht aber selbstverständlich auch weiterhin Nicht-Roma offen. Zwar soll der Schwerpunkt – im Einklang mit der Tradition – auf dem Erlernen des Instruments nach Gehör liegen, doch will man die Schüler behutsam an die Notenschrift heranführen. So soll ihnen der Weg zur Welt der Klassik geöffnet werden.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.07.2011)


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