Wie Asylwerber über Wiens Bühnen marschieren

Im Jänner 2008 haben 1105 Personen um Asyl angesucht. Mehr als die Hälfte davon kommt aus der Russischen Föderation, Serbien und Afghanistan. Die Anzahl der offenen Verfahren liegt derzeit bei mehr als 33.367 Fällen. Mehr als ein Drittel dieser Asylverfahren dauert schonmehr als drei Jahre. In der Zeit bis zu einer Entscheidung dürfen Asylwerber kaum bis gar nicht arbeiten. Eine der wenigen Möglichkeiten: als Darsteller im Theater zu jobben. Allerdings gibt es keine exakten Zahlen, wie viele damit das Warten überbrücken.

12.03.2008 | 17:28 | Yordanka Hristozova-Weiss

Künstler auf Zeit: Flüchtlinge überbrücken die verordnete Beschäftigungs-losigkeit mit Auftritten auf den Bühnen.

WIEN. Sergej Tsal-Tsalko ist gelernter Schiffsmechaniker und hat jahrelang das Baltische Meer durchquert. Jetzt steht er als Statist im Burgtheater.

Die Karriere auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ sind ihm bloß Kurzweil: „Niemals bin ich auf einer Bühne gestanden. Ich lese kaum, bevorzuge Fußball und Basketball“, erzählt der Ukrainer. Vor seiner Flucht besaß er ein kleines Unternehmen in seiner Heimatstadt Schitomir, etwa 130 Kilometer von Kiew entfernt.

„Im April werden es vier Jahre, seit wir in Österreich leben. In der Ukraine hatten wir Probleme bekommen und das Land verlassen. Hier sind wir Asylwerber“, so Tsal-Tsalko. Über die Art von Problemen, die er hatte, will er nicht sprechen.

Premiere im „Nachtasyl“

Der erste Kontakt mit dem Theater entstand durch den Regisseur Manfred Michalke. Er hat „Nachtasyl“ von Maxim Gorki inszeniert. Die Aufführung fand auf Deutsch und Russisch statt, Schauspieler waren auch Migranten aus Osteuropa. Sergej Tsal-Tsalko war einer von ihnen.

Eher zufällig hat er von der Möglichkeit erfahren, im Burgtheater auftreten zu können, hat schließlich an einem Casting teilgenommen und ist dort nun schon seit drei Jahren als Komparse tätig. „Wir haben auch Spaß auf die russische Art. Im ,Kirschgarten‘ mit Andrea Brett als Regisseurin waren wir tanzend, singend und trinkend auf der Bühne“, so Sergej.

Durch Empfehlungen hat er nun ein Engagement im „King Lear“ ergattert: „Als Soldat überquere ich bewaffnet einige Male die Bühne. Ich bin Teil einer Truppe, die oft umgekleidet wird, um einmal die französische Armee, dann wieder englische Soldaten darzustellen.“

Die künstlerische Betätigung gibt den langen Tagen einen Sinn. Eine dauerhafte finanzielle Absicherung ist es nur sehr bedingt: Er hat keinen Vertrag mit dem Burgtheater, sondern jobbt auf Honorarbasis – ein Warten von einem Auftritt zum anderen. Und er wartet auf die Erledigung seines Asylantrags.

Konkret läuft das Engagement so ab: Die Personalabteilung des Burgtheaters ersucht das Arbeitsamt um Arbeitsgenehmigung. Bei positiver Antwort darf der Asylwerber als Komparse auf der Bühne auftreten. Diese Genehmigung bekommt man aufgrund einer Sonderregelung für Künstler in der Gesetzgebung relativ einfach.

Beschäftigung verboten

Ansonsten ist für die auf Bleiberecht Wartenden fast jede Beschäftigung verboten. Aufgrund der Bestimmungen für die Grundversorgung von Asylwerbern können sie lediglich für Hilfstätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Unterbringung stehen (etwa Reinigung oder Küchenbetrieb) herangezogen werden. Eine andere Möglichkeit sind Saisonarbeiten (etwa Erntehelfer), aber auch gemeinnützige Hilfstätigkeiten, die im Auftrag von Bund, Land oder Gemeinde erledigt werden – Landschaftspflege oder Betreuung von Park- und Sportanlagen.

Asylwerber werden zu solchen Tätigkeit nur dann zugelassen, wenn sie seit mindestens drei Monaten im Asylverfahren sind. Das Einkommen darf jedenfalls 100Euro monatlich nicht übersteigen – andernfalls werden Taschengeld (40€ monatlich) und die Grundversorgung gestrichen. Für die wenigen Saisonniers gibt es Sonderbestimmungen.

Gute Deutsch-Kenntnisse

Unter diesen Voraussetzungen ist Sergej Tsal-Tsalko auf die Engagements in der Theaterwelt angewiesen – und alle anderen Asylwerber, die als Komparsen arbeiten, ebenfalls. Sie müssen mit dem Verbot leben, eine Existenz für ihre Familie aufbauen zu können. Wie viele es sind, die auf österreichischen Bühnen auftreten, vermag niemand zu sagen. Über ihre Zahl gibt es keine offiziellen Statistiken, nicht einmal grobe Schätzungen.

Der Ukrainer hat zwei Söhne, 13 und drei Jahre alt, und eine neunjährige Tochter. „Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch“, berichtet der Schiffstechniker – nicht ohne Stolz.

Er selbst beherrscht die deutsche Sprache flüssig. Er hält einen Berufswechsel jedoch für nicht möglich. „Es ist schon zu spät, einen anderen Beruf zu erlernen“, glaubt er. Von einer Bühnenkarriere träumt er nicht, analysiert aber die Instrumente eines Schauspielers: „Körper, Stimme, Gefühle“. Tsal-Tsalko bevorzugt, statt mit Gefühlen mit den Händen zu arbeiten. „Ich nähe gut“, sagt der Ukrainer und zeigt auf seine Winterjacke.

Was wird Sergej in Wien machen, sollte er Asyl bekommen? „Ich weiß es nicht. Mit dem Schauspielen wird es dann vorbei sein“, so der 35-Jährige. Den früheren Schiffsmechaniker beschäftigen weiter Schiffe: „Oft beobachte ich den Fluss.“

(YORDANKA HRISTOZOVA-WEISS, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.03.2008)


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