Wien: Die Tangolehrer vom Karlsplatz

22.08.2012 | 10:46 | Hülya Tektas

Er ist Kurde, sie ist Baskin – und gemeinsam zelebrieren sie den Tango unter freiem Himmel. Kenan Askan und Aiala Gonzales veranstalten regelmäßig Tangoabende in der Wiener Innenstadt.

Wien. „Schon als kleines Kind schaute ich meinen Eltern und meinem Onkel zu, als sie Tango tanzten“, sagt Aiala Gonzales. „Mein Interesse für Tango kommt daher.“ Die Baskin verbrachte fünf Jahre lang jedes Jahr etwa fünf Monate in Buenos Aires, um eine perfekte Tangotänzerin zu werden. Den Rest des Jahres arbeitete sie in ihrer Heimat Spanien – um das nötige Geld für die Tangostunden und den Aufenthalt in Argentinien zu verdienen.

„Um Tango tanzen zu können, muss man ihn mit dem Herzen fühlen“, sagt sie. Und so war es naheliegend, dass sie auch ihren Partner bei einer Tangoveranstaltung kennenlernen sollte. Kenan Askan stammt aus Diyarbakir in der Türkei. Tango hat er in Barcelona gelernt, wo er nach seinem Ingenieurstudium einen Job annahm. Sein Interesse am Tanz wurde durch den Film „Der Duft der Frauen“ geweckt – vor allem durch die eine Szene, in der Al Pacino und Gabrielle Anwar leidenschaftlich tanzen. „Damals gab es in Diyarbakir keine Möglichkeit, Tango zu lernen“, sagt er. Erst durch seinen Job in Barcelona konnte er seine Leidenschaft ausleben.

Es bleibt nicht beim Tanzen

Doch es war nicht in Spanien, wo die beiden einander begegnen sollten – sie trafen das erste Mal in Wien aufeinander. Kenan Askan war gerade für einen Job nach Wien umgezogen und besuchte hier auch einige Tangoveranstaltungen. Auf einer davon traf er Aiala Gonzales, die gerade für einen Kurztrip in Wien war. „Es war nicht nur die Leidenschaft zum Tango, die uns zusammenbrachte, sondern auch die Tatsache, dass wir Minderheiten in unseren Ländern sind“, sagt Aiala – sie als Baskin, er als Kurde. Es blieb nicht beim Tanzen – bald wurden die beiden ein Paar. Und Aiala zog zu ihrem Partner nach Wien.

Für die beiden passionierten Tangotänzer stand von Anfang an eines fest: Sie wollten auch in Wien Tango tanzen. So beschlossen sie, die vom Tangotänzer und Veranstalter Horst Priesner gestartete Idee „Open Air Tango Milongas“ weiterzuführen. Bei Schönwetter wird jeden Abend nach Sonnenuntergang entweder im Resselpark am Karlsplatz oder im Schillerpark getanzt. Meist treffen sich Menschen mit fortgeschrittenen Tangokenntnissen. Oft bilden sich spontan Paare, aber es kommen auch viele schon mit ihrem Tanzpartner.

Über eine Website informieren sich die Tangoliebhaber, ob und wann das Tanztreffen stattfindet oder ob es etwa wegen Schlechtwetters abgesagt werden muss. Gonzales und Askan organisieren den Tanzboden und die Musik. Sie helfen aber auch den teilnehmenden Paaren, wenn es Fragen zum Tanzen gibt. Und sie tanzen auch selbst gerne mit.

 

Tanz der Immigranten

Der Tango Argentino hat seine Wurzeln im Buenos Aires des 19.Jahrhunderts, wo Immigranten aus der ganzen Welt zusammentrafen. In den Zeiten der Arbeitslosigkeit und Verzweiflung, weit weg von den Familien, verbrachten die Männer ihre Zeit in den Cafés und Bordellen mit leidenschaftlichem und gleichzeitig aggressivem Tanzen und Musik. Durch dieses improvisierte Tanzen drückten die Einwanderer ihre Enttäuschungen und Sehnsüchte aus – und auch ihre erotischen Fantasien.

So entstand der Tango aus afrikanischem Trommeln, italienischen und spanischen Melodien und polnischen und deutschen Instrumenten.

Es dauerte aber lang, bis der Tango seinen Weg in den Mainstream fand. Denn die Tangolieder, die von den Gefühlen und dem Leben der Menschen in den Arbeitervierteln von Buenos Aires erzählten, wurden zu dieser Zeit in den gehobenen Gesellschaftsschichten als vulgär angesehen. Salonfähig wurde der Tango erst, als er von Argentinien nach Europa kam, von dort seinen Weg in die USA fand und dann schließlich nach Buenos Aires zurückkehrte. Währenddessen hat sich der Tango stetig weiterentwickelt und gilt heute als etablierter Tanzstil für alle möglichen Gesellschaftsschichten.

„Tango ist ein Tanz, der die Grenzen zwischen Kulturen abbaut und Menschen zusammenbringt“, sagt Gonzales. Und erzählt von weltweiten Tangocommunitys, die sich übers Internet organisieren. Auch sie selbst reist viel durch die Welt und trifft andere Tangoliebhaber. Seit September 2009 steht Tango auch auf der Liste der schützenswerten immateriellen Kulturgüter – das bedeutet, dass er geschützt und gefördert werden soll. Gonzales und Askan wollen auch ihren Beitrag dazu leisten. Sie planen ab Herbst besonders für jüngere Zielgruppen, etwa Studenten, Tangokurse anzubieten. Dabei wollen sie Anfängern nicht nur Tanzen, sondern auch die Geschichte und Philosophie des Tangos beibringen.

 

Integration durch Tanzen

Es ist indes nicht das einzige Tanzprojekt, das Menschen unterschiedlicher Herkunft einander näherbringen möchte. Die Veranstaltungsreihe „dance vision Gemeinsam mehr bewegen“ ist eines davon. Dieses Pilotprojekt wird seit Mai in der AHS Kenyongasse in Wien durchgeführt. Schülern wird dabei von geschulten Trainern Gesellschaftstanz beigebracht. Dadurch sollen sie einerseits die österreichische Kultur kennenlernen, andererseits aber auch lernen, Vorurteile gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion oder Kultur abzubauen. Schließlich muss es nicht unbedingt immer nur Tango sein.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.08.2012)


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