Wiener Staatsoper: Bewerbungen laufen anonym

23.03.2011 | 10:22 | Nasila Berangy

Bewerber spielen hinter einem Paravan, um Geschlecht und Ethnie zu verbergen. Der eigentliche Grund war, dass viele Bewerber Schüler von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker waren.

Wien. Anonyme Bewerbungen sind in Österreich eher selten. Aber es gibt sie. Die Wiener Staatsoper lässt etwa seit 40 Jahren Bewerber hinter einem Vorhang spielen, sodass die Jury sie nicht zu sehen bekommt. Gelebte Diversität, könnte man meinen, schließlich werden dadurch Bevorzugungen oder Benachteiligungen wegen des Geschlechts oder aus ethnischen Gründen verhindert.

Ursprünglich hatte diese Tradition aber nichts mit Diversität zu tun, denn als diese Bewerbungsmethode eingeführt wurde, gab es nicht einmal Bewerbungen von Frauen – Frauen bei den Philharmonikern gibt es erst seit 14 Jahren.

Keine Bevorzugung

Der eigentliche Grund war, dass viele Bewerber Schüler von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker waren. Durch das Probespiel hinter einem Vorhang konnte niemand seinen Schüler bevorzugen. Für Clemens Hellsberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker, ist das „die gerechteste Form und eine gelungene Lösung, um die Objektivität zu erhöhen“. Die Probespieljury habe sich in dieser Form bewährt.

Die Aufnahme der Musiker erfolgt über das Staatsopernorchester, hier wird die Stelle ausgeschrieben. Sie bekommen einen Probevertrag über ein Jahr. Danach müssen sie weitere drei Jahre im Staatsopernorchester spielen, bevor sie im Verein der Wiener Philharmoniker einen Aufnahmeantrag stellen können. Die 150 Vereinsmitglieder, die gleichzeitig die Musiker des Orchesters sind, entscheiden dann darüber.

Dass man gegen einen Paravan spielt, sei schon ein merkwürdiges Gefühl. Hellsberg, seit 1978 Primgeiger bei den Philharmonikern, erinnert sich an sein eigenes Probespiel, denn „man ist es ja gewohnt, für ein Publikum zu spielen“. Auch für die Jury ist es eine seltsame Erfahrung, Musik zu hören, ohne jemanden zu sehen. Aber man konzentriere sich dann eben nur darauf, was man hört, sagt Hellsberg.

Ob man dabei das Spiel von Männern und Frauen auseinanderhalten könne? Nein, sagt er, auch wenn manche Kollegen das von sich behaupten würden. Für ihn sei das auch kein Kriterium. Wichtiger sei, „ob die Person klangmäßig zu uns passt und unsere musikalische Sprache spricht“.

Multikulturelle Musiker

Über die multikulturelle Zusammensetzung werde nicht Buch geführt, das sei einfach kein Thema. Im Sinne der Diversität sei es aber hilfreich, dass „wir das Probespiel hinter einem Vorhang schon hatten, es ist eine Maßnahme, die sehr viele Bereiche abdeckt“. Doch ehe es einmal zum Probespiel kommt, gibt es noch die Bewerbung. Und die ist sehr wohl personifiziert.

Insgesamt gibt es drei bis vier Runden des Probespiels, das letzte ist allerdings vor dem Vorhang. Wenn man nur auf die technische Perfektion reduziert, wie es das amerikanische Orchester tut, dann würde das Orchester an Persönlichkeit verlieren. Denn die Persönlichkeit des Spielers spiegelt sich auch in der Art seines Spiels wider. Das Besondere sei, „sich einzuordnen und trotzdem hervorzutreten und die eigene Persönlichkeit einzubringen“.

(NASILA BERANGY, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.03.2011)


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