Unter dem Banner des Kreuzes: Als »Nahwest-Experte« unter den Deutschen

Scarabée dans le désert du Sahara - ©https://www.flickr.com/photos/axelrd

29.04.2015 | 9:01 | REDAKTION

Diesen text wurde auf der Homepage des Rheinischen JournalistINNenbüros publiziert. Das ist eine Perspektivenwechsel in der Berichterstattung im Bezug auf MuslimInnen. Als Vorlage für diesen Text dienten Publikationen hiesiger »Nahost-Experten« wie Peter Scholl-Latour und Gerhard Konzelmann. Daraus wurden viele Sätze unverändert übernommen, und manche Bemerkungen über »den« Islam und die »Muslime« durch den Austausch weniger Worte auf das Christentum bezogen*.

Die folgenden Beobachtungen eines »Nahwestexperten« unter den Deutschen liefen – von einem Palästinenser gelesen und mit entsprechender Musik und Geräuschen untermalt – zwischen verschiedenen Kapiteln eines 105 Minuten langen WDR-Radiofeatures von Beate Hinrichs und Karl Rössel mit dem Titel: »Über den Islam weiß ich nichts, aber er macht mir Angst« – Die Gewissheiten eines alten Feindbildes und die Mühen, unübersichtliche Realitäten der Gegenwart zu verstehen.

(Radiosprecher:) Assalamu-aleikum, liebe Hörerinnen und Hörer, Friede sei mit euch. Sie hören die Arabische Welle. In unser Reihe »Unter dem Banner des Kreuzes« geht unser Nahwest-Experte heute in Deutschland der Frage nach: Wie real ist die Bedrohung der arabischen Welt durch die christlichen Fundamentalisten und Fanatiker Europas?

(Musik von einer Fronleichnamsprozession, darüber:)
(Nahwest-Experte:) Ein Donnerstag im Juni: Bei uns ein normaler Arbeitstag, im Europa der Christen jedoch ein wichtiger religiöser Festtag. Hunderttausende glaubenstrunkene Eiferer demonstrieren heute in allen Teilen des europäischen Kontinentes öffentlich für ihren christlichen Glauben. So auch in Köln, einer uralten Stadt mit langer religiöser Tradition in Deutschland. Hier steht eines der größten Gebetshäuser der Christen, welches sie »Dom« nennen und das jährlich von Millionen Pilgern besucht wird. Die zwei mächtigen Türme aus schwarzem Gestein manifestieren schon architektonisch das universelle Sendungsbewusstsein und den grenzenlosen Machtanspruch des Christentums. Am heutigen Festtag drängen sich vor diesem Gotteshaus Massen von Pilgern. In steife, dunkle Anzüge und enge Kleider gewandet, schleppen sie lebensgroße Statuen ihres Propheten und Holzkreuze. Ihre Imame, die sie »Priester« nennen, tragen weite Djellabiyas, die vor Gold- und Edelsteinverzierungen funkeln. Sie schreiten – um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen – unter seidenen Baldachinen daher, die ihre schwitzenden Anhänger an langen Stangen halten müssen. Es reicht aus, dass die Imame die Nummer einer Sure aus den heiligen Büchern aufrufen, die die Pilger mit sich tragen, und sofort verfallen alle in monotone Gesänge in einer rituellen, längst ausgestorbenen Sprache.

(Geräusche von einer Fronleichnamsprozession, darüber:)
Die heutige Zeremonie ist ein Beispiel für den bizarren Mystizismus der Christen. Sie folgen damit einem jahrhundertealten Totenkult. Darauf verweist schon der Name dieses Festtages: »Fronleichnam«. Tatsächlich huldigen die Christen dem Leichnam ihres gekreuzigten Propheten Jesus. Sie glauben nicht nur, dass er von den Toten auferstanden ist, sondern sie halten ihn sogar für den leiblichen Sohn Allahs, den sie »Gott« nennen. Der Erfolg des Christentums bei den Deutschen liegt zum großen Teil an der Einfachheit seiner Lehren. Bei den Gebetsstunden verwandeln die Priester der Christen in einer gespenstisch anmutenden Zeremonie angeblich das Fleisch und Blut des Propheten Jesus in trockenes Brot und Weißwein, um es sodann gemeinsam zu verspeisen. Wie rational und berechenbar ist eine Gesellschaft, die auf einem solchem Glauben beruht?

Wie weit die christliche Religion noch heute das Alltagsleben in Europa bestimmt, zeigt sich in der süddeutschen Provinz Bayern. Hier gehen die Frauen in merkwürdig aufgeblähten bunten Kleidern, und die Männer tragen schwere lederne Hosen. Bei Tänzen geißeln sie sich durch heftige Schläge und stoßen dazu schrille, tirilierende Schreie aus.

(Musik aus Bayern wie Jodeln und Schuhplattler, darüber:)
Hier in Bayern kann man sich als zivilisierter Mensch aus der arabischen Welt des Eindrucks nicht erwehren, als hätten sich manche Europäer in den vergangenen tausend Jahren nur wenig weiterentwickelt. So geht zum Beispiel die spezielle Frömmigkeit dieser Bayern so weit, dass sie sich schon auf der Straße, wann immer sie sich begegnen, die Aufforderung »Grüß Gott!« zurufen. Sie schwören »in Gottes Namen«, fluchen »um Gottes Willen« und danken mit »Gott vergelt‘s«. Sie beten vor dem Essen, verzehren zum Nachtisch »Götterspeisen« und nennen ihre Söhne »Gottlieb« oder »Gottfried«.

Von Geburt an werden diese einfachen Menschen christlich indoktriniert. Schon die Neugeborenen werden einer Wasserzeremonie in den Gotteshäusern unterzogen, bei der ihre angeblich vor Sünden rußschwarze Seele reingewaschen wird. Kaum haben die Kinder die Schulreife erreicht, müssen sie religiöse Initiationsriten über sich ergehen lassen, die sie »Kommunion« und »Firmung« nennen. Vorher sind die Kinder gezwungen, wochenlang Bibelkurse ihrer Vorbeter zu besuchen. Das Symbol der Christen, das Kreuz, hängt in nahezu jeder Schulklasse, und die religiösen Gebote werden im Unterricht gelehrt. Das Radio überträgt regelmäßig christliche Gebetsstunden, und Kurzpredigten gehören als »Wort zum Sonntag« seit Jahrzehnten zum unverrückbaren Bestandteil des nationalen Fernsehprogramms. So durchdringt die christliche Religion alle Bereiche der Gesellschaft.

(Geräusche von Papstrede und -segen, darüber:)
Ihren Ayatollah nennen die Christen »Papst«. Der amtierende Papst residiert in den Palästen eines eigenen »Gottesstaates« im Süden Europas, dem »Vatikan«, und gibt vor, der direkte »Stellvertreter Allahs« zu sein. Er hält sich für unfehlbar und fordert von seinen Anhängern unbedingten Gehorsam. Die blinde Gefolgschaft der christlichen Massen hat in den letzten Jahrhunderten zu unzähligen grausamen Kriegen geführt. Unter dem Zeichen des Kreuzes wurden fundamentalistische christliche Eiferer aufgehetzt, ganze Kontinente zu kolonialisieren und zu versklaven. Stets führten die religiösen Oberhäupter der Christen die Kriege mit an, ja erklärten sie nicht selten zu »heiligen Kreuzzügen«. Diese düstere Vergangenheit des Christentums wirft ihre Schatten selbst auf die Gegenwart und macht Europa auch in Zukunft so unberechenbar. So vergeht kein Tag, an dem nicht Menschen in europäischen Kriegen, die von religiösen Fanatikern angezettelt wurden, umkommen – von der irischen Insel im Norden des Kontinents bis zu dem brodelnden Brandherd des Balkans. Auf öffentlichen Plätzen müssen Soldaten, bevor sie in die Armee aufgenommen werden, schwören, die christlichen Fundamente ihres Staates zu verteidigen. In Deutschland trieben die Steuerbeamten des Staates im vergangenen Jahr 17 Milliarden 503 Millionen 700 Tausend Mark für die christlichen Führer ein. Kein Wunder, ist doch die derzeitige Regierungspartei eine Partei religiöser Bekenner, wie schon ihr Name zeigt: Christlich Demokratische Union.

Zur christlichen Tradition Europas gehörte schließlich auch, Ungläubige auf öffentlichen Plätzen vor großem Publikum zu foltern und auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Heute ist in Europa eine Rückkehr zu diesen fundamentalistischen Traditionen des Mittelalters zu beobachten. Die Intoleranz wächst dramatisch. Alleine im christlich regierten Deutschland gibt es fast täglich brutale Angriffe auf Andersdenkende: Jugendliche Horden überfallen türkische, marokkanische und libanesische Familien, brennen ihre Häuser nieder und haben Dutzende Menschen umgebracht. In den Augen dieser kahlgeschorenen Terroristen blitzt die jahrhundertealte Mordgier der Christen, die nicht einmal vor Kindern Halt macht. Oft stehen Hunderte Christen untätig, ja applaudierend, dabei und schauen zu, wenn diese fanatischen Horden auf Menschenjagd gehen, aufgeputscht durch den Alkohol, an den sie schon von Kind an in ihren Gottesdiensten gewöhnt werden. Die Extremisten blasen im Herzen Europas zum Aufstand gegen die Moderne und versuchen, das kriegslüsterne »tausendjährige deutsche Reich« der Vergangenheit wiederzuerwecken. Nichts zeigt den Unterschied zwischen der europäischen Barbarei und der arabischen Zivilisation deutlicher: Die Christen predigen Nächstenliebe, aber sie praktizieren Mord und Totschlag.

Die arabische Welt tut deshalb gut daran, sich gegen den waffenstarrenden Gürtel der unkalkulierbaren christlichen Länder, die ihrer Küste gegenüberliegen, rechtzeitig zu wappnen.

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* Das Rundfunkfeature zum Thema »Feindbild Islam« lief als »Samstagabend in WDR 3« am 25.06.1994.


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